Pippo Pollina: il sole che verrà
Andreas Posmyk über den Cantautore
Sie hatten Marcello die Chance gegeben, seine wenig üppigen Gagen, die er den ganzen Sommer über Abend für Abend in den Hotels am Piano einspielte, mit ein paar Musikstunden in den Vororten Neapels aufzubessern.
“Nimm den Helm ab, wenn du mit der Vespa nach Pozzuoli reinfährst!”
sagten sie zu ihm.
“Warum, ich hänge doch am Leben”,
lächelte er. Darauf sie:
“Eben deshalb. Wenn sie dich nicht erkennen, werden sie dich erschießen, weil sie nicht wissen, ob du einer von den anderen bist.”
Vor zehn Jahren erzählte mir Marcello von diesem Gespräch mit seinem neuen Arbeitgeber. Ich war damals auf Ischia, ich hatte mich in die Insel verliebt und vor allem in die wundervolle Teresa. Doch Erlebnisse wie dieser Dialog mit Marcello ließen mich immer mehr an einer gemeinsamen Zukunft mit Teresa im Golf von Neapel zweifeln. Jeden Tag fühlte ich deutlicher, wie tief der verfaulte Geist der Camorra Neapels seine Widerhaken in alle Schichten der Insel geschlagen hatte. Das Gefühl von Heimat, das ich gewonnen hatte, wich immer mehr zurück.
Dann, Jahre später, hörte ich “Laddove crescevano i melograni / Wo die Granatäpfel wuchsen”. Ein Song im Radio irgendwo auf dem Kölner Ring … was für eine Stimme! Was für Harmonien! Und: Was für ein Text! Ich musste den Wagen stoppen, der Kölner Ring verschwamm in Tränen.
Der Sänger im Radio: Pippo Pollina. Seine Stimme trägt die tiefen Emotionen über das, was er erlebt hat, in jeder Silbe. Bis zu seinem 21. Lebensjahr war er in Palermo geblieben, in den 1980er Jahren hatte er sich in der Antimafia-Bewegung engagiert und für ein kritisches Blatt geschrieben. Bis zu dem Tag, an dem sein Chef Namen genannt und von der Mafia ermordet worden war. Pippo verließ Italien, er entschied sich für ein Leben als Straßenmusiker. Ohne Ziel mit der Gitarre durch die Welt …
Ein halbes Leben später erhält er während eines Konzerts Besuch in seiner Garderobe. Eine Mitstreiterin aus jungen Jahren auf Sizilien fragt ihn, ob er sie nicht erkenne, sie wirft ihm vor, die Insel feigherzig verlassen zu haben. Eine Begegnung, der wir das Lied “Laddove crescevano i melograni” vom Album “L’appartenenza / Die Zugehörigkeit“ verdanken. Und jetzt kommt Pippo Pollina, der Unzugehörige, mit seinem Palermo Acoustic Quintett nach Bochum und mit seinem neuen Album: “Il sole che verrà / Die Sonne, die wieder kommt“.
Den Abend im März in der Christuskirche konnte ich nicht abwarten, es trieb mich schon zuvor auf eines seiner Konzerte auf der Tournee. Das neue Album kaufte ich am Konzertabend im Foyer, weil ich weiß, dass das Geld dann direkt bei ihm bleibt. So hörte ich die neuen Songs zum ersten Mal und live vorgetragen von ihm. Diesmal: Lachen, frenetischer Beifall, immer wieder riss es das Publikum von den Sitzen: Singen! Ein so humorvoller Abend.
Für mich jedoch noch fesselnder als diese heiteren Songs auch die brandneuen Perlen des Albums, die einem schon rein textlich abermals eine Gänsehaut über den Rücken jagen. Pippo singt vom staubigen Weg, der aber schließlich das Meer findet, von tiefer Freundschaft, die niemals vergehen kann, vom Pazifismus eines Boxweltmeisters, vom Mut, sich auf die Suche nach dem Glück zu machen ohne Angst vor dem Scheitern, und immer wieder von Hoffnung, dem Sujet, das nicht nur dem Album “Il sole che verrà” zugrunde liegt. Der Mann kann schreiben, so inspiriert und inspirierend, aus Liebe zum Leben. Und singen! Es ist ihm so wichtig, seine Gedanken und Gefühle mitzuteilen, dass er mit Übertiteln und Filmeinspielern arbeitet. So viel Leben, so liebevoll.
Ein großer Cantautore, der sich der Verantwortung des Künstlers stellt, Wege aufzuzeigen, wenn sich Politik und Religion in Sackgassen verlieren, wenn die als unantastbar geltende Ökonomie verherrlicht wird. In der Pause äußerte ich – zaghaft, verwegen – einen Musikwunsch für Bochum: “Laddove crescevano i melograni”.
Vielleicht wird er es singen. Ich habe wirklich Hoffnung …
Andreas Posmyk
PIPPO POLLINA | IL SOLE CHE VERRÀ
MIT
Pippo Pollina | vocals/guitar/E-Piano
Michele Ascolese | guitar
Roberto Petroli | saxophone/clarinet/EWI
Fabrizio Giambanco | drums/percussion
Filippo Pedol | e-bass
Gianvito Di Maio | keyboards/accordion
>> Samstag 25. März 2017 | 20 Uhr | Einlass 19 Uhr
>> VVK 34,00 Euro gleich hier