Platz des europäischen Versprechens

Streitgespräch: Den Platz des europäischen Versprechens vollenden oder rückbauen?

RN diskutiert mit Wolfgang Cordes und mir

Platz des europäischen Versprechens | Foto Lutz Leitmann, Stadt BO (c)

Benedikt Reichel [RN] hat Wolfgang Cordes, Fraktionschef der Grünen, und mich zum Streitgespräch gebeten über den PLATZ DES EUROPÄISCHEN VERSPRECHENS. Über dessen Idee, die Kosten und eine Stadt, die ihr Verhältnis zu Europa öffentlich erwägt:

Um die Fronten zu klären: Was fällt Ihnen zum PLATZ DES EUROPÄISCHEN VERSPRECHENS ein?

WOLFGANG CORDES |  Ein Projekt, das mit teils unglaublicher Arroganz durchgedrückt werden sollte, koste es was es wolle.

THOMAS WESSEL | Die europäische Idee gewinnt ein Bild.

Welche Idee ist das?

WESSEL | Man sagt, Europa stehe für Toleranz, für Frieden, für ausgleichende Gerechtigkeit. Für diese Ideen gibt es keine Bilder, Europas Werte-Himmel ist bilderlos.

Sie glauben, die Namen könnten dieses Bild sein?

WESSEL | Ja. Das hat mit der Gegenständlichkeit des Platzes zu tun, seiner Erdung. Er wird nicht nur in, sondern aus Namen gebaut. Die Namen sind der Platz, sie sind der Werte-Himmel auf Erden: Im öffentlichen Raum bürgen Namen für das, was Europäer in Europa sich versprochen haben.

CORDES | Das ist zu intellektuell. Mich erinnern die Platten eher an ein Massengrab. Außerdem hat Europa für mich bereits viele Bilder.

Welche sind das?

CORDES | Das sind die Bürgerkriege, die großen Kriege des 20. Jahrhunderts. Es gibt Bilder der kolonialen Machtergreifung der europäischen Staaten. Bilder der französischen Revolution. Es gibt positive Bilder von Europa, aber zugleich auch zerstörerische. Ich finde es schwierig, jedem zu überlassen, wofür er seinen Namen gibt. Denn Gewaltfreiheit, Menschenrechte und Toleranz sind die kürzeste Zeit europäischer Geschichte.

Das Versprechen für Europa beinhaltet nicht automatisch denFriedensgedanken?

CORDES | Genau. Europa war auch sehr gewalttätig war, sogar verbrecherisch.

Können die Namen hier missinterpretiert werden, Herr Wessel?

WESSEL | Die Geschichte Europas hat sich in der Christuskirche selber verdichtet, in ihrem Turm wird der Erste Weltkrieg erinnert, die Ur-Katastrophe Europas. Die Toten werden erinnert, die “Feinde” werden erinnert. Ob versöhnend gemeint oder revanchistisch, lässt sich nicht sicher sagen.

CORDES | Es wäre zumindest untypisch, wenn es nicht revanchistisch gedacht wurde. Eine vernünftige Antwort auf Europa muss für mich zudem die Antwort auf den Nationalsozialismus sein.

Bietet die Christuskirche diese Antwort ebenfalls?

WESSEL | Totalitäre Gesellschaften haben Voraussetzungen. 1931, als die “Helden-Gedenkhalle” eingeweiht wurde, war Bochum “Gau-Hauptstadt” der Nazis. Gleichzeitig predigte in dieser Kirche Hans Ehrenberg, Vordenker des kirchlichen Widerstands, ein deutschlandweit bekannter Publizist. Soll heißen: Jeder konnte sich entscheiden. Jeder kann sich selber befragen und vor sich selber verantworten. Das ist die Idee Europas: Dass der Einzelne mehr zählt als das Ganze.

Aufgrund des Platzes setzen wir uns hier mit der europäischen Geschichte auseinander. Ist das nicht die Idee, die hinter den Namensplatten steht?

CORDES | Die Steine mit den Namen bieten keine inhaltliche Verbindung, keinen Anlass für eine Auseinandersetzung. Nur mit den Platten wären wir nicht auf dieses Gespräch gekommen. Da muss man schon viel erläutern.

WESSEL | Sehe ich anders. Im Hintergrund die Geschichte Europas, vor uns das, was wir uns versprechen. Jeder kann sich entscheiden …

Glauben Sie, die Unterzeichner haben sich diese Gedanken gemacht? Ich selbst mich seinerzeit kaum damit auseinander gesetzt. Online-Listen waren halt schick. So ging es mitunter vielen…

WESSEL | Das ist spekulativ.

CORDES | Das andere auch.

WESSEL | Es ist extrem arrogant, gerade wenn es aus politischem Mund kommt. Wir sind mit der Idee für diesen Platz nicht dahin gegangen, wo Palastreden gehalten werden, sondern auf die Straße. Wir haben Leute eingeladen, die nicht gewöhnt sind, eingeladen zu werden. Die mit Kulturhauptstadt nichts anfangen konnten, wohl aber mit Europa. Sag denen, sie hätten sich nichts dabei gedacht, Wolfgang.

CORDES | Das sage ich ja gar nicht. Aber ich sage: Wer in 20 oder 30 Jahren hier vorbei kommt und die Platten sieht, der bekommt dieses Bild Europas nicht mit. Die Besucher werden sich diese Gedanken keinesfalls machen.

WESSEL | Warum denn nicht?

CORDES | Ja warum denn?

WESSEL | Weil sie wissen, der Platz, auf dem sie stehen, ist ein versprochenes Land.

CORDES | Und da beginnen die Bedenken…

Warum?

CORDES | Weil nicht klar ist, mit welchem Gedanken an Europa das Versprechen gegeben wurde. Wie ich sagte, Europa war auch gewalttätig.

WESSEL | (genervt) … ja ja, es könnten alles Nazis sein …

CORDES | … das können sonst was für Gedanken sein.

WESSEL | So ist das in einer Demokratie. Die Leute denken selber. Und können, was wir denken, auch selber verändern. Da kannst Du sie schon auch mal ernst nehmen als Individuen.

Wenn Sie das künstlerische Konzept nicht überzeugt, Herr Cordes, warum haben Sie den PeV mitgetragen?

CORDES | Ich bin kein grüner Kulturfaschist, der nur durchsetzt, wovon er selbst begeistert ist. Ich kann ohne weiteres Dinge aushalten, die ich nicht voll teile. Es gab viele Befürworter, aber  auch da bereits kritische Stimmen.

Warum halten Sie es jetzt nicht mehr aus? Inhaltlich hat sich nichts geändert.

CORDES | Die künstlerische Bewertung ist das Eine. Inzwischen geht es ums Geld. Dieses Wort muss man auch im Kulturbereich mal in den Mund nehmen.

Eine Frage des Geldes

Das Geld ist der aktuelle Streitpunkt beim PLATZ DES EUROPÄISCHEN VERSPRECHENS. Die Kosten entscheiden über die Zukunft  …

WESSEL | Die Kosten haben sich nicht verändert, die Zahlen sind stabil.

CORDES | Welche Zahlen?

Sie reden von den Kosten der Namensplatten. Das Geld dafür sollte doch das Projektbüro ranschaffen.

WESSEL | Unsinn. Keine Ahnung, wer das in die Welt gesetzt hat.

Die Stadt baut den Platz, die Platten macht Gerz …

WESSEL | In dem Vertrag, den die Stadt 2007 mit Jochen Gerz abgeschlossen hat, verpflichtet sie sich, für die Herstellung und Finanzierung der Namensplatten aufzukommen. Das ist eindeutig. Für das Projekt wurde ein Startkapital von 1 Million Euro zur Verfügung gestellt  –  50 Prozent vom Land, 50 Prozent von der Stadt, jeweils zur Hälfte für den künstlerischen und den städtebaulichen Prozess. Es war klar, dass 500 000 Euro für einen Platzausbau nicht reichen werden.

CORDES | Falsch. Ich selbst habe im Ausschuss nachgefragt, ob das sämtliche Kosten sind. Mir ist von Verwaltungsseite gesagt worden, das wäre alles. Später kam heraus, man hatte die Herstellung der Platten und die Gravur der Namen gar nicht mit eingerechnet. Da bin ich direkt belogen worden.

WESSEL | Von wem?

Herr Gerz hat nie gern über Kosten gesprochen…

WESSEL | Er ist nicht der Auftraggeber. Im Vertrag ist festgehalten, die Stadt kommt für die Kosten der Namensplatten auf.

CORDES | Es steht auch eine Kostenobergrenze drin.

WESSEL | Unsinn. Die Stadt hat sich verpflichtet, die Namensplatten “gesondert zu finanzieren”.

CORDES | Aber unter Haushaltsvorbehalt.

Haushaltsvorbehalt heißt: Wenn die Stadt nicht kann oder nicht will, muss sie nicht.

WESSEL | (lacht) So machen wir das demnächst auch …

CORDES | Genau das heißt Haushaltsvorbehalt.

WESSEL | Ich bin kein Jurist, aber es fällt schwer mir vorzustellen, dass Politik nach Gemütslage entscheidet, ob sie Verträge halten will oder nicht. 2007, als die Verträge geschlossen wurden, gab es bereits eine erste Schätzung der Zusatzkosten.

Zusätzlich zu der einen Million “Startkapital”. Wie viel mehr?

WESSEL | 1,5 Millionen Euro.

CORDES | Das wurde nie kommuniziert. Nicht in den Vorlagen der Verwaltung, und die kannte Gerz, die kanntet ihr.

Muss der Künstler einzuschreiten, wenn die Verwaltung die Politik falsch informiert?

CORDES | Nein, aber er ist damit ein Mitwisser.

WESSEL | Das finde ich wirklich unangenehm, jetzt auf den bösen Künstler zu zeigen. Der Gestus hat sich eingeübt im Hause nebenan, er ist äußerst provinziell.

Herr Cordes, wenn die Verwaltung Sie falsch informiert, haben Sie ein Problem mit der Verwaltung, nicht mit dem Künstler.

CORDES | Richtig. Dennoch, alle die damals ein sehr gesteigertes Interesse an dem Projekt hatten, haben die Kosten nicht transparent formuliert.

WESSEL | Das halte ich für ein Schutzargument.

CORDES | Warum?

WESSEL | Es ist doch nicht der erste Platz, den Ihr baut. Jedem war klar, dass man für eine halbe Million einen Radweg kriegt, aber keinen Platz dieser Größenordnung. Wir reden von 3000 qm. Das Signal 2007 war: Fangt an. Zu dem Zeitpunkt hätte niemand sagen können, ob wir Europäer in Europa finden, die sagen, ich nehme die Einladung nach Bochum an.

CORDES | Die Information an die Politik war eine andere.

Ein Teil des Geldes wurde zunächst aus Düsseldorf bereitgestellt …

WESSEL | Das Projekt startete, als in Bochum und im Land Rot-Grün regierten. Nach dem Regierungswechsel im Land stieg CDU-Minister Oliver Wittke aus dem Boot, plötzlich ruderten wir –  Stadt, Kirche, Künstler  –  allein auf dem Fluss. Jetzt hat Jochen Gerz es geschafft, das Land zurück ins Boot zu holen, wir sind wieder in der Startformation.

Eine Million Euro gibt das Land. Das Geld kommt aber nicht aus dessen Haushalt. Es sind Fördermittel, die Bochum eigentlich zurückzahlen müsste …

WESSEL | Es liegt keine Million in Düsseldorf herum, die nimmt, wer kommt. Gerz und wir haben über Jahre für das Projekt der Stadt geworben. Ohne Honorar, die Motivation hieß Sinn. Jetzt sagt Rot-Grün im Land: Ja, es ist weiterhin ein gutes Projekt, ein sinnvolles Projekt, es hat Strahlkraft für das Land.

CORDES | Da ist kein neues Geld bewilligt worden. Es handelt sich um erwartete Mieteinnahmen der nächsten zehn Jahre für eine Fläche des ehemaligen Bochumer Vereins, die ansonsten an das Land hätten zurück gezahlt werden müssen. Das Land hat angeboten, diese der Stadt zu überlassen, ohne den PeV als Zweck festzuschreiben. Es gibt genug Aufgaben, die damit vollendet werden könnten.

In der Regel ist es so, dass die Gelder nicht zurückgezahlt werden müssen?

CORDES | Richtig. Aber hier wird wieder nicht genau kommuniziert. Denn damit kommen auch Kosten auf die Stadt zu, die einen Eigenanteil aufbringen muss. Das gibt die Beschlusslage nicht her. Darin heißt es: Weiter gemacht wird nur mit Spenden und Sponsoring.

WESSEL | Das heißt aber, dass ihr Euch darum bemüht. Das habt ihr nie getan.

Können Sie den Ärger nachvollziehen, Herr Wessel?

WESSEL | Die Grünen streiten mit einer Verwaltung, die sie selber regieren. Wir geraten dazwischen, die lokale Mühle zermalmt die europäische Initiative. Es ist absurd.

CORDES | (lacht) Wenn ihr es doch gewusst und die Kosten nie kommuniziert habt.

WESSEL | Die Falle habt ihr Euch selber gestellt.

Welche Falle?

WESSEL | Ende 2009, als es in den Nothaushalt ging, habt Ihr zwei Beschlüsse gefasst: Der Platz soll ohne Namensplatten ausgebaut werden. Und: Das Projektbüro wird aufgelöst, Ende der Kunst und definitiv keine Chance mehr, Finanzmittel zu akquirieren. Wir haben Euch damals geschrieben: Wer anfängt zu bauen, muss fertig bauen wollen. Fangt nicht an, wenn ihr nicht wollt.

CORDES | Wir wollten den Platz städtebaulich zu Ende haben.

WESSEL | Dafür war die Kunst gut genug? Die Kunst, die Kirche und die Teilnehmer? Um Fördermittel für den Städtebau an Land zu ziehen?

CORDES | Der Platz musste gemacht werden. Es war ein Projekt auf zwei Beinen. Ein Bein ist weggekippt. Jetzt haben wir zumindest das städtebaulich so, dass man damit leben kann.

Der Lösungsansatz

Vor mehr als einem Jahr wurde der Platz fertig gestellt. Der städtebauliche Teil. Dennoch stehen wir nun vor der aktuellen Situation: Richtig fertig ist der Platz nicht. Wie geht es weiter?

CORDES | Wenn wir aus diesem Projekt aussteigen wollen, müssen wir uns auf den Modus einigen.

WESSEL | Inzwischen reden wir nicht mehr über Ausstieg, sondern über Rückbau.

CORDES | Das finde ich spannend. Was heißt Rückbau? Welche Erwartungen hat da die Kirche?

WESSEL | Es geht um rund 900 Quadratmeter in bester Lage, die haben wir für Kunst gegeben. Bekommen haben wir eine Asphaltfläche, von der man sagen kann, dass sie als öffentliches Pissoir gut angenommen wird. So haben wir nicht gewettet. Wir können nicht einmal etwas dagegen tun. Die Verantwortung liegt bei der Stadt und wir gucken zu, wie unser Grundstück versifft.

Der Anblick des halbfertigen Platzes kann auch Sie nicht erfreuen, Herr Cordes.

CORDES | Die Situation ist bescheuert, über die Ursachen haben wir uns unterhalten. Jetzt müssen wir nach Lösungen suchen.

WESSEL | Fertig bauen. Das ist die einzige Lösung.

CORDES | Du sagtest gerade Rückbau, das hat der Künstler auch angeboten. Was bedeutet das?

WESSEL | Dass wir die kirchlichen Flächen bewirtschaften können.

Warum nehmen wir nicht einen Betonplatzhalter und erklären in einer Platte, was hier passiert ist? Es wäre ein Stück Prozess-Kunst.

WESSEL | Die Option bestand bis Juli 2010. Dann kamen die Bagger. Jetzt bleibt nur Fertigstellung oder Rückbau. Rückbau kostet.

CORDES | Das müssen wir gegenrechnen.

Ist es ernsthaft denkbar, dass der Platz wieder ab- oder umgebaut wird?

WESSEL | Ist es europäisch denkbar? Ist es vorstellbar, den Teilnehmern zu sagen: Liebe Europäer, ihr seid es uns nicht wert? Was sagt das aus über uns, eine Kulturhauptstadt Europas? Es würde vielleicht keinen Aufstand geben, aber es wäre eine große, stille Enttäuschung.

Es sagt aus, dass Projekte auch scheitern können.

WESSEL | Nein. Es sagte aus, dass Europa nach Kassenlage scheitern soll. Das Schöne an der Kulturhauptstadt war: Mit einem Mal hatten alle das Gefühl, dass das, was gesagt wird und getan, gehört wird und gesehen. Dass es Bedeutung hat, die weiter reicht als bis zur nächsten Ecke. Dass es sich um eine europäische Stadt handelt. So wie wir mit diesem Platz umgehen, so geht Bochum mit Europa um.

Ist jetzt der Zeitpunkt, alle Fakten, alle Kosten auf den Tisch zu packen. Dann kann Herr Gerz für das Projekt werben – und dann wird abgestimmt. Geheim, ohne Fraktionszwang?

WESSEL | Für das Projekt werben muss Bochum selber. So eine Diskussion wäre in jedem Fall ein starkes Signal in die Wirklichkeit Europas hinein.

CORDES | Es müssen dann aber auch die Kosten für einen möglichen Ausstieg dargestellt werden. Ich möchte alle Fakten, alle Optionen – was sie finanziell bedeuten und was sie kulturell-künstlerisch bedeuten.

WESSEL | Wenn der Rat das machen würde, es wäre mutig. Eine Stadt stellt ihr Verhältnis zu Europa öffentlich zur Diskussion. Bochum als Barometer der europäischen Idee, das könnte nach Bochum klingen.

CORDES | Zum Prozess-Charakter des PeV gehört es eben auch, dass man Krisen durchstehen muss. Wie in Europa. Europa ist zum Glück krisenerprobt und wird an Krisen nicht scheitern.