Kantiges Theater ohne nervigen Betrieb
Arne Nobel arbeitet an einem Festival in Bochum
“Arne Nobel arbeitet an einem Festival in Bochum”, titeln die RuhrNachrichten, und die WAZ zitiert den Satz: “Ich bin ja auch ein Pirat.” Soll heißen: Arne Nobel entert das Kirchenschiff. Hier eine Doku der beiden Berichte.
Max Florian Kühlem in den RN
“Entspannt sitzt Arne Nobel auf einem Dachbalkon an der Rottstraße 5. Hier hat er das jüngste Bochumer Off-Theater mitgegründet und bis zur Selbstaufgabe betrieben. Bis zum Burn Out Ende vergangenen Jahres. Er hat ihn überstanden und arbeitet jetzt sogar wieder in Bochum – unter anderem. Arne Nobel, der dem Schauspielhaus mit „A Tribute to Johnny Cash“ einen der größten Publikumserfolge der vergangenen Jahre schenkte, sah sich immer gern als Pirat. Weil ihm am großen Haus den Erfolg niemand so recht danken wollte, es künstlerisch nicht weiterging, holte er sich eben selbst, was er wollte: Kantiges, ursprüngliches Theater ohne nervigen Betrieb. In einem eigenen Haus, seinem Piratenschiff.
Als dort die Kunst in den Hintergrund und der Kampf gegen die Finanznot und den privaten Ruin auf mehreren Ebenen in den Vordergrund rückte, zog Arne Nobel die Reißleine. Er machte eine Kur im Weserbergland, wo der Zufall es wollte, dass der Klinikchef seine Kunst kannte: „Der ist genial, den müssen wir wieder hinkriegen“, soll er gesagt haben. Er hat den Künstler wieder hingekriegt und sein Weg führte ihn unter anderem nach Hamburg, Bremen und München.
„Ich habe Kunst und Theater geguckt, Freunde besucht, Kraft getankt, in München angefangen zu malen“, erzählt Arne Nobel, „alles, wofür ich vorher keine Zeit hatte.“ Doch dem Lockruf der Bühne konnte er sich nicht allzu lange verschließen. Nobel spielte Gastspiele seines Solos „Troja III“, eine harte Geschichte, die vom Kriegsheimkehrer Odysseus erzählt. Und dann wurde er auf einmal wieder zum Piraten: Auf der 9000 Quadratmeter großen Freilichtbühne in Grevesmühlen spielt er an der Seite von Martin Semmelrogge („Dem darf ich jeden Abend eine runterhauen!“) den Piraten Ben Gun. Vor 1500 Zuschauern, oft Familien, die ihren ganzen Tag dort verbringen.
„Das ist das, wo wir herkommen, ganz ursprüngliches Theater“, findet Arne Nobel, „und eine unglaublich anstrengende, körperliche Erfahrung.“ Die Freilichtspiele kommen sogar eher seinem sinnlichen Theaterbegriff entgegen: „Das Stadttheater ist ja eher eine bürgerliche Erfindung“, sagt er. So tankt er an der Ostsee Kraft für weitere Projekte wie das Festival „Kein Raum der Gewalt“ in der Christuskirche. Zu dem nun zwar doch nicht Maren Eggert und Peter Jordan kommen.
Zu dem aber Regie-Legende Jürgen Kruse das Plakat malt und dessen Programm namhafte Bochumer Künstler wie den Maler Stephan Geissler, Raumkünstlerin Monika Ortmann, Fotografin Birgit Hupfeld oder die Schauspieler Thomas Anzenhofer, Oliver Möller und Magdalena Helmig gestalten. Auch die Antikriegs-Trilogie „Troja“ aus dem Rottstr5-Theater wird zu sehen sein, mit einer umgeschriebenen ersten Folge. Trotz guter Zusammenarbeit schließt Arne Nobel eine Rückkehr ans Theater aus. Das wäre ein Schritt zurück – und den tut er ungern. ”
Tom Thelen in der WAZ
“Er sieht fast noch wüster aus als zu seiner Bochumer Zeit. Wilder Vollbart, mittellange strähnige Haare, das schwarze Hemd weit offen. Der Unterschied beim Treffen am Mittag: ein kleiner Espresso statt eines großen Weizenbiers. Arne Nobel ist zurück, es ist ein neuer Nobel. Doch mit altem Elan.
2005 hatte er sich verliebt. In die Stadt Bochum. „Wo ist denn hier das Rathaus?“ hatte er gefragt. Ein Bochumer geantwortet: „Jung’, ich bring’ dich hin“. Dann das Schauspielhaus. Noch mehr Liebe. Doch trotz des überragenden Erfolges des von Intendant Elmar Goerden als „Zwischenproduktion“ abgetanen Johnny-Cash-Liederabends, den Nobel trotz „absurder Probenbedingungen“ auf die Bühne brachte: keine Gegenliebe.
Deshalb gründete er mit Mitstreitern das eigene Rottstr5-Theater. „Ich bin Künstler, ich will Kunst machen; ich will arbeiten, nicht arbeitslos sein“. Aus dem Proberaum, der Experimentierbühne wurde ein reguläres Theater. Und das Publikum liebte es. Liebte die Nähe zu den Schauspielern, die Reibungsenergie, die Hitze. Aus dem Experiment wurde Institution. „Ich war nur noch 20 Prozent Künstler. Ich hatte das Kartenhandy, hab die Kasse gemacht, hab mit der Presse geredet.“ Dazu der wirtschaftliche Druck. Keine Förderung, Haushaltssperre. Folge Existenzangst. Vor ziemlich genau einem Jahr dann, im Sommer, nach der erfolgreichen Premiere von „Zoo Story“, der Nervenzusammenbruch, Burn-Out. „Ich hatte noch 20 €, das war’s“.
Es folgte die Trennung. Keine schmutzige, kein Theaterdonner. Arne Nobel erzählt von einem guten Arzt, der ihm danach half: Er landet im Weserbergland in einer Klinik. Zusammen mit Managern, Millionären und Afghanistan-Veteranen. „Damals wollte ich nur noch als Kellner in einem Café arbeiten – bloß keine Verantwortung mehr“. Doch der Künstler in Nobel blieb lebendig. Wie eine Legend klingt, dass der Klinikchef ihn auf der Bühne erlebt haben soll, als er seine Tochter in Bochum besucht habe. „Den müssen wir wieder hinkriegen, der ist genial“, soll es in der Klinik geheißen haben. Es hat geklappt. Zum Abschied spielte Nobel nach sechs Wochen seinen Monolog Troja III. „Ich weiß jetzt wie viel Odysseus in mir steckt“.
In München zur Ostsee engagiert
Wie das Leben so spielt, bekam er in München ein Angebot, einen Piraten an der Ostsee zu spielen. Als der Regisseur seine Stimme am Telefon hört, ist er fast engagiert, als er ihn sieht, fällt das Vorsprechen aus. Seither tobt er als Ben Gun vor bis zu 1600 Zuschauern über eine neun Hektar große Bühne, freut sich, dass Feuerschutz kein Thema ist und über das „ursprüngliche Theater“ hier in Grevensmühlen bei Wismar. „Ich bin ja auch ein Pirat!“. Mit Martin Semmelrogge spielt dort jemand, der etwas von Höhen und Tiefen versteht. Nobel versteht sich allerdings besser mit dessen auch spielenden Kindern Dustin (32) und Joanna (23).
Über den Erfolg des Rottstr5-Theater freut er sich. „Toll, dass das weiterläuft. Und ein echter Skandal, dass die kürzlich die Landesförderung nicht bekommen haben.“ Klar sagt er auch, dass das heutige Programm mit ihm nicht gegangen wäre. Doch das Thema sei abgeschlossen.
Schon vor seinem Engagement als Pirat habe er vom Kuratorium der Christuskirche das Angebot bekommen, künstlerischer Leiter eines Projekts zum 11. September zu werden. Die Besetzung des einwöchigem Theater-, Kunst- und Musikfestivals steht noch nicht fest. Dabei sind viele Bochumer Kulturschaffende. Und wer gestaltet das Plakat? Eine weitere tolle Geschichte: Theater-Regisseur Jürgen Kruse.
Arne Nobel ist wieder angekommen in Bochum. Hoffentlich bleibt er für länger.
In der Christuskirche mit dabei (nach Stand der Dinge):
der Maler Stefan Geisler, die Künstlerin Monika Ortmann, die Schauspieler Thomas Anzenhofer, Dagny Dewath und Andreas Bittl sowie die Fotografin Birgit Hupfeld.