Hagenbecks Traum
“Deutsch sein und schwarz dazu” | Teil 1
Wenn Träume platzen, was dann? 1873 trieb das Deutsche Reich, soeben gegründet, dem Bankrott entgegen. Im Gründerkrach platzten die spekulativen Blasen, die Leute hatten kein Geld mehr und ein Tierhändler eine Idee: Verkaufe bessere Träume.
Carl Hagenbeck, so hieß der Händler, erweiterte sein Sortiment, er importierte Menschen und stellte sie zu den Tieren in den Zoo. Mit großem Erfolg, der Hamburger zog mit seiner “Völkerschau” durch Europa und sich selber aus der Krise.
“Anthropologisch-zoologisch” nannte er, ein früher von Hagens, seine Körperwelten-Show, die er in Szene setzte wie Endemol “Big Brother”: Die Menschen, vor allem Afrikaner und am liebsten afrikanische Familien, wurden in eine künstliche Landschaft versetzt und per Arbeitsvertrag verpflichtet, Tag und Nacht so zu leben, wie ein deutscher Zoodirektor denkt, dass man in Afrika zu leben habe: im Baströckchen.
Dieses Baströckchen, sagt Theodor Michael – der 89jährige wird am 26. Januar bei uns lesen, als Kind hatte er in “Völkerschauen” arbeiten müssen – sei ihm sein Leben lang hinterher getragen worden.
Sieben Jahrzehnte lang war Hagenbecks Idee populär, wurden “exotische Menschen” ausgestellt, und das erzählt eine Menge darüber, warum Rassismus so populär ist:
Was den Europäern in den “Völkerschauen” vorgeführt wurde, waren keine fremden Wesen, sondern ihre eigenen Träume. Lustphantasien zunächst, wie Hagenbeck selber erzählt:
“Ein junger, riesenhafter Hamraner Jäger richtete wahre Verheerungen in den Herzen europäischer Damen an und schien auch selbst gegen die Reize der blassgesichtigen Schönen nicht unempfindlich zu sein.”
Die Werbung für solche Shows konnte später denn auch unverhohlen pornographisch werden, 1919 etwa warb ein Plakat des Berliner Panoptikums mit der Zeile “50 wilde Kongoweiber”. Im 19. Jahrhundert aber, und das ist auffällig, berichtete die Presse immer wieder über die große Faszination, die von den ausgestellten Menschen ausging, von “Zwanglosigkeit und Natürlichkeit”, von Heiratsangeboten und Entführungsversuchen. “Wir dürfen nichts anziehen”, protestierte 1896 ein in Wien ausgestellter Ghanaer, der Wortwechsel ist halb-dokumentarisch:
“‘Wilde müssen wir vorstellen … In Afrika könnten wir so nicht sein. Alle würden lachen.’ Darauf der Manager: ‘Solche wie in Europa gibt es genug. Wozu braucht man Euch? Nackt müsst ihr sein.’”
Nackt und unschuldig, naturnah und authentisch: Der Erfolg von Hagenbecks Traumfabrik ging weit über eine sexuelle Lustphantasie hinaus, es ging um ein Bild des Edlen und Echten, das sich im Bild des edlen Wilden verkörpert. Ein Gegenbild zu dem, das sich gerade in Europa bot:
Die Agrar-Gesellschaft auf dem Rückzug, Natur wie außer Kraft gesetzt, die Welt ringsum verfremdet. Die Industrialisierung war in vollem Gange, die Klassengesellschaft knallhart, wer Schritt halten wollte, musste sich selber zähmen und zügeln und zusammenreißen. Dann der Sonntagsausflug in die “Völkerschau” …
In dieser Situation haben Hagenbecks Menschenparks rein gar nichts über die Kolonien in Afrika erzählt, aber manches über die Kolonialisierung der Körper verraten, die in Europa stattfand.
Was Hagenbeck in Szene setzte, war eine Gegenutopie: So leben könnte man auch, “zwanglos” und “natürlich”.
>> weiter zu Teil 2 : “Fabris Hoffnungsbild”
>> weiter zu Teil 3: “Carl Peters Wünsche”
>> Theodor Michael liest am Sonntag, 26. Januar, 17 Uhr