Parfum Brutal
urban urtyp #7
Fröhlich und lieblich und roh: Ihren Namen haben sie nach einem polnischen Parfum gewählt, das den Ruf genießt, getrunken besser zu sein als aufgetragen. So wie Parfum Brutal live gehört besser ist als aufgelegt: Mit ihrem Rummage Pop – to rummage bedeutet so viel wie stöbern, wühlen – stöbern und wühlen sie sich durch die Vorratslager der Musik wie über einen irren Flohmarkt – auf dem Bild etwa, das ist der Potsdamer Platz, der, wenn man Flohmärkte mag, schon bessere Zeiten gesehen hat als heute: Den “Krempelmarkt”, zeitweilig auch “Polenmarkt”, gab es in den 80ern, heute schlendert sich Parfum Brutal durchs Goldene Jahrzehnt wie durch ein Spiegelkabinett und nimmt sich, was es gab und was es gibt und macht Musik daraus, die nach urbaner Liebe klingt, nach final goodbyes und happy hangovers.
Und dann klingt dieser Rummage Pop mitunter so, als drehe er sich um emanzipierte Kaninchen – ein seltenes Phänomen, das sich daraus erklären könnte, dass zwei der vier aus Karnickelland kommen, wo man seit alters her beides, die eigene Emanzipation wie das eigene Kaninchen, mit Hingabe pflegt: Daniel Brandl mit seinem Cello stammt aus Bochum und aus Dortmund Arno Bauch mit seinen Drums. Das Klavier von Philip Mancarella dagegen kommt aus Köln und die Stimme von Kassandra Papak aus Berlin. Eine Stimme, die alles andere ist als parfümiert, sondern einfach nur brutal fragil. Und arbeite, behauptete kürz
lich eine Hamburger Zeitung (da wo man das weiß), Papaks Stimme arbeite
“wie das Werkzeug eines Minenarbeiters: Sie bohrt sich durch die Masse. Und manchmal ist da am Ende Licht.”
Wie das im Bergbau so geht. Nur dass Parfum Brutal das ziemliche Gegenteil ist von einer Licht-am-Ende-vom-Bergbautunnel-Band. Das Licht am Beginn ihrer Karriere leuchtete von weit oben her …
… im Paradiso nämlich, einem ziemlich berühmten Konzertsaal in Amsterdam (der vormals war, was wir sind: eine Kirche). Vor vier Jahren hatten sich die vier beim Studieren in den Niederlanden gefunden, und während einer Kunstnacht in Arnheim haben sie auch ihren ersten Publikumspreis gewonnen. Was eine Menge entweder über das Arnheimer Kunstverständnis erzählt oder über die Live-Qualitäten von Parfum Brutal.
Bei urban urtyp gibt es keinen Publikumspreis, weil das Publikum der Preis ist. Nehmen wir aber mal an, es gäbe einen Preis fürs beste Publikum, dann allerdings könnte es so sein wie das, was sich Parfum Brutal auflegt: fröhlich und lieblich und etwas roh hinter den Ohren.
>> urban urtyp # 7 | Anstatt wie immer sonntags jetzt auch mal samstags wie noch nie. Aber wie immer 19 Uhr (Einlass) und wie immer nur 10 EUR.
>>myspace.com/parfumbrutal – und zum Reinhören zuerst einmal “Berlin”
>> uwe-rada.de: sehr gute Artikel von Uwe Rada, taz-Redakteur und Buchautor, über Ost- und West- und Polski Europa