„Kann nicht schaden, wenn es gut klingt“
Interview mit dem "Magazin für Bochum"

Das Magazin für Bochum hat ein Interview mit mir geführt, “Bochum macht Spaß” heißt das Magazin, das Oliver Bartkowski macht:
Herr Wessel, wann kam der Gedanke auf, Pfarrer zu werden und was war der Auslöser?
Ich bin über die Theologie dazu gekommen und über die Frage: Was, wenn es Gott tatsächlich gibt, was dann? Ich fand diesen Gedanken nie bedrohlich, eher unterhaltsam im Wortsinn: Man hat ein Gegenüber. Die Option, Pfarrer zu werden, rückte dann fast unmerklich näher. Es gibt nicht viele Berufe, die solche Unabhängigkeit bieten.
Sprechen Sie auch heute noch Gottesdienste oder haben Sie dafür keine Zeit mehr?
Sicher halte ich Gottesdienste, aber was viel wichtiger ist: Gottesdienst ist nicht nur, wenn vorne ein Pastor steht, sondern ein gutes Konzert lässt sich ebenso als Gottesdienst verstehen und vor allem hören, immerhin kommt der Glaube aus dem Hören, hat Luther gesagt und es kann nicht schaden, wenn es gut klingt.
Ihre Kirche, die Christuskirche in Bochum, ist mittlerweile über die Grenzen der Stadt hinaus als hervorragende Konzerthalle bekannt. Wie kam es denn eigentlich dazu?
Durch eine großartige Architektur, tolle Akustik und eine lange Tradition. Die Kirchenmusik und unser Chor, die Stadtkantorei, hatten ihren Ort ja immer schon in dieser Kirche und wenn man jetzt nicht nur Bach, sondern sagen wir, ein Popkonzert hört, wie z.B. neulich die Hundreds, dann ist das schon ein grandioser Abend. Es ist dann so, als ob der Raum die Klangwelt weitet und damit eben auch die Bedeutung der Musik. Sie ist, wenn man so will, vor Gott gebracht. Man hört die Musik, wie Gott sie hört. Dass Gott einen Musikgeschmack haben könnte und dass dieser Geschmack sich mit meinem eigenen trifft, das ist, was wir mit dem sperrigen Begriff „Rechtfertigung“ meinen.
Jetzt treten ja nun Musiker aus den unterschiedlichsten Genres in der Christuskirche auf. Jazz, Weltmusik, Rock, Pop und Electro sind bei ihnen zu Hause. Stehen Sie allen Genres offen gegenüber oder muss die Musik auch Ihnen persönlich gefallen?
Nicht mir, dem Raum muss es gefallen. Die Musik muss nicht nur in dem Raum spielen, schon gar nicht gegen ihn, sondern mit ihm, das macht ja den Unterschied aus zwischen Hifi und einem Livekonzert. Lebendig wird Musik nicht deshalb, weil einer sie spielt, sondern weil viele Menschen sie hören.
Verbinden Sie damit Beruf und Hobby oder besser gefragt sind Sie jemand, der Musik in sich trägt?
Schöne Formulierung: „Musik in sich tragen“, das erinnert mich an Schleiermacher, der war ein berühmter Theologe, er hat vom „Sinn und Geschmack fürs Unendliche“ gesprochen. Im 18. Jahrhundert war das, es gab noch lange keinen Pop, da hat er die erste Poptheorie geliefert, dass das persönliche ästhetische Empfinden Sinne freisetzen kann, der die eigene Welt überschreitet und einen mit anderen verbindet, die am anderen Ende der Welt sein können und die man nie gesehen hat, deren Sinn und Geschmack man aber teilt. Transzendenz ist eine innerweltliche Erfahrung.
Seit acht Jahren gibt es die Reihe urban urtyp in der Christuskirche, deren Prinzip lautet: Die beste Musik ist die, die man noch nicht kennt. Jetzt wurde diese Indie-Reihe von der Bundesbeauftragten für Kultur mit dem „Applaus“-Preis geehrt. Da kann man schon stolz drauf sein, oder?
Der Clou bei urban urtyp ist, dass es keinen Intendanten gibt, keinen künstlerischen Leiter oder sonstwie kunstamtliche Personen, sondern dass, wer mitmacht, auch das Programm bestimmt. Das Format ist selber ein offenes Kunstwerk, und das finde ich fast noch schöner als die Musik, die auf diese Weise in die Stadt kommt.
Mussten Sie schon einmal beten, weil ein Konzert so schlecht war, in der Hoffnung, dass es bald vorbei ist?
Ehrlich gesagt, ja, aber es gab auch andere in der Kirche, die gebetet haben, dass das Konzert noch ein Weile andauern möge. Mein Votum war dabei offenbar nur ein Minderheitsvotum (lacht).
Musiker wie Ray Wilson (Ex-Genesis) kommen fast im Jahresrhythmus zu Ihnen. Gibt es Künstler, die Ihnen mittlerweile ganz besonders ans Herz gewachsen sind?
Wenn ich so darüber nachdenke, eigentlich nicht, nein. Es gibt ja immer zwei Räume im Livebetrieb, Bühne und Backstage, da ist jeder Konzerttag besonders. Das ist fast wie eine Lebensgemeinschaft für einen Tag.
Was für Highlights dürfen wir in der Christuskirche 2018 erwarten? Gibt es schon eine kleine Vorausschau?
Donovan kommt, der ist ja nun wirklich eine lebende Legende. Hans-Joachim Roedelius kommt auch, ebenfalls legendär, der Urvater der elektronischen Musik. Dann kommt Ben Becker und spielt „Ich, Judas“ bei uns an den Tagen, an dem die Geschichte spielt, am Karfreitag und Gründonnerstag, und wir begehen seit Jahren den Tag der Befreiung von Auschwitz, den 27. Januar, in diesem Jahr wegen des Sabbats am Tag darauf zusammen mit Bochumer Künstlern, u.a. mit Chris Hopkins und seinem Gypsy Swing Trio. Die Nazis haben Jazz und Swing und atonale Musik verboten, die Musiker verfolgt, vertrieben, ermordet. Es geht an diesem Tag darum, dass es nicht egal ist, welche Musik man in sich trägt.
Vielen Dank für das Interview.
Immer wieder gerne.
Interview: Oliver Bartkowski