Der 27. Januar sollte zum städtischen Gedenktag werden
Gedenken an die Deportation aus Bochum in den Tod - und an den Tag der Befreiung
m Januar 2010 wurde bei Bauarbeiten in Berlin ein Kunstwerk aus der Erde geborgen, ein Bronzeguss des Bildhauers Edwin Scharff. Das Bildnis zeigt die Schauspielerin Anni Mewes, die Nazis hatten es 1937 als “entartet” beschlagnahmt. Zehn weitere Kunstwerke waren Jahrzehnte lang im Herzen der Stadt verborgen, jetzt gab die Erde sie preis, als sei es an der Zeit zu bestätigen, was Paul Klee gesagt hat: Kunst gibt nicht wieder, was sichtbar ist, Kunst macht sichtbar.
Sichtbar wird, dass sich die Erde öffnet und Massengräber offenbart. Allein in der Ukraine sind es Tausende, die sich auftun in dieser Zeit, oft zufällig bei Bauarbeiten entdeckt. Im Akkord hatten die Nazis gemordet und Hunderttausende ihrer Opfer in der Erde verscharrt, nur von den Wenigsten kennen wir die Namen. Am 26. Januar, dem Vorabend des Tages, an dem Auschwitz befreit worden ist, verliest die Jüdische Gemeinde Bochum die Namen derer, die aus Bochum und Wattenscheid deportiert worden sind, um ermordet zu werden.
Es sind Mitglieder der Gemeinde, Kinder und Jugendliche, die Namen lesen von denen, die vor ihnen Mitglieder der Gemeinde gewesen sind. Sie lesen die vielen Hundert Namen in der Synagoge, die es heute gibt, nachdem es 69 Jahre keine gab.
Auch wer aus der Ukraine, Russland und Weißrussland stammt, liest die Namen seiner Lieben, die ermordet worden sind. Sechs Kerzen brennen, sie stehen fürs nicht Vorstellbare, die Zahl von sechs Millionen, die ermordet worden sind.
“Nur wir haben überlebt”.
So heißt das Buch von Boris Zabarko, der renommierte ukrainische Historiker hat Zeugenaussagen gesammelt. Wie die Erschießungskommandos ins Dorf einrücken:
“Die Kinder verstanden. Sie weinten nicht, sondern standen schweigend da, als seien sie verzaubert worden.”
So erinnert sich Michail Rosenberg, er war Augenzeuge, als er acht Jahre alt war. Nicht vorstellbar, was er und andere Kinder sahen, unvorstellbar auch ihr ungeheurer Mut:
“Mutter hielt mich ganz fest, drückte mich an sich und sagte: Wenn wir sterben, dann zusammen, damit du nicht leiden musst.’ Aber ich riss mich los, sprang durchs Fenster und entkam.“
Einige von denen, die entkommen sind, leben heute in Bochum, auch Alfred Salomon, der Auschwitz überlebt hat. Sie sind das Gewissen der Stadt, sie machen begreifen, wem die Befreiung zu danken ist.
Und sie machen begreifen, dass das Morden in keinem Nirgendwo geschah, sondern hier begann: Der Tag der Befreiung von Auschwitz ist in Bochum zugleich der Tag, an dem die erste Deportation stattgefunden hatte, das war drei Jahre zuvor, am 27. Januar 1942. Bochum war dann zum “Sammelort” geworden für die Juden der Region und dann auch für Sinti und Roma.
Es ist an der Zeit, dass der 27. Januar zum städtischen Gedenktag wird.
Es gibt Städte in dieser Republik, die am 27. Januar versuchen, sich in dem zu verorten, was im Begriff Holocaust zu verschwinden droht. Sie veranstalten, sie erklären, sie verlautbaren. Es ist gut, dass sie es tun, es geht nicht um die Antwort, es geht um die Suche nach ihr. Man kann dieser Suche nicht ausweichen, Nordbahnhof und “Judenhäuser” und Saure Wiesen – was verborgen liegt in der Stadt, es verschwindet nicht, es macht sichtbar.
Überall, auch hier in dieser Stadt, kann die Erde nicht verbergen, die getötet sind. Für uns, die wir auf dieser Erde leben, wäre es gut, würde der 27. Januar zu einem Tag im Kalender der Stadt werden. Zu einem offiziellen Tag im Kalender des Rates und seiner Repräsentanten. Kein Tag, um Reden zu halten oder Grußworte zu faxen, sondern um Bochumer Namen zu lesen, zu hören und zu verstehen.
Wir haben eine Jüdische Gemeinde in der Stadt.