Unterm Kreuz
Matthäus-Passion am Karfreitag
Wer ans Kreuz geschlagen wird, stirbt nicht, sondern verreckt. Endlos langsam, das Sterben dauert Stunden, oft einen Tag. Alltag im Reich der Römer, gekreuzigt wurde, wer den Staat missachtet.
Und als die Tortur vorüber war, steht einer da und sieht und sagt:
„Wahrlich, dieser Mensch ist Gottes Sohn gewesen.“
Völlig unvermittelt, dieser Vers im Markus-Evangelium, der Satz ersetzt jede Dogmatik. Keine Auferstehung in Sicht, keine Rede von Sühnetod, keine Aussicht darauf, dass Sünden vergeben würden: Dieser eine sieht, wie ein anderer verreckt:
„Und sah, dass er so verschied.“
Das ist die ganze Offenbarung, es geht ums Wahrnehmen, nicht ums Fürwahrhalten. Theologie ist eine ästhetische Frage.
Zum Foto von Theo Oberheitmann
Er habe mit Religion nicht viel zu tun, sagt Theo Oberheitmann von sich selber, er hat aber – wie der römische Hauptmann im Markus-Evangelium – den Blick fürs Kreuz.
„Überall auf den Friedhöfen der Bretagne und Normandie entdecke ich Kruzifixe in den unterschiedlichsten Stadien des Zerfalls, liebevoll auf dem Grab platziert und dekoriert.“
Die Bilder, die er macht, weil er sie wahrnimmt, setzen die Ikonographie der Leiden Jesu fort, entsetzlich schön und anstößig wie das Kreuz selbst, das skandalon:
„Ein fehlender Kopf wird durch Blumen ersetzt. Wenn die Schrauben für die Befestigung durchgerostet sind, wird der Corpus mit Draht befestigt. Mich interessiert das Einswerden mit dem Untergrund, der stetige Verfall durch Korrosion, das Überwuchern mit Pflanzen bis zur fast totalen Auflösung von Kreuz und Corpus.„
Ihr habt mich nicht allezeit bei euch, heißt es bei Matthäus.