Marlon Brando und die Pick-Up-Kohorten
Über die Bilderwelt des IS | Gastbeitrag für Ruhrbarone
Die Propaganda des “Islamischen Staats” besteht in dem Versprechen, Gewalt zu entgrenzen – soll man deren Bilder zeigen oder nicht? Genauer: Soll man sie zeigen, damit wir sie lesen lernen, oder nicht zeigen, weil wir sie lesen können. Ein Leseversuch:
“Ein junger Mann posiert vor einem Zaun mit spitzen Elementen, wie er hierzulande in gutbürgerlichen Gegenden als Zierde und Grenzmarkierung vor gepflegten Vorgärten gut vorstellbar wäre. Auf den Zaunspitzen in jenem Foto aber stecken abgeschlagene Köpfe.”
So beschreibt Caroline Uhl auf welt.de ein Foto, mit dem sich der IS beim WDR vorgestellt hat, “Hart aber fair” hat es am Dienstag als Einstieg genutzt. Uhl meint, man hätte
“kaum hässlicher zeigen können, um wen es geht”.
Ist das so? Das Motiv, wenn man es so nennen will, hat eine europäische Geschichte:
“… einundzwanzig Köpfe wurden nach Stanley Falls gebracht, wo Kapitän Rom sie als Einfriedung eines Blumenbeetes vor seinem Haus eines hohen Offiziers aufstellte.”
So berichtet 1897 Edward James Glave, britischer Geschäftsmann, aus dem Kongo, wo Leopold II., belgischer König aus deutschem Haus, zwischen 1885 und 1908 ein auch für damalige Verhältnisse äußerst barbarisches Kolonialreich errichtet hatte.
Glave schreibt Tagebücher über seine Zeit im Kongo, ein Jahr nach deren Veröffentlichung taucht das Motiv des Schrumpfkopf-Zauns auf einem Kongress der “Royal Statistic Society” auf, die sich mit dem Kongo als einem “Experiment wirtschaftlicher Expansion” befasst, und kurz darauf im Kongressbericht der “Saturday Review”, die wiederum von Joseph Conrad gelesen wird.
Und er – so der schwedische Literaturhistoriker Sven Lindquist, dem wir diese Daten-Reise verdanken – Conrad beginnt tags darauf, am 18. Dezember 1898, mit der Niederschrift von “Heart of Darkness”, einem Jahrhundert-Werk mit enormer Wirkungsgeschichte, es wird u. a. Vorlage für Coppolas “Apocalypse Now”:
In Conrads Erzählung wird Stanley Falls, der Ort, an dem der grausige Zaun stand, zur “inneren Station”, dem Ziel einer semi-fiktionalen Reise ins Landesinnere, das Kongolesen “Herz der Finsternis” nennen. Hier hat der geheimnisumwitterte Agent einer britischen Handelsgesellschaft, Mr. Kurtz – in “Apocalypse Now” von Marlon Brando gespielt – eine Art Gottesreich errichtet: mystisch, terroristisch, mit Kurtz als Abgott [“sie beteten ihn an”) und Herrn über Leben und Tod:
“Er erklärte, er würde mich über den Haufen schießen, … denn er habe ein Recht, das zu tun, und Lust dazu habe er auch, und nichts auf der Welt könne ihn davon abhalten zu töten, wen immer wolle. Und das stimmte auch.”
Conrad stellt uns diesen Herrn Kurtz als ideellen Gesamt-Europäer vor [“Ganz Europa hatte zur Erzeugung von Kurtz beigetragen”], beseelt von hehren Ideen und lauteren Motiven, ein
“Sendbote der Barmherzigkeit und der Wissenschaft und des Fortschritts und weiß der Teufel von was allem”.
So dann auch der “Bericht”, den Kurtz über seine Tätigkeit verfasst, um ihn nach Europa zu senden: Die Botschaft beginnt, so Conrad, in einem hohen Ton und
“schwang sich empor und nahm mich mit. Die Schlusssätze waren herrlich, doch schwer im Kopf zu behalten, wisst ihr. Sie gaben mir die Vorstellung einer exotischen, von majestätischer Güte regierten Unendlichkeit. Ich war vor Begeisterung ganz kribbelig. Das also war die grenzenlose Macht der Eloquenz – der Worte – glühender edler Worte. Kein praktischer Hinweis, der den magischen Strom der Phrasen unterbrochen hätte, es sei denn, man wollte die viel später nachträglich mit zittriger Hand hingekritzelte – nun ja – Fußnote unten auf der letzten Seite als eine Anleitung zur Vorgehensweise ansehen. Sie war sehr schlicht, und am Ende dieses bewegenden Appells an alle selbstlosen Gefühle loderte es einem entgegen, leuchtend und erschreckend, wie ein Blitz aus heiterem Himmel: ‘Ausrotten das ganze Viehzeug’!”
Exterminate all the brutes! Kurz darauf gelangt Marlow, der Ich-Erzähler in Conrads Novelle, zur “Inneren Station”, durchs Fernglas sieht er
“weder eine Einfriedung noch einen Zaun; aber anscheinend hatte es früher einen gegeben, denn in der Nähe des Hauses stand noch ein Halbdutzend dünne Pfähle in einer Reihe, grob behauen und oben mit geschnitzten Kugeln geschmückt.”
Dann aber, das Boot kommt näher heran,
“sprang mich im Blickfeld meines Glases einer der übriggebliebenen Pfähle dieses einstigen Zauns an. […] Jetzt sah ich es plötzlich genauer, und im ersten Moment zuckte mein Kopf zurück wie vor einem Schlag. Da ließ ich mein Glas sorgfältig von Pfahl zu Pfahl schweifen, und ich erkannte meinen Irrtum. Diese Kugeln dienten nicht als Schmuck, sie hatten symbolische Bedeutung …”
Welche symbolische Bedeutung haben die aufgespießten Köpfe, die der ISIS westlichen Medien als Bildmaterial anliefert?
Vorm Fernseher geht es einem wie Marlow, der durchs Fernglas schaut: Auf den ersten Blick ist klar, das Bild steht “für die Grausamkeiten, die IS in Teilen Syriens und des Iraks verbreitet”, so Uhl auf welt.de; auf den zweiten Blick zuckt der Kopf zurück wie vor einem Schlag, die Perspektiven brechen: Ähnelt sich Abu Bakr al-Baghdadi, “Kopf” der ISIS, Marlon Brando an … ?
Che-Guevara-Posen und Pulp-Fiction-Coolness
Das ist das Problem mit der Bildwelt der ISIS, sie ist uns vertraut. Sie spiegelt einen souveränen Umgang mit unserer kulturellen Gegenwart zurück. Die Pick-Up-Kohorten, die wie in “Mad Max” durch Wüsten jagen, die Che-Guevara-Posen, die Pulp-Fiction-Coolness – die Terrorbande zitiert Motive und ist in der Lage, ihnen eine zweite, dritte Bedeutungsebene zu geben, das Grauen, das sie anrichten, einzuflechten in die Bildwelt, die in unserem Alltag gilt, die Unterschiede zwischen Talkrunde und Kino zu verwischen, zwischen Plasberg und Apocalypse Now, zwischen uns und denen.
Es ist ein Krieg der Bilder, Pallywood war gestern. Soll man die Bilder zeigen oder nicht?
Zitate aus: Joseph Conrad, Herz der Finsternis. Aus dem Englischen von Reinhold Batberger; Frankfurt/M 1995
NACHTRAG 2015-08
Es geht auch ohne Europa, das ist klar. Thema oben ist die Bilderwelt, die der IS in die westliche Welt hinein sendet. Als die Europäer im 16. Jahrhundert nach Mittelamerika eindrangen, stießen sie auf zahllose Tzompantli: hölzerne Gestelle, auf denen Hunderte, wohl auch Tausende Totenköpfe zu Türmen und Wand-Formationen aufgereiht waren, die Schädel von Männern, Frauen, Kinder. Populär erkennbare Spuren in der europäischen Bilderwelt haben die Tzompantli nicht hinterlassen, einen Bezug zur Bildsprache des IS sehe ich nicht.
NACHTRAG 2020-12