Religion & Theologie

Götterlachen

Das VPT interpretiert ... wir interpretieren zurück

National Museum of Anthropology in Mexico City: Sacrifice of children from Tlatelolco | (cc) Wolfgang Sauber

Die Götter der Griechen, so wird erzählt, hätten gelacht. Auch Krishna habe viel gelacht und Buddha ohne Unterlass gelächelt, der Gott der Bibel aber nie. Wie denn auch, ließe sich sagen, er kannte das Vollplaybacktheater ja nicht. Und wie das so ist, es führt ein Weg von den griechischen Göttern zu den Wuppertaler Popkultur-Jongleuren, der Weg beginnt bei:

Homer, dem Dichter aller Dichter, er schildert zwei Situationen, in denen er Götter „unauslöschlich“ lachen lässt. Beide Male geht es um Hephaistos, den Sohn des Zeus, einen hochbegabten Schmied, er war der erste Künstler am Gestirn.

Kein Schönling allerdings, ein hässliches Kind, seine Eltern warfen es, kaum geboren, aus dem Olymp wie Abfall aus dem Fenster. Der Kleine überlebte schwer verletzt, und als er später wieder aufgenommen wurde in den Olymp  –  der Kunstschmied wurde als Waffenschmied gebraucht  –  kam es zum ersten göttlichen Gelächter:

Es galt dem „Umherhinkenden“, wie sie ihn höhnten, es galt dem Krüppel.

Lustig? Herrenwitze dieser Art klingen heute wie Herrenrassenwitze. Aber gerade dies, das Gemeine im Gelächter, zeigt an, woher die Gemeinheit stammt: von den Göttern. Ihr kollektives Lachen hat sich – wozu ist man Gott – ein wehrloses Opfer gesucht, und das wiederum lässt vermuten, dass sich das Lachen tatsächlich dem Opfer verdankt, das Götter für sich fordern:

Könnte es also sein, dass menschliches Lachen und Menschenopfer eine gemeinsame Herkunft haben? Darauf deutet folgende Geschichte hin, die Theophrast erzählt, sie spielt in der griechischen Stadt Tiryns:

„Die Tirynthier wünschten, ihren Hang zum Lachen los zu werden und befragten das Orakel, wie sie dies erreichen könnten. Der Gott antwortete ihnen, dass das Übel sofort verschwinden würde, wenn sie, ohne dabei zu lachen, dem Poseidon einen Ochsen opfern und diesen ins Meer werfen könnten.

Die Tirynthier fürchteten, an dieser Vorgabe zu scheitern, deshalb verboten sie ihren Kindern, beim Opfer dabei zu sein.

Eines der Kinder aber hatte sich unter die Menge gemischt. Es wurde entdeckt und ausgeschimpft, da rief es: ‘Wovor habt ihr denn Angst? Dass ich euch das Opfer umstoße?’

Hierüber lachten alle laut auf […]“

… und darum wurde es nichts mit dem Opfer. Gegen den zwanghaften „Hang zum Lachen“ kamen die Leute von Tiryns nicht an, der Zwang steckte ihnen gleichsam im Hals – etwas, das sie, ohne dass sie es hätten beeinflussen können, wieder und wieder zum Lachen brachte.

Eine seltsame Geschichte, eine archaische Version von Des Kaisers Neue Kleider  –  aber es steckt eine böse Erinnerung in ihr:

In seinem Ursprung ist Lachen wohl tatsächlich roher Zwang gewesen. Kein befreienes Lachen, ein grausames und so erbarmungslos wie die Natur, aus der es hervorbrach, wann immer es einen nicht selber erwischt hat, sondern einen anderen.

Die vielen Götter in dieser erbarmungslosen Natur ließen sich, dachte man, besänftigen, indem man ihnen ein Opfer darbrachte. Und dies, ein Opfer darbringen, bedeutete die längste Zeit der Menschheitsgeschichte über, ein Menschenopfer darzubringen: Einer von allen wurde von allen geschlachtet, einer von allen musste dran glauben.

Das Lachen, in das alle einfallen, nur dieser Eine nicht, mag einmal angezeigt haben, dass, wer lacht, davon gekommen ist. Dass der Kelch an ihm vorüber gegangen ist für dieses eine Mal.

Es hat gedauert, bis die Menschen begriffen hatten, dass, wenn alle lachen, der Einzelne nichts mehr zu lachen hat. Bis der Opfertod des Einzelnen vom Tieropfer ersetzt wurde und griechische Komödiendichter sich daran machen konnten, hohnlachende Götter lächerlich zu machen.

Die Erinnerung aber, dass Menschen Menschen geopfert haben, zittert in den Geschichten der Griechen nach: Das Lachen ihrer Götter  –  heute nennt man es vornehm „homerisch“  –  ist gruppendynamisch gemein, es ist das Grölen der Gruppe auf Kosten des einen, des hinkenden Hephaistos.

Das Gruppen-Grölen klingt auch im Lachen der Leute von Tiryns nach, von denen Theoprast erzählt: Geweckt wird ihr Lachen von der Unschuld des Einzelnen, dem unschuldigen Kind, der Reinform des Opfers. Aber, und das ist das Interessante an der Geschichte aus Tiryns, das Lachen hat sich hier von seiner Herkunft bereits so weit entfernt, dass es ins Gegenteil umschlägt: Es verhindert das Opfern anstatt es zu besiegeln, es durchbricht den magischen Zwang.

Sobald gelacht wird, kann nicht mehr geopfert werden, das Opfer wird “umgestoßen”, seine magische Macht ist blamiert.

Weswegen das Lachen in die Kirche gehört, die reformierte.