Kultur & Theologie

Tango de Concierto

Raúl Jaurena & Germán Prentki

Egon Schiele, Der Cello-Spieler, 1910; schwarze Kreide und Aquarell; Albertina, Wien (cc)

Ein Bandoneon, ein Cello und eine Geschichte. Sie handelt vom Tango und vom Krieg, von Uruguay und dem Revier. Und davon, dass Uruguay, die Wiege des Tangos, in Bochum als Feindstaat erinnert wird. Ein Konzert mit Germán Prentki, dem deutsch-jüdischen Cellisten aus Montevideo, und Raúl Jaurena, einem der besten Bandoneon-Spieler überhaupt, ausgezeichnet mit dem Latin-Grammy-Award.

“Das Bandoneon gehörte zur Kultur des Reviers wie Schrebergarten und Taubenschlag”,

heißt es in Der letzte Tango im Revier, einem lesenswerten Artikel über die Bandoneon-Freunde aus Essen-Altendorf, das letzte Orchester seiner Art:

“Als die Fördertürme noch das Stadtbild prägten, gab es in jeder Stadt des Ruhrgebiets ein gutes Dutzend.”

Das war in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg, als Tango zur ersten Weltmusik geworden war. Ende der 20er war jeder dritte Schlager in Deutschland ein Tango und das Bergmannsklavier war seine Stimme. Als 1931 in der Christuskirche eine “Helden-Gedenkhalle” eingeweiht wurde, um an den Weltkrieg zu erinnern  –  an die gefallenen Bochumer ebenso wie an die “Feindstaaten Deutschlands”, darunter Uruguay  –   hieß der Hit des Jahres “Tango, nur Tango”.

Und als Rául Jaurena 1941 in Montevideo geboren wurde, war Uruguay abermals “Feindstaat Deutschlands”.

Der kleine Rául lernte das Bandoneon-Spielen wie vor ihm die Kinder im Ruhrgebiet, nämlich zuhause vom Vater: Mit 8 spielte er in seinem ersten Tango-Orchester, mit 15 in einer der populärsten Tango-Formationen des Landes und bald darauf in allen Ländern Lateinamerikas und mit allen Großen des Genres, mit Roberto Goyeneche, Edmundo Rivero, Raul Lavie, Agustín Irusta, Libertad Lamarque und César Zagnoli.

Und dann, in den 80ern, mit Astor Piazzolla höchstselbst, dem Begründer des Tango Nuevo. Für Jaurena eine Begegnung wie eine Bekehrung: Um den Tango Nuevo –  die Vermittlung von Tango mit Klassik und Jazz  –  weiter zu entwickeln, geht er nach New York und gründet die New York Buenos Aires Connection, wird zum musikalischen Leiter des Thalia Theatre ernannt und tourt – oft gemeinsam mit Giora Feidman – durch die Welt. 2008 dann der Grammy fürs beste Tango-Album.

Germán Prentki ist 18 Jahre jünger als Jaurena, seine Geschichte aber ist 19 Jahre älter. Es ist eine deutsche, eine jüdische und uruguayische Geschichte:

Germáns Vater, Horst Günther Prentki, wurde 1922 in Berlin geboren, lernte Klarinette und Saxophon spielen und kam als 16-jähriger in das Orchester des Jüdischen Kulturbundes. Für einen Juden die letzte Chance überhaupt, in Nazi-Deutschland Musik zu machen.

Aber erst die allerletzte Möglichkeit, den Nazis zu entkommen, hat Prentki sen. genutzt: Im Oktober 1940 schifft sich der 18-Jährige nach Uruguay ein  –  und dort beginnt er eine Geschichte, wie sie für Tango nicht typischer sein könnte:

Er spielt in klassischen Orchestern und Etablissements, im Theater und der Spelunke, spielt Klassik und Varieté, spielt den Jazz wie in Berlin und den Tango von Montevideo. Hält seine Familie über Wasser, bringt seinem ersten Sohn die Geige nahe und seinem zweiten Sohn das Cello.

Und dieser zweite, Germán, 1959 in Montevideo geboren und inzwischen fest in Deutschland engagiert, bringt die Musik nun dahin zurück, von wo sie vertrieben wurde.

So wird aus Weltkrieg Weltmusik.

>> 03. Oktober | 19 Uhr | 14

Ein Bandoneon, ein Cello und eine Geschichte. Sie handelt vom Tango und vom Krieg, von Uruguay und dem Revier. Und davon, dass Uruguay, die Wiege des Tangos, in Bochum als Feindstaat erinnert wird. Ein Konzert mit Germán Prentki, dem deutsch-jüdischen Cellisten aus Montevideo, und Raúl Jaurena, einem der besten Bandoneon-Spieler überhaupt, ausgezeichnet mit dem Latin-Grammy-Award.  //   TANGO DE CONCIERTO pdf

“Das Bandoneon gehörte zur Kultur des Reviers wie Schrebergarten und Taubenschlag”, heißt es in Der letzte Tango im Revier, einem lesenswerten Artikel über die Bandoneon-Freunde aus Essen-Altendorf, das letzte Orchester seiner Art: “Als die Fördertürme noch das Stadtbild prägten, gab es in jeder Stadt des Ruhrgebiets ein gutes Dutzend.”

Das war in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg, als Tango zur ersten Weltmusik geworden war. Ende der 20er war jeder dritte Schlager in Deutschland ein Tango und das Bergmannsklavier war seine Stimme. Als 1931 in der Christuskirche eine “Helden-Gedenkhalle” eingeweiht wurde, um an den Weltkrieg zu erinnern  –  an die gefallenen Bochumer ebenso wie an die “Feindstaaten Deutschlands”, darunter Uruguay  –   hieß der Hit des Jahres “Tango, nur Tango”.

Und als Rául Jaurena 1941 in Montevideo geboren wurde, war Uruguay abermals “Feindstaat Deutschlands”. Der kleine Rául lernte das Bandoneon-Spielen wie vor ihm die Kinder im Ruhrgebiet, nämlich zuhause vom Vater: Mit 8 spielte er in seinem ersten Tango-Orchester, mit 15 in einer der populärsten Tango-Formationen des Landes und bald darauf in allen Ländern Lateinamerikas und mit allen Großen des Genres, mit Roberto Goyeneche, Edmundo Rivero, Raul Lavie, Agustín Irusta, Libertad Lamarque und César Zagnoli. Und dann, in den 80ern, mit Astor Piazzolla höchstselbst, dem Begründer des Tango Nuevo. Für Jaurena eine Begegnung wie eine Bekehrung: Um den Tango Nuevo –  die Vermittlung von Tango mit Klassik und Jazz  –  weiter zu entwickeln, geht er nach New York und gründet die New York Buenos Aires Connection, wird zum musikalischen Leiter des Thalia Theatre ernannt und tourt – oft gemeinsam mit Giora Feidman – durch die Welt. 2008 dann der Grammy fürs beste Tango-Album.

Germán Prentki ist 18 Jahre jünger als Jaurena, seine Geschichte aber ist 19 Jahre älter. Es ist eine deutsche, eine jüdische und uruguayische Geschichte:

Germáns Vater, Horst Günther Prentki, wurde 1922 in Berlin geboren, lernte Klarinette und Saxophon spielen und kam als 16-jähriger in das Orchester des Jüdischen Kulturbundes. Für einen Juden die letzte Chance überhaupt, in Nazi-Deutschland Musik zu machen. Aber erst die allerletzte Möglichkeit, den Nazis zu entkommen, hat Prentki sen. genutzt: Im Oktober 1940 schifft sich der 18-Jährige nach Uruguay ein  –  und dort beginnt er eine Geschichte, wie sie für Tango nicht typischer sein könnte: Er spielt in klassischen Orchestern und Etablissements, im Theater und der Spelunke, spielt Klassik und Varieté, spielt den Jazz wie in Berlin und den Tango von Montevideo. Hält seine Familie über Wasser, bringt seinem ersten Sohn die Geige nahe und seinem zweiten Sohn das Cello. Und dieser zweite, Germán, 1959 in Montevideo geboren und inzwischen fest in Deutschland engagiert, bringt die Musik dahin zurück, von wo sie vertrieben wurde.


So wird aus Weltkrieg Weltmusik.

>> 03. Oktober | 19 Uhr | 14 €