Terror ächten

“Tötet!” … Wen auch immer

Was hat das Attentat von Oslo mit Ideologie zu tun?

An die Opfer des Massakers erinnern: Kathedrale von Oslo im August 2011 by Oskar Seljeskog cc 2.0

Erst der Gedanke und dann die Tat. So geht die Logik von Leuten, die planen. Planen beruhigt, es bedeutet, man könne auch die Nicht-Tat planen. Man müsse nur den Gedanken isolieren, ihn widerlegen oder wegsperren, das verhindere die Tat.

Nach dem Attentat von Oslo hat diese Art Ideologiekritik Konjunktur und hat sie deshalb, weil sie ihre eigene Präambel vergessen hat: Ideologie dient nicht dazu, eine Tat zu erzeugen, sondern sie zu erklären.

Um seine Tat zu erklären, hat der Killer von Oslo 1500 Seiten gebraucht. Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem, was er schrieb und dem, was er tat? Wenn jemand sagt, er hasse den Islam und richtet norwegische Sozialdemokraten hin?

Der Mann hat keine Moschee in die Luft gejagt, sondern Jagd gemacht auf Menschen, denen er selber zum Verwechseln ähnelt. Mit einem Unterschied, soweit es die Frauen und Mädchen angeht, die er hingerichtet hat, darüber hat EMMA einen Newsweek-Artikel von Michelle Goldberg gebracht:

    “Der Wahn der ‘Feminisierung’ spukt durch das gesamte bizarre Dokument”

schreibt Goldberg über den 1500-Seiten-Sermon und zitiert den Killer mit Sätzen wie

    “Die weibliche Manipulation der Männer ist … Ursache der Verweiblichung der Männer”.

Das ist die ganze modern male malaise in einem Satz. Nur dass Breivik seine Leidensgenossen nicht befreit, er schießt sie einfach ab  –  handelt es sich um Männerhass? Und während man so fragt, dreht sich die Ideologiekritik im Kreis:

Hat der Killer nun aus Männer- oder Frauenhass gehandelt? Aus Islam- oder, das dürften die meisten seiner Opfer gewesen sein, Christenhass? War es Liebe zur Nation oder Hass auf alle Norweger?

Diese Art Ursachenforschung geht davon aus, dass es überhaupt noch einen Zusammenhang gibt zwischen dem, was einer wie Breivik tut und wie er sein Tun erklärt. Offenbar fällt es ihm schwer. Ideologie ist lange nicht mehr das, was sie mal war, deswegen 1500 Seiten lang. Sie taugt zu allem und zu nichts.

Im Anfang war die Tat

Für das “Manifest” dieses Killers gilt in einer obszönen Weise, was Max Horkheimer vor 58 Jahren über das Sprechen gesagt hat, es sei an sein Ende gekommen,

    “weil der Einzelne, der zum anderen spricht, als Einzelner, sagen wir als denkendes Subjekt, nichts mehr zu sagen hat  –  in dem Sinn, wie es heißt: ‘Der hat nichts zu sagen’, das heißt, der ist ohnmächtig, er kann nichts vollbringen, auf sein Wort hin geschieht nichts. Es hat nichts zu sagen, heißt, es hat keine Konsequenzen, es bedeutet nichts, es tut nichts, es macht nichts.”

Im Anfang war die Tat, sie erst macht etwas. Etwas, das aussieht wie eine Kette von Ursache und Wirkung. So monströs ist diese Tat, dass man ihre Erklärung als bedeutsam handelt und nicht als das, was sie ist: großkotzig. 1500 Seiten lang fristet das Wort, nochmals Horkheimer,

    “ein mickriges Dasein als Bildungsgespenst”,

auf das sich nun die Gebildeten stürzen. Etwas Kant etwas Mill, etwas Dies etwas Das, ein Bildungsbrei, der letztlich nur das eine klärt: dass es alle treffen kann und dass es keinen Grund dafür braucht. Tötet die Norweger, “tötet die Deutschen”, tötet Juden oder Muslime oder Christen, tötet wen auch immer, aber tötet. Und dann wird sich immer irgendetwas finden, das dem Morden höhere Weihe verleiht, den

    “spiritualistischen Point-d’honneur”

wie Marx diese Art von Religion genannt hat: eine “feierliche Ergänzung” von dem, was ist. Die “moralische Sanktion” der Tat, ihre “Logik in populärer Form”. Heute lautet diese populäre Logik, die man gerne zu Rate zieht: dass zuerst der Gedanke sei, aus ihm folge die Tat.

Anders Boris Johnson, der Tory-Politiker und Bürgermeister von London, der Stadt, in der man weiß, was Terror ist, er schreibt über den Killer von Oslo:

    It wasn’t about immigration, or Eurabia, or the hadith, or the Eurocrats’ plot against the people. It wasn’t really about ideology or religion. It was all about him …