Platz des europäischen Versprechens

Wenn die Kommissarin für Kultur auf die Toilette muss

Öffentliche Debatte über TTIP Freihandelsabkommen

Berlin 1986 – drei Jahre vorm Freihandelsabkommen | (c) thw

Staatlich gelenkte Autoindustrie? Staatlich regulierte Presse? Staatlich arrangierte Religion?

Es bedarf schon der Begründung, wenn ausgerechnet die Kultur sich noch immer im Schoß des Staates wiegt. Das ist in den USA anders, da läuft die Kultur auf eigenen Beinen durchs Leben, und da genau liegt das Problem mit diesem Freihandelsabkommen TTIP:

Wenn amerikanische Verhältnisse in die europäische Kultur eindringen, so die vielstimmige Warnung derzeit, drohte dies und das, in jedem Fall ein Niedergang.

Claudius Seidl hat in der FAZ einen gut polemischen Überblick gegeben auch darüber, dass die Kultursektoren recht unterschiedlich von TTIP betroffen wären. Anders als Film, Theater und Klassik können Architektur, Kunst, Pop und auch die Literatur dem Abkommen relativ entspannt entgegen sehen:

“Was daran liegt, dass, nur zum Beispiel, die Werke Gerhard Richters im Museum of Modern Art hängen, die Wolkenkratzer von Ole Scheeren in den Riesenstädten Asiens stehen und Daniel Kehlmanns Bücher auf der ganzen Welt gelesen werden, ganz ohne dass es dafür die Fürsorge des deutschen Subventionsbetriebs gebraucht hätte. Was diesen Künstlern geholfen hat, das sind vermutlich nicht jene europäischen Standards, von denen jetzt dauernd die Rede ist, ohne dass sie jemand genauer beschreiben könnte. Es sind eher die amerikanischen Standards zur Herstellung von Relevanz und Universalität – jene Standards, die auf der Erfahrung beruhen, dass einer, der so schreibt, filmt, baut oder malt, dass die Menschen in Chinatown oder Little Italy sich für ihn interessieren, auch in Italien oder China ein größeres Publikum finden wird als der, der seine Kunst vor allem an die Bürokraten in den Fördergremien, die Funktionäre in den Subventionsbehörden und die Langweiler und Neidhammel in den diversen Jurys adressiert.”

Leuchtet ein, oder. Und dann ist es natürlich so, dass in der Debatte über TTIP die Kultur eher ein Randthema ist, wichtiger sind Themen wie Landwirtschaft, Verbraucherschutz, Netz- und Medienpolitik und die Frage, ob eine derart riesige Freihandelszone nicht etwa andere Weltregionen  –  was wird mit Afrika? – aussperrt.

Da wirds schwierig. Weil uneindeutig. Und eben da trottet die Kulturpolitik nebenher, Robert Menasse hat dies in “Der europäische Landbote” 2012 einmal so beschrieben: In Brüssel habe man ihm erklärt,

“wie gering das Ansehen und die Bedeutung des Kulturressorts innerhalb der Versammlung der (Europäischen) Kommissare ist: Wenn bei einer Kommissionssitzung zum Beispiel der Kommissar für Wettbewerb oder der Kommissar für Landwirtschaft auf die Toilette muss, wird die Sitzung unterbrochen, bis er zurück ist. Wenn aber die Kommissarin für Kultur auf die Toilette muss, wird einfach weiterdiskutiert.”

Das wird an dem Tag, an dem die Grünen bei uns über TTIP diskutieren, anders sein: Die Veranstaltung ist öffentlich, jeder und jede sei Kommissar und Kommissarin (und ja, Toiletten haben wir auch), herzliche Einladung!

>> Samstag, 30. August, 10.30 – 17 h
>> Mehr Infos und das Tagesprogramm hier

Update_1: Die NZZ über den Debatten-Stand: “Freihandelsabkommen sollen den Partnern einen besseren Zugang zum Markt des jeweils anderen verschaffen. «Der Kulturbereich ist der Kernbereich des Widerstands gegen TTIP geworden», sagt Olaf Zimmermann, «das sind wir gar nicht gewohnt.» Ein Rätsel aber ist es nicht. Die hiesige Kulturwirtschaft hängt am Tropf. Würde sie dem Spiel der Marktkräfte unterworfen, hätte sie eine Menge zu verlieren.” http://www.nzz.ch/feuilleton/diffuse-zusagen-bange-zweifel-1.18404691