Kultur & Theologie

Crystal Palace

Deine Lakaien live | 03. Dezember

Crystal Palace interior McNeven, J., The Grand Entrance, Souvenir of the Great Exhibition, William Simpson (lithographer), Ackermann & Co. publisher (cc)

“Wie etwas märchenhaft Unerhörtes drang die Kunde in alle Lande, dass man aus Glas und Eisen einen Palast bauen wolle, der achtzehn Morgen Land bedecke.”

1851 hatte ein Gärtner aus Devonshire, Joseph Paxton, die Möglichkeit erkannt, die eine Träger-Konstruktion aus Eisen bot: dass Raum nicht um-, sondern überbaut wird.

Der Crystal Palace, den er für die erste Weltausstellung 1851 im Londoner Hyde Park schuf, schluckte riesige Ulmen. Ein Raum ohne Rahmen, wirkliche und künstliche Welt flossen ineinander, eine Traumwelt der Moderne. Walter Benjamin hat den “phantastischen Reiz” rekonstruiert, “den dieser Bau auf alle Gemüther ausübte”, so ein Zeitzeuge, den Benjamin zitiert.

Das kolossale Glashaus  –  560 x 137 m Grundfläche ergaben 83.600 qm Glas  –  war im orientalischen Stil staffiert, drinnen standen moderne Maschinen neben Marmor-Statuen, Ulmen neben Tropen-Pflanzen. Jugendstil-Dekor umspielte Trophäen, die frisch geplündert aus den Kolonien angereicht worden waren:

“In diesen Raum hinein schob man alles Herrliche”,

so Benjamins Zeitzeuge. Eben hier, in diesem Raum, präsentierte Krupp seine erste Gussstahlkanone.

Eine wundersame Welt, sie war beides: fortschrittsfromm und unschuldig verträumt, großspurig und einfühlsam. Sie ließ sich bereisen, ohne das Haus zu verlassen – Benjamin zitiert einen weiteren Zeitgenosse, der berichtet davon,

“wie die Kunde vom Glaspalast zu uns nach Deutschland herüber drang, wie die Bilder angeheftet waren an den Wänden bürgerlicher Zimmer in entlegenen Provinzstädten. Was uns aus alten Märchen vorschwebte von der Prinzessin im gläsernen Sarg, von den Königinnen und Elfen, die in krystallenen Häusern wohnten … Diese Empfindungen haben Jahrzehnte lang weiter bestanden.”

Nur wenige sahen damals im ahnungslos-stolzen Crystal Palace auch eine andere Welt gespiegelt: Der englische Schriftsteller Hugh Walpole etwa, den Benjamin ebenfalls zitiert, beschrieb später die wohnzimmer-ähnlichen Logen, die mit kostbaren Teppichen verziert waren, während nebenan die neuesten Maschinen arbeiteten, es gab

“selbsttägige Spinnmaschinen, die jacquartsche Spitzenmaschine, Maschinen, die Briefumschläge machten, Dampfwebstühle, Modelllokomotiven, Zentrifugalpumpen und Lokomobile; alle diese arbeiteten wie verrückt, während die Tausende neben ihnen in Zylindern und Kapotthüten ruhig wartend dasaßen, passiv und nicht ahnend, dass das Zeitalter des Menschen auf diesem Planeten zuende war.”

Das Ende kam 1914, die Traumwelt stürzte in sich zusammen, der Erste Weltkrieg hat der Moderne die Unschuld genommen. Der Crystal Palace selber wurde 1936 durch einen Brand zerstört.

“Crystal Palace” haben Die Lakaien ihr neues Album getauft. “Ein lässiger Keulenschlag in die Schnauze popkultureller Erwartungshaltung”, wie laut.de schreibt, es entstehe

“eine Klarheit in Sound wie Arrangement, die für sich allein genommen schon den schönen Albumtitel rechtfertigt, ein akustisches, sehr audiophiles Kristall, dabei im Grundton sehr warm.”

Und dann übersetzt laut.de den Albumtitel in die Lakaien-Gegenwart:

Statt in der Hochkulturecke zu versauern, optimieren sie den eigenen Soundstempel.

In welchen Raum hinein man alles Herrliche verschieben kann.