Chorwerk Ruhr, Kultur & Theologie

Unschuldig schön?

Ästhetische Romantik heute

William Turner, The Burning of the Houses of Lords and Commons, October 16, 1834 [Ausschnitt] (cc) Google Art Project

“Der Geist des Judentums ist der ewige Feind der politischen Romantik.”

Den Satz sollte man im Ohr behalten, wenn ChorWerk Ruhr jetzt mit uns in die ästhetische Romantik reist, er stammt von Paul Tillich, protestantischer Theologe, sein nächster Satz:

“Der Antisemitismus ist wesentlich mit ihr (der politischen Romantik) gesetzt.”

Kaum veröffentlicht, wurde Tillichs Buch von den Nazis beschlagnahmt und  –  eine tief romantische Aktion  –  öffentlich verbrannt. Das Christentum, so Tillich, gehöre “radikal und eindeutig auf die Seite des Judentums.”

Kann Romantik heute, ein mörderisches Jahrhundert nach ihrem Ende, unschuldig sein und schön?

“Was aus dem Ursprung kommt”

Romantik war eine ästhetisches Rückzugsbewegung: raus aus der tatsächlichen Welt hinein in die Innerlichkeit, aus dem gesellschaftlichen Leben ins gefühlte, aus der Gegenwart in die Vergangenheit, der Politik in die Poesie. Bedichtet und besungen wurde die Nacht, nicht die Sonne, die Natur, nicht die Stadt, die eigene Gefühligkeit anstelle der kalten Logik.

Im Mittelpunkt: das empfinsame Ich, das der Gesellschaft entflieht. Ihm gegenüber: irgendwas Kosmisches, das es mal gut mit einem meint, mal weniger.

“Ursprungsmythisch” hat Paul Tillich solches Denken genannt, es interessiere sich immer nur für das,

“was aus dem Ursprung kommt und zum Ursprung zurückkehrt”.

In diesem “Gesetz des Kreislaufes” sei alles Leben – darum auch alles Denken – verfangen: Ursprung fordere, “was von ihm kommt, muß zu ihm zurück”. Sakralisiert werde dieses scheinbar ewige Gesetz im priesterlichen Kult, der Priester deute “Ursprung als Uroffenbarung”, er heilige die Tradition und das Gefühl, gebunden zu sein an das, was ist: an die ursprünglichen Mächte des Bodens, des Blutes, des Volkes. Tillich:

“Das ursprungsmythische Bewußtsein ist die Wurzel alles konservativen und romantischen Denkens in der Politik.”

Aus diesem Kreislauf können Menschen nun allerdings denkend ausbrechen. Darin liege die Bedeutung der jüdischen Prophetie, sie habe – und das war eine ideengeschichtliche Revolution – den Ursprungsmythos aufgebrochen und an seine Stelle die soziale Forderung – dass Gerechtigkeit sei – gesetzt und sie “bis zur Sprengung der Ursprungsbindung radikalisiert”. Seit dem Auftreten der Propheten ab dem 9. Jh v.C. gelte:

“Gott ist frei von dem Boden, dem heiligen Land.”

Erstens, zweitens:

“Die heilige Aristokratie, einschließlich des Königtums, wird um der Gerechtigkeit willen verworfen.”

Drittens:

“Die Berufung auf die Volkszugehörigkeit hilft nichts gegenüber der unbedingten Forderung, um derentwillen der Volksfremde gleich, ja höher geachtet werden kann.”

Und viertens:

“Die priesterliche Tradition wird nicht aufgehoben, aber von der Gerechtigkeitsforderung beurteilt und in ihrem kultischen Teil entwertet.”

Kein Weg zurück: Ursprung ist kein Ziel, sondern Beginn

Damit, so Tillich, verändere sich das Denken selber, es gewinne eine Richtung und gehe nun “auf etwas zu, das nicht war, sondern sein wird”. Beim Propheten Jesaja breche sich solches Denken erstmals radikal Bahn, in Jes 65 spricht Gott:

“Siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, dass man der vorigen nicht mehr gedenken und sie nicht mehr zu Herzen nehmen wird.”

Kein Weg zurück, Ursprung ist nicht mehr Ziel, sondern Beginn

“Die Prophetie verwandelt den Ursprung in den Anfang des Geschichtsprozesses.”

Seitdem dieser Gedanke in der Welt ist, ist die Welt nicht mehr, was sie ist, sondern was sie sein könnte. Um einen berühmten Satz von Adorno zu variieren: Nur weil, was ist, nicht alles ist, lässt das, was ist, sich ändern. Das Gehäuse ist gesprengt, und eben dies, schrieb Tillich 1932,

diese “Brechung des Ursprungsmythos ist die Wurzel des liberalen, demokratischen und sozialistischen Denkens in der Politik”.

Goethes “Gesang der Geister”

Soweit Paul Tillich, jetzt ein Sprung zurück zu Goethe und seinem “Gesang der Geister über den Wassern”. Schubert hat ihn 1820 vertont, ChorWerkRuhr wird ihn jetzt singen:

In Goethes Gedicht sind die Gestirne  –  von denen seit 1 Mose 1 bekannt ist, dass sie wie Deckenlampen ans Firmament geschraubt sind  –  bei Goethe sind sie zurück mutiert zu personenhaften Wesen, die ein “Antlitz” besitzen und, in sich selber verliebt, die Erde als Spiegel benutzen:

Sie “weiden” sich im Wasser der Erde, dem die menschliche Seele gleiche, und die wiederum pendele “ewig wechselnd” zwischen Himmel und Erde im Kreis. Summa summarum gleiche das Schicksal des Menschen darum wem? was? –  “dem Wind”.

Soweit Goethe. Tillich würde sagen:

“Denkend wird das Denken und handelnd das Handeln verneint: das ist romantische Theorie und Praxis.”

Schlimm? Nun, das deutsche Bürgertum  –  Tillich brachte seine Überlegungen Ende 1932 zu Papier  –  das deutsche Bürgertum habe sämtliche demokratischen Forderungen

“aus der politischen Sphäre in die reine Innerlichkeit umgebogen … bis zum widerspruchslosen Hineingleiten in die Katastrophe des Weltkrieges”.

Des ersten Weltkrieges, 6 Jahre nach Tillichs Text folgte ein zweiter. Die Frage oben war: Kann die ästhetische Romantik heute, ein mörderisches Jahrhundert nach ihrem Ende, einfach nur schön sein? Ist sie ästhetisch domestiziert?

Oder kündigt sich durch all ihre Schönheit und Frömmigkeit hindurch jenes mörderische Jahrhundert an, von dem uns heute nur ein paar Jahre trennen? Kündigt sich eine politische Romantik in der ästhetischen an, eine neue Blut- und Boden-Frömmelei in der Sehnsucht nach einem Ursprung?

Ich weiß  –  zumindest vor diesem Konzert  –  keine Antwort auf die Frage, Romantik ist verführerisch. Und ChorWerk Ruhr ist so unfassbar gut, dass das, was dieser Chor an Schönheit freisetzt, jeden fraglos  –  oder sagen wir ruhig: wehrlos  –  hören lassen kann.

Umso wichtiger, Tillich im Ohr zu behalten.

Zum Bild von William Turner

Im Oktober 1834  –  Deutschland wird von Fürstentümern regiert  –  brannte in London das Parlamentsgebäude ab. Turner hat den wohl aus Fahrlässigkeit verursachten Brand gesehen und in mehreren Versionen gemalt  –  auch dies ein Ausbruch aus dem romantisch-mythischen Kreislauf:

Die Natur wird demaskiert, ihre betörende Schönheit zerstörerisch, man vergleiche nur das die Demokratie verzehrende Feuer mit dem Sonnenuntergang, den Turner 1840 gemalt hat:

William Turner: Sonnenuntergang über einem See, 1840 [Ausschnitt]

Zu Turner hier noch ein sehr schöner Text von Hannes Stein auf WELT.de: “Flammen über der Themse”