Habit & Hijab, Provo & Punk
Hijab, Niqab, Kopftuch – zähe Debatte, sollte man es mal mit Kultur probieren?
Hijab, Niqab, Kopftuch – zähe Debatte, sollte man es nicht mal mit Kultur probieren?
So wie Afri Cola 1968, legendärer Werbespot von Charles Wilp, im Habit und im Cola-Rausch steckten Marianne Faithfull, Petula Clark und das Modell Alice Vatters. Skandal?
Sicher, aber egal, entscheidend war das Gefühl, das Wilp traf, es war ein Lebensgefühl, und das wurde auch in den Kirchen von vielen geteilt. [Hier der ganze Spot.]
Bei Kirchens dauerte es 23 Jahre, dann „Love“. Von Oliviero Toscani für Benetton fotografiert, ein Priester und eine Nonne im keuschen Kuss:
Auch damals kam es, soweit ich weiß, zu keinem Skandal, dafür ist das Foto viel zu zärtlich.
Wenig später, genaues Jahr weiß ich nicht, ein unmittelbares Lebensgefühl von hier: Die Ruhrgas AG, heute E.ON, möchte auch mal mit Nonnen werben, mit – nehme ich an – wirklichen Nonnen:
Recht brav, die Werbung. Wenn man das Kleingedruckte liest, hat der Energieversorger allerdings die Entscheidung für Ruhrgas mit der Entscheidung für Gott kurzgeschlossen. Proteste? Wegen religiöser Beleidigung?
Ach, im Ruhrgebiet ist gerade dieser Kurzschluss ein Lebensgefühl. Hier hatte man schon immerden Schlotbaron im Verdacht: Er lässt die Sonn‘ aufgehen, er stellt des Mondes Lauf usw. So gesehen eine örtlich gute Werbung.
Und jetzt – noch mal ein und mehr Jahrzehnte später, wieder örtlich behaust – The Idoits, Punkband aus Dortmund. Oben textete Ruhrgas „Gott sei Dank“, sie texten „Gott sei Punk“ und bebildern dies so:
Aus No Future wird Nonnen Future, aus 7 Nonnen werden 5, die Nonnenbrillen den Punk-Herren als Sonnenbrillen aufgedrückt, der schöne Fliesenboden ist jetzt begrünt. Und sonst? Könnte man auch dies mit dem Text von Ruhrgas unterlegen:
„Normalerweise treffen Punks Entscheidungen für’s Leben. Zu denen sie auch bis zum Schluss stehen usw … Voll im Leben.“
Nicht wirklich witzig, der Vergleich, aber das liegt am Motiv, dem Nonnen-Motiv: Es ist – genau wie der Punk – in die Jahre gekommen, der Provo-Effekt liegt bei Null. Anderes Beispiel:
Etwas in dieser Oetker-Art – “Nonne & Sünde” – gab es in den 90ern die Menge ua von der Waschmittelfirma Dash und von VisaCard und [der Spot ist allerdings gut] von Rubber Cement. Alles gediegen und milde lächelnd. Seitdem sind sämtliche Versuche, die Provo noch einmal zu beatmen, nur noch peinlich, ein Beispiel:
Ließen sich Dutzende solcher Auftritte zeigen, die auf die Kombi von Keuschheit + Sexyness setzen und dann darum betteln, bemerkt zu werden. Aber gerade das macht deutlich: Die Provokation ist eingemeindet, Werbung wie diese hat etwas Verzweifeltes.
Ob sich Hijab und Niqab und Kopftuch nicht ähnlich integrieren lassen? Indem man die soziale Bedeutung, die solche Accesoires reklamieren, sozial gebraucht? Ihren Signalwert verzehrt? Ihn verlangweilt?
Wenn das die Frage ist, ist der Punk interessant. Genauer: die Erinnerung an das, was einmal Punk gewesen ist:
Ihm ging es eigentlich nie um Provokation und keinesfalls um Glaubenssätze, sondern darum, sich möglichst jeder Festlegung zu entziehen: nicht so sein wie diese da, auch nicht wie jene dort, am besten gar nicht “so sein”, aber immer “nicht so sein”.
Identitäten – heute begehrt wie ein Lottogewinn – sind dazu da, mit ihnen zu spielen, sie aufzulösen, beweglich zu machen: Zumindest anfangs war Punk die Panik vor Identität, Flucht vorm Ursprungsdenken, Kritik an allem, was sich als gott-gegeben gibt, und eben dies bringt den Punk – auch wenn man sich wechselseitig nicht unbedingt nahe steht – nah an die protestantische Tradition heran.
Wobei Punk – ein halbes Jahrhundert nach seinem Kairos – ein massives Problem hat damit, vor seiner eigenen Identität zu fliehen, siehe das Standbild der Idiots oben. Punk verlangweilt sich selbst.
Daher die Empfehlung an alle religionspolitischen Debatten heute: Habit verlangweilen, Hijab verlangweilen, holt sie popkulturell einfach ein, schon verlangweilen sie sich selber.