Tag der Befreiung

Theodor Wonja Michael (†)

Ein Leben, ein Jahrhundert und eine Künstler-Karriere, die einzigartig bleibt

Theodor Wonja Michael am Tag der Befreiung in der Christuskirche, 27. Januar 2014 | Foto Ayla Wessel

Fünf Jahre her, dass er, begleitet von seiner wunderbaren Frau Edeltraut Schell-Michael, zum TAG DER BEFREIUNG in der Christuskirche gelesen hat. Jetzt ist Theodor Wonja Michael, Schauspieler und Autor, ein Künstler des Lebens und Überlebens, im Alter von 94 Jahren verstorben.

Die Geschichte seines Lebens ist eine ungemein deutsche, nur ist sie deutsch in anderer Perspektive: Sein Vater stammte aus Kamerun, der ehemals deutschen Kolonie, seine Mutter aus dem preußischen Posen. Als Kind hat der kleine Theodor in den surrealen “Völkerschauen” gearbeitet, den Menschenzoos, die Carl Hagenbeck erfunden hatte.

1935, da ist er 10 Jahre alt, erlassen die Nazis das “Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre”, ihr “Rassegesetz”. Von heute auf morgen gilt der Berliner Junge als “artfremd”. Seinen Pass ziehen die Nazis ein, “staatenlos” zu sein bedeutet, völlig rechtlos zu sein – und dann hat er nicht einmal die Chance unterzutauchen:

“Wohin hätte ich schon flüchten können mit meinem Gesicht?”

Konzentrationslager sind ihm erspart geblieben, aber nicht die Zwangsarbeit, nicht der Hunger und nicht die pausenlose Angst davor, auf der Straße aufgegriffen und verschleppt zu werden. Dann die furchtbare Erfahrung, die er nach 1945 machen musste: dass, wer den Nazis entkam, im neuen Deutschland keine offenen Arme fand. Die Nazis waren wie über Nacht verschwunden, ihr Rassismus aber hat wie selbstverständlich überdauert:

“Die Arbeitsämter bevorzugten ‘deutsche’ Arbeitssuchende. Sie konzentrierten sich auf die aus dem Krieg bzw. der Gefangenschaft heimgekehrten Soldaten, auf Flüchtlinge und Versehrte. Ein nicht deutsch aussehender, staatenloser, nichts könnender Abkömmling eines ehemaligen Kolonialangehörigen war da nicht gefragt. Für potentielle Arbeitgeber trug ich offensichtlich noch immer das Baströckchen aus der Völkerschau.”

Mühsam arbeitet sich Michael “in meinem schwierigen Mutterland” voran, er studiert, etabliert sich als Journalist, wird in den Staatsdienst berufen und schließlich zum “ersten schwarzen Bundesbeamten im höheren Dienst ernannt”. Aber selbst jetzt, Jahrzehnte nach dem Nazi-Terror,

“während meiner gesamten Dienstzeit, begleitete mich der mir gegenüber nie offene ausgesprochene Satz: ‘Integriert, qualifiziert, aber immer verdächtig.’”

Ein Leben, ein Jahrhundert. Und eine Schauspieler-Karriere, die unvergleichlich ist:

_ Als Kind in abstruse Kostüme gesteckt und in Menschenzoos vorgeführt.

_ Während der Nazi-Jahre Komparse bei der UFA, Theodor Michael rettete sein Leben – nicht am Rande, sondern im Zentrum der Goebbelschen Macht – damit, dass er in Dutzenden Filmen auftrat, in denen sich die Nazis als “Herrenrasse” inszenierten. Eine surreale Situation: Filmische Fiktion und rassistische Fiktion kommen überein, die Farbe der Haut wird von den Nazis in Szene gesetzt, als entscheide just sie über Leben und Tod – und tut es in diesem einen Fall, dem Leben von Theodor Wonja Michael, tatsächlich.

_ Nach 1945 hat Theodor Michael mit vielen gearbeitet, “die später große Karrieren machten sollten”, seine eigene fiel zwischen die Zeiten. Erst Ende der 80er meldeten sich Theater bei ihm

“und boten mir Rollen an, die ich früher nie bekommen hätte. Zugegeben, es gab in der deutschen Theaterszene nach wie vor kaum Rollen für schwarze Schauspieler. Zwei Rollen hätte ich immer sehr gerne gespielt: Den durchtriebenen Mulay Hassan in Schillers ‘Fiesco’ und Skakespeares ‘Othello’. Aber auch dafür wurden lieber weiße Kollegen schwarz geschminkt. Das erste mal, als ich mich für den Othello bewarb, wurde ich als zu jung befunden, das zweite Mal als zu alt. Schließlich wurde mir kürzlich die Rolle erneut angeboten, aber da musste ich tatsächlich aus Altersgründen ablehnen.”

Die Theaterwelt, die sich selber so gern als Seismograph des Kommenden sieht, läuft eben auch nur hinterher. Theodor Michael dagegen war Avantgarde ein Leben lang.

Am Tag nach seiner Lesung in der Christuskirche haben er und seine Frau dem PLATZ DES EUROPÄISCHEN VERSPRECHENS ihre Namen gegeben:

Die Namen von Edeltraut Schell-Michael und Theodor Wonja-Michael | Foto Ayla Wessel (c)