Kultur & Geschichte

“Schpil zhe mir an tango …”

Tango de Concierto: Eine juedische Geschichte

“Feindstaat Uruguay”: Mosaik im Turm der Christuskirche |thw

“Immer habe ich diese Dankbarkeit aufgesogen – ein offenes Land, frei und liberal, das alle Arten von Migranten akzeptiert hat.”

Für Juden ist Uruguay ein durchaus glückliches Land, es hat vielen das Leben gerettet, als sie aus Deutschland fliehen mussten. So wie der Vater von Germán Prentki, der im Oktober 1940 nach Montevideo entkommen konnte.  Ein 18jähriger Klarinettist, der auf der Flucht vor den Nazis den Tango gelernt hat.

Seit 1935 hatte Uruguay Flüchtlinge aus Europa aufgenommen. In Montevideo gab es schon länger jüdische Gemeinden, 1936 kam eine deutschsprachige dazu: Uruguay in den 30ern war also ziemlich genau das, wovor sich Sarrazin heute fürchtet (und wurde auf diese Weise Weltmeister, nicht etwa Vize):

“Das Gefühl, Uruguayerin zu sein, hatte ich immer, auch weil ich meine Großeltern hörte, wie sie davon sprachen, was für ein großartiges Land Uruguay sei, welches Glück, dass Uruguay uns aufgenommen habe. Immer habe ich diese Dankbarkeit aufgesogen  –  ein offenes Land, frei und liberal, das alle Arten von Migranten akzeptiert hat und ihnen Arbeit gegeben hat …”

so Daniela, eine junge Frau, diein Periplus zitiertwird. Interessant, dass sich der Tango in eben der Zeit entwickelt hat, in der Uruguay zum offenen Land wurde:

„Im Tango vermengen sich die musikalischen Traditionen der Einwanderermilieus von Buenos Aires oder Montevideo und osteuropäische Volkslieder, folkloristische Tänze wie beispielsweise Candombe mit Gaucho-Traditionen, die die Nachkommen von Spaniern und Indios in Südamerika pflegten. Auch wenn Aufnahmen einiger Tangostücke bereits vor dem Ersten Weltkrieg in Europa Furore machten, verbreitete sich der Tanz vor allem in der Zeit zwischen den Kriegen. Tango ging auf die Reise …“

schrieb Lennart Laberenz in der JUEDISCHEN ALLGEMEINEN. Auf seiner Reise zwischen den Kriegen kam der Tango dann über Paris und Berlin nach Warschau und Vilnius und  – “Schpil zhe mir an tango oys in jiddisch” –  wurde mit jiddischen Texten unterlegt:

Schpil, schpil, klezmerl, schpil –
Wi a jidisch harz hot gefil,
Schpil mir a tenzele, oj schpil,
Schpil, ich bet dich, mit neschome, mit gefil!

Für einen Klezmer-Musiker muss die Begegnung mit dem Tango damals etwa so gewesen sein wie ein Wiedersehen mit alten Freunden, die man nie kennen gelernt hat. Bein von meinem Bein, Fleisch von meinem Fleisch? Tango und Klezmer sind miteinander verwandt,  beide sind sie musikalische Mischformen und so offen für Einflüsse von außen wie Montevideo in den 30ern:

Schpil mit neschome, mit Seele, spiel mit Gefühl! Schönes Motto für eine Stadt der Kulturen.

Eine Stadt, wie sie das Ruhrgebiet gerne wäre. Immerhin zeigt die Liste der Feindstaaten im Turm der Christuskirche dies: dass Uruguay auch damals schon  –  1930, als die “Helden-Gedenkhalle” gebaut und Uruguay Weltmeister wurde  –  ein Begriff gewesen ist in Bochum. Ein Feindstaat für viele, eine Zuflucht für andere.

Eine, die Tausende Leben gerettet hat. Erst kam der Tango zu den Juden Europas, dann kamen die Juden Europas, von den Nazis vertrieben, zum Tango. Entkamen nach Argentinien oder  –  wie Horst Prentki  –  nach Uruguay. Und das hieß: Wieder neue Töne für den Tango und die Texte ein wenig verändert:

„Schpil-ssche mir a tango, nor nit arisch,
Sol doss sajn nit arisch, nit barbarisch,
As di ssonim soln sen, as ich noch tanzn ken
Un take a tenzele mit bren !

Schpil-ssche mir a tango ojss fun scholem,
Sol doss sajn a scholem nit kejn cholem,
As Hitler mit sajn Reich oj di kapore glajch…
Oj wet doss sajn a tenzele far ajch !

Also: Spielt mir einen Tango, nur nicht arisch und nicht barbarisch. Spielt mir einen Tango, damit die Feinde sehen, dass ich noch tanzen kann. Spielt mir einen Tango vom Frieden, der Frieden sein soll und kein Traum, auf dass Hitler mit seinem Reich im Erdboden versinke. Oj, was für ein Tanz für euch.

Was für ein Lied für uns. Und was für eine Geschichte. Es ist eine, die zuhört und mitspielt, wenn Prentki und Jaurena am Sonntag an dem Ort spielen, an dem Uruguay als “Feindstaat” erinnert wird und als Zuflucht.