Al Andaluz sin azúcar
Kann Schönheit nur schön sein, wenn sie aus der Idylle kommt? Natürlich nicht, von Grönemeyers “Bochum” führt kein gerader Weg nach Bochum und vom Al Andaluz Project keiner nach Al Andaluz. Das Leben dort – zwischen 711 und 1492 – war kein Torremolinos der Toleranz, auch wenn Reisebüros glauben machen, es sei so gewesen: 711, als die Mauren Spanien eroberten, wurden 150 000 Menschen versklavt.
Die Weltkultur, die dann entstand, konnte deshalb entstehen, weil eine Weltwirtschaft entstanden war, “ausgestattet mit transkontinentalen und transozeanischen Handelswegen, die erlaubten, Güter und große Mengen an Menschen über riesige Entfernungen zu befördern”, so Egon Flaig:
“Zentral war der Sklavenhandel.”
Gehandelt wurden Menschen millionenfach. Flaig und andere haben beschrieben, wie eng Kultur und Sklaverei – nicht nur in Al Andaluz, aber eben auch – ineinander verwoben waren, wie groß der Hunger nach Menschen wurde und wie weit die Wege, das Material zu beschaffen: Die “Lieferzonen” dehnten sich aus, Europa, Nordafrika, Indien – Hindukusch heißt übersetzt “Hindu-Tod”, weil Hunderttausende Inder über dieses Gebirge in die Sklaverei verbracht worden sind.
Und doch – oder: deswegen – war die Kultur, die Al Andaluz hervorgebracht hat, von großer Güte. Es gab Phasen von menschheitlichem Glück, in denen ein einzelner Gelehrter – Ibn Rushd, lateinisch: Averroës – den kompletten Aristoteles davor gerettet hat, komplett vergessen zu werden. In Al Andaluz haben, in der Begegnung mit Aristoteles’ Werk, ein Moslem – Averroës – und ein Jude – Maimonides – die Frage formuliert, die das Denken bis heute antreibt, nämlich wie sich Glaube und Vernunft zueinander stellen. Die ur-europäische Frage.
“Ibn Rushd hat den Grundstein gelegt für eine rational fundierte Religionskritik innerhalb des Islams,”
schreibt Georg Bossong. Wirkung allerdings entfaltete der Aufklärer Ibn Rushd in der christlichen Theologie, in der islamischen geriet sein Denken in Vergessenheit. So gesehen überrascht es dann nicht, dass auch der Mythos von Gleichheit und Toleranz, die Al Andaluz regiert hätten, in Europa entstanden ist. “Ein angenehmes Märchen”, wie Siegfried Kohlhammer dies 2003 im MERKUR genannt hat – eines, das sich die Aufklärung gestrickt hat:
“Das europäische Interesse am muslimischen Spanien wurde im 18. Jahrhundert durch die Aufklärung und deren Islamophilie vorbereitet. Ein idealisiertes Bild der islamischen Welt – ihrer quasi aufgeklärten deistischen Religion (keine Kirche, keine Geistlichen, keine Inquisition, keine Bücherverbrennungen oder Autodafés, so glaubte man), ihrer Toleranz, ihrer gerechten Gesetzgebung und undogmatischen Vernunft – diente als Mittel der Beschämung und Kritik des christlichen, insbesondere des katholischen Europa.”
Den Zuckerguss über Al Andaluz hat die Aufklärung angerührt, aber wer hat schon Lust, mit Zucker überzogen zu werden.
Eben darum ist das, was Al Andaluz Project mit der Musik aus Al Andaluz macht, so “gültig”, wie Michael Popp sagt: kein Eierkuchengesang vom interreligiösen Frieden, sondern … aber ich wiederhole mich. Schönheit ist nie idyllisch.
» Samstag 24. April 20 Uhr
» rein akustisches Konzert !