Politik, Tag der Befreiung

„Wir müssen uns um die Stimmung in unserer Stadt kümmern“

Bochums Kultur gegen antisemitischen Hass | Sonntag 28. Januar

Otto Freundlich Kopf 1925.2010 (c) Staatliche Museen zu Berlin 2010

Ein ungeheuerlicher Gedanke: dass es möglich sei, alle Juden dieser Welt zu ermorden, alle Roma, alle Sinti. Und doch ist es nur ein Menschenleben her, dass dies gedacht wurde und beredet und ins Werk gesetzt: Der deutsche Name einer kleinen Stadt in Europa  —  Auschwitz  —  zeigt an, dass möglich werden kann, was undenkbar scheint.

Möglich aber auch, dem entgegen zu treten: Am 27. Januar 1945 wurde das Vernichtungslager Auschwitz befreit, allein hier sind mehr als 1 Million Menschen ermordet worden. Der Tag der Befreiung steht heute stellvertretend für die Befreiung von Tausenden Lagern, Ghettos und Folterkellern, es gab sie überall in Europa. Und überall in Europa bricht heute, ein Menschenleben später, der Hass neu auf.

Der Hass auf Juden, auf Sinti und Roma, auf alle, deren „Existenzrecht“ auch mal in Frage gestellt wird, so wie man es mit dem der Israelis seit langem tut. Die öffentliche Stimmung verändert sich, Ende letzten Jahres hat die Jüdische Gemeinde Bochum ihren Mitgliedern geraten, auf den Straßen dieser Stadt keine Kippa mehr zu tragen.

    „Das habe ich mir nicht vorstellen können, dass es in meiner Stadt dahin kommt“,

sagt CHRIS HOPKINS, weltweit erfolgreicher Swing-Pianist:

    „Wenn wir das akzeptieren würden, gäben wir uns selber auf.“

Hopkins hatte spontan zugesagt, als wir ihn fragten, ob er zum Tag der Befreiung spielen könne, und hat für sein Gypsy-Swing Trio neben CHRISTIAN RAMOND am Bass den grandiosen JOSCHO STEPHAN gewonnen, einen der besten Gypsy-Gitarristen im Land.

Auch ESTHER MÜNCH, Kabarettistin und multitalentierte Künstlerin, hat die Nachricht, dass Bochums Öffentlichkeit für Juden bedrohlich werden kann, „aufgebracht“, sie sagt:

    „Wir müssen uns um die Stimmung in unserer Stadt kümmern, jede und jeder kann das mit der eigenen Stimme tun.“

Den Tag der Befreiung mit zu gestalten, hat Esther Münch daher so spontan zugesagt wie das artTone Trio von URSULA HRDINOVA, LOUISA SPAHN und JANET BORAM LEE  –  alle drei sind Mitglieder der Bochumer Symphoniker  –  und ebenso THOMAS ANZENHOFER vom Schauspielhaus Bochum. Er erklärt, wie die Stimmung einer Stadt geprägt werden kann, mit einem Satz von  –  wie anders  –  Johnny Cash:

    “All your life, you will be faced with a choice. You can choose love or hate…I choose love.”

Thomas Anzenhofer wird Textpassagen lesen in dem Set, das Chris Hopkins mit seinem Gypsy Swing Trio spielt. Zuvor werden  –  vom ArtTone Trio gerahmt, das Werke verfemter Komponisten spielt  –  die Namen der Bochumer verlesen, die, weil sie Juden waren, in den Lagern der Nazis ermordet worden sind. Lesen werden die Namen GERALD HAGMANN, Superintendent der Evangelischen Kirche in Bochum, ESTHER MÜNCH und  –  dies ein deutliches Signal in die Stadtgesellschaft hinein  –  der erste Bürger der Stadt, THOMAS EISKIRCH:

Antisemitismus sei „wieder viel spürbarer geworden“, hatte der Oberbürgermeister im Dezember in der Bochumer Synagoge gesagt:

    „Völkisches Gedankengut hat weder in unseren Parlamenten, in unserer Stadtgesellschaft, in unserer Nachbarschaft, in unseren Schulen oder in unserer Arbeitswelt etwas zu suchen.“

Darum setzen wir auf die Stadtgesellschaft: Weil wir, mit Eiskirch gesprochen, nicht bereit sind, Antisemitismus hinzunehmen, egal in welcher Form, 

    “keinen lauten Antisemitismus, keinen leisen, keinen alten und keinen neuen”.

TAG DER BEFREIUNG | Christuskirche Bochum

Sonntag 28.01. | 17 Uhr

Konzert und Lesung zum Tag der Befreiung von Auschwitz  —  dem Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft  —  finden am 28. Januar statt, weil der 27. in diesem Jahr auf einen Sabbat fällt.

MIT

artTone Trio

Ursula Hrdinova | Violine
Louisa Spahn | Viola
Janet Boram Lee | Violoncello

Chris Hopkins’ Gypsy Swing Trio

Joscho Stephan | guit
Christian Ramond | b
Chris Hopkins | pi

Thomas Anzenhofer
Thomas Eiskirch
Gerald Hagmann
Esther Münch

TICKETS
»  10 Euro inkl. Geb., ein symbolischer Preis
»  Tickets gibt es in jeder VVK-Stelle sowie direkt hier auf unserer Seite (hier klicken)
»  Für jede verkaufte Karte geht ein Frei-Ticket an sozial Bedürftige, Schüler/innen und Initiativen, welche die Erinnerung an die Ermordeten bewahren.


GEDENKEN IN DER SYNAGOGE BOCHUM  |  25. Januar
»  Am Donnerstag 25. Januar, 17:00 Uhr laden die Holocaust-Überlebenden und Kriegsveteranen in der Jüdischen Gemeinde Bochum-Herne-Hattingen, der “Club Stern”, zu einer öffentlichen Gedenkstunde in die SYNAGOGE BOCHUM ein. Wie jedes Jahr werden auch hier  –  bereits ab 16:30 Uhr  –  die Namen der Ermordeten gelesen. Felix Lipski berichtet über einen der Orte des Mordens, Maly Trostenez in Weissrussland, ein fast vergessenes Vernichtungslager. Sechs Kerzen, die für sechs Millionen Ermordeter stehen, werden entzündet, das Kaddisch gesprochen.


FOTO  |  SKULPTUR VON OTTO FREUNDLICH
Unmittelbar gegenüber dem Roten Rathaus in Berlin wurden 2010 bei archäologischen Grabungen elf Skulpturen der Klassischen Moderne geborgen, die von den Nazi beschlagnahmt und ab 1937 als “Entartete Kunst” ausgestellt worden waren. Nach 1945 galten die Werke als verschollen, so auch dieses Werk von Otto Freundlich, 1925 aus Terrakotta geschaffen, schwarz glasiert, ursprünglich 31 cm groß. Ein anderer von Freundlich geformter Kopf, “Der neue Mensch”, war  –  von den Nazis nochmals verformt  –  auf dem Titel des diffamierenden Katalogs zur Ausstellung „Entartete Kunst“ abgebildet. Otto Freundlich, 1878 in Stolp geboren, war einer der ersten Vertreter der abstrakten Kunst, 1943 wurde er im KZ Majdanek ermordet.


„TAG DER BEFREIUNG“ |  CHRISTUSKIRCHE BOCHUM

2017 | TEREM QUARTET
Der stille Völkermord: Leningrad

2016 | SIMONE VEIL
[Absage wg. Erkrankung]

2015 | GIORA FEIDMAN
„Eine Stimme geben denen, die überlebt haben“

2014 | THEODOR MICHAEL
„Deutsch sein und schwarz dazu“

2013 | GYÖRGY KONRÁD
„Glück — elutazás és hazatérés“

2012 | JUDITH KERR
[Absage wg. Erkrankung]

2011 | KROKE | KOSMOPOLEN
Verfolgung und Widerstand der Polen

2010 | MARIANNE UND PETRA ROSENBERG
Verfolgung und Widerstand der Sinti und Roma

2009 | MARCEL REICH-RANICKI
[Absage wg. Erkrankung]

2008 | ROMA LIGOCKA
„Das Mädchen im roten Mantel“

2007 | ELLA MILCH-SHERIFF
„Ist der Himmel leer?“

2006 | MENSCHENSINFONIEORCHESTER
„Schwarzer Winkel: Verfolgung von ‚Asozialen‘“

2005 | SCHÖNBERG – MAHLER – WEILL
„Verfemte Musik“

2004 | MICHAEL DEGEN
„Nicht alle waren Mörder“

2003 | BENTE KAHAN
„Home — Jüdische Lieder Europas“

2002 | COCO SCHUMANN
„Der Ghetto-Swinger“

2001 | GIORA FEIDMAN
„Dance of Joy?“