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Glocken erinnern an die Opfer des Terrors
“Gibt es eine Kunst, die schöner ist?” In der Reisetasche von Mohammed Atta fand sich eine Geistliche Anleitung, in der hieß es:
“Du wirst bemerken, dass das Flugzeug anhalten und dann erneut fliegen wird. Dies ist die Stunde, in der du Gott treffen wirst.”
Es wurde die Stunde, in der Menschen aus Dutzenden Nationen ermordet wurden, Christen, Juden und Muslime. Zwei Tage später trafen sich Christen, Juden und Muslime in der übervollen Christuskirche und bekannten:
“Ein Gott, der Opfer verlangt, ist keiner.”
Und dann, einige Tage später, stellte sich heraus, dass einer der Terrorpiloten, Ziad Jarrah, ein Bochumer gewesen ist … du wirst bemerken, dass das Flugzeug anhalten und dann erneut fliegen wird …
Um seinem Gott entgegen zu fliegen, hat Jarrah 33 Passagiere und 7 Mitglieder der Crew ermordet. Sich selber aber hat er geopfert, und das ist der entscheidende Punkt: Nicht der Tod anderer, erst der eigene bahnt den Weg zu Gott, zu diesem.
Erst das Selbstopfer ist Hingabe. Und Hingabe ist Kunst. “Wir wollen Kunst, die offensiv ist”, sagte Irans Staatschef, Mahmud Ahmadinedschad, am 25. Juli 2005 in seinem Staatsfernsehen:
„Gibt es eine Kunst, die schöner ist, göttlicher und ewiger als die Kunst des Märtyrertums?“
Der Terror als Kunst, der Märtyrer als Künstler. Einer, der sich opfert für andere, der aus dem, was alle sehen, ins Ungesehene springt:
„Was da geistig geschehen ist, dieser Sprung aus der Sicherheit, aus dem Selbstverständlichen, aus dem Leben, das passiert ja manchmal auch poco a poco in der Kunst. Oder sie ist nichts.“
sagte Karlheinz Stockhausen nach dem 11. September, er sprach vom “größten Kunstwerk, das es je gegeben hat” und ein Verbrechen nur deshalb sei, “weil die Menschen nicht einverstanden waren” damit, von Jarrah und seinen Leuten ermordet zu werden. Wie immer Stockhausen – sein “Licht-Zyklus” sollte Highlight der Kulturhauptstadt werden – das gemeint haben möchte, irrsinnig ist daran, wie er religiösen Irrsinn mit Kunst identifiziert:
„Manche Künstler versuchen doch auch, über die Grenze des überhaupt Denkbaren und Möglichen zu gehen, damit wir wach werden, damit wir uns für eine andere Welt öffnen.“
Der Künstler als Märtyrer, der Märtyrer als Künstler. Beide vorgestellt als Seher, die über Grenzen und aufs Ganze gehen, damit sie uns die Augen öffnen. Woraus sich beide Vorstellungen speisen, ist der Opfer-Mythos, der Glaube daran, dass dem Opfer eine befreiende oder zumindest entlastende Kraft zukomme. Der Glaube daran, das Selbst-Opfer – “dieser Sprung aus dem Leben” – könne erlösen oder zumindest erhellen:
„Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern Kunst macht sichtbar. Sie schafft Neues, Ungesehenes, Unerhörtes.“
sagte Alfred Buß, Präses der westfälischen Landeskirche, in seiner Predigt zur Eröffnung der Kulturhauptstadt, er zitiert damit Paul Klee. Ich glaube, dass die Erinnerung an den 11. September es unmöglich macht, Klees Kunstbegriff zu folgen: Es überdauert darin die Vorstellung, dass einer für alle sich hingebe und dies nicht nur Voraussetzung sei für Kunst, sondern sie selbst.
Aber es ist eben nicht die Kunst, die etwas macht, sondern der Künstler. Von ihm wird gesagt, dass er es sei, der “Ungesehenes” schaffe, das nur dank ihm nun alle sehen, weil er, der Künstler, Augen öffne. Dagegen ein Satz von Jochen Gerz
„Mich hat es immer beunruhigt, wenn viele Menschen das Gleiche sehen.“