Tue was du willst
Hypnose und der freie Wille
Die Presse ist frei, die Wirtschaft ist es, die eigene Meinung – aber ist auch frei, was allem vorausgeht, ein menschlicher Wille? Es gibt Neuro-Biologen, die sagen: Nein, der Mensch sei nur der Firmensitz von neuronalen Prozessen und menschlicher Wille nicht Chef zuhaus, sondern stehe wie Chaplin am Band: Die Neuronen rattern vorüber, der Wille zieht zwei Schrauben nach. Ganz so wie Cipolla es bereits beschrieben hat:
“Die Freiheit existiert, und auch der Wille existiert, aber die Willensfreiheit existiert nicht”.
Frei sei der Wille nur darin, nichts zu tun; sobald er an den Schrauben dreht, ist seine Freiheit dahin, und zwar “desto sicherer, je eigensinniger Sie zu handeln versuchen.”
Cipolla, der Zauberer, ist eine literarische Figur, geschaffen von Thomas Mann [oder von seinen Neuronen]. Jan Becker, der Zauberer, ist eine reale Figur, geschaffen von Gott [oder von seinen Evolutionen], Becker sagt, der Wille des Menschen ist und bleibt frei, auch wenn er mal nicht frei ist:
“Ich öffne nur die Tür, der andere muss selbst hindurch gehen.”
Man muss hindurchgehen wollen. Und also steht wieder die Frage im Raum: Ist dieses Wollen frei? Cipolla ist eine von Thomas Mann 1930 nicht sehr sympathisch gezeichnete Figur – Cavaliere Cipolla steht auf den Plakaten, die ihn ankündigen; Cavaliere, also: Ritter ist später zum Spott-Titel für Berlusconi geworden – Cipolla also wird uns vorgestellt als der “stärkste Hypnotiseur, der mir in meinem Leben vorgekommen” ist. Einer, der Menschen dazu bringt, Dinge zu tun, die sie nicht tun wollen.
Anders Jan Becker, er zwingt keinen zu nichts, er sagt:
„Jede Hypnose ist eine Selbsthypnose.”
Aber gerade weil Becker niemanden zu nichts animiert, was man nicht auch selber wollte, verdeutlicht er, dass in allem, was wir wollen, immer auch das Gegenteil steckt – es steckt in uns selbst. Niemand ist entweder so oder so, alle sind wir ständig beides, alle haben wir die Wahl, aus der auch die Hypnose nicht entlässt.
Es sei denn, Neuro-Biologen wie Gerhard Roth hätten recht und jede Wahl, die wir treffen, sei längst entschieden, weil die Neuronen sie schon ausgewürfelt hätten. Roth:
“Dem bewussten Formulieren eines Wunsches, eines Willens, geht immer ein unbewusster Prozess voraus. Im Gehirn lassen sich Erregungszustände nachweisen, die eine Handlung ankündigen – bevor der Mensch sich dessen bewusst ist, dass er überhaupt handeln will. Das sind empirische Befunde, die in Hunderten Laboren bestätigt werden.”
Wir tun nicht, was wir wollen, sondern wir wollen, was wir getan haben – das in etwa ist Roths These, sie gilt für Schwerverbrecher wie Hirnforscher und ist Kappes:
Man stelle sich nur einmal die Alternative vor, sie hieße, dass, bevor wir etwas tun, keinerlei Bewegung im Hirn stattfinden dürfte. Eine seltsame Idee – angenommen, Gerhard Roth setzt sich hin und schreibt ein Buch, ob sich nicht doch der ein oder andere Gedanke erregt, bevor er ihn niederschreibt? Und ob dieser Gedanke, bevor er ihn schreibt, sich nicht noch einmal überdenken ließe?
Es ist das klassische Argument gegen diese Art Neuro-Prädestination, es stammt von eben jenem Forscher, auf dessen Messergebnisse sich Roth beruft, Benjamin Libet:
Libet hatte einerseits nachgewiesen, dass Neuronen aktiv werden, bevor einem klar wird, dass man überhaupt etwas will. Der Wille, so scheint es, reagiert nur auf das, was neuronale Prozesse anordnen. Andererseits, so Libet, hat der Wille immer noch genügend Zeit zu widersprechen: Er muss ja nicht tun, was die Neuronen befehlen, der Mensch hat ein Veto-Recht, er kann mit sich selber diskutieren.
An diese Einsicht wiederum knüpfen neuere Experimente an, die zeigen, dass es den neuronalen Behörden im Hirn völlig egal ist, ob das, was sie angeordnet haben, auch getan wird – die messbare Hirntätigkeit ist dieselbe, ob man den Finger bewegt hat oder nicht.
Was ein Finger bewegt – ob den Abzug einer Pistole oder die Taste eines Klaviers – und was am Ende dabei heraus kommt – ob Banküberfall, Geklimper oder eine Michael-Wollny-Improvisation – darüber machen sich die Neuronen im Kopf eh keinen.
Also bleibt es dabei: Wir tun, was wir wollen. Wer jetzt hier weiterliest, will weiterlesen, und wenn wer Interviews gibt wie Neurologen es tun, entscheidet man selber, was man sagen will auch dann, wenn Becker einen hypnotisiert, Becker sagt:
„Hypnose macht nicht willenlos, niemand plaudert Dinge aus, die er nicht will.”
Soweit Jan Becker. Bleibt die Frage, was angenehmer ist: sich einer höheren Macht übereignen, die einen davon befreit, mit sich selber im Clinch zu liegen – oder einen freien Willen zu haben und verantwortlich zu sein für das, was man tut.
>> Jan Becker | 29. Oktober 20 Uhr | Jan Becker hat die Veranstaltung leider absagen müssen. Infos hier