21 Tote und 1 Minute
Kultur nach der Katastrophe der Kulturhauptstadt
Eine junge Frau, ein junger Mann, eng beisammen. Um sie herum ein Inferno, als hätte Hieronymus Bosch es gemalt, sie aber sitzen reglos umschlungen und sehen ins Nichts, zwei Raver im Tunnel von Duisburg.
Und dann, in den Tagen danach, hat es die eine Stadt, RUHR.2010, tatsächlich gegeben. Da haben hier alle getan, was sonst nur auf Bühnen gespielt wird, haben nach Worten gesucht und zu begreifen versucht, haben mitgefühlt und mitgelitten. Im Sommer 2010 standen hier alle beisammen, nur die Kultur stand betreten beiseite.
Was ich bis heute nicht begreife. Dass in eben dem Moment, der alle anrührt und zusammenführt, die Kulturhauptstadt verschwindet. Dass ihrer Kultur nicht mehr einfällt zum Tod der 21, als 1 Minute zu schweigen.
Es stimmt ja nicht, was man mir daraufhin erläutert hat, dass der Tod doch überall beschwiegen werde, dass er ein Tabuthema sei usw.: Der Tod ist pausenlos präsent im kulturellen Leben, auf den Bühnen, in Konzerten, im TV.
Und als er ins wirkliche Kulturleben trat? Als klar wurde, dass es um keinen Verkehrsunfall geht, sondern um die Kultur dieser Kulturhauptstadt? Dass es nicht nur um Ursachen geht, sondern um Bedeutung?
Alle Kultur ist Auflehnung gegen den Tod, Aufschrei gegen das Unrecht, das der Tod nicht wirkt, sondern ist. Nur dass, als die Menschen aufschrien, der Kulturbetrieb verstummte. Da war nichts mehr mit “Leuchttürmen”, einsam geleuchtet haben Tausende Kerzen.
Sie stehen für die Kulturhauptstadt und ihre Kultur, sie sind die Leucht- und Kirchtürme der Stadt.
Kultur, sagt man, heiße Spielen, das ist wahr. Aber Sinn hat dieses Spiel nur dann, wenn es Verbindlichkeiten schafft. Wenn Kultur bedenken lehre, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden, klug zum Leben.
Thomas Wessel für bochumer-advent.de, 19. Dezember 2010