„Ich bin viele!“
Kid Be Kid in der Christuskirche. Eine Review von Stefan Pieper, nrwjazz.net
Die Macher dieser Spielstätte wissen, was sie tun und wollen – das ist beim Betreten der “Kirche der Kulturen” auf Anhieb spürbar. Wie realisiert man ein Clubkonzert in einem großen Kirchenraum? Man konstruiere – stylisch und funktional zugleich – ein durchsichtiges Cellophanviereck, in dem Stuhlreihen und die exquisite Soundanlage postiert sind. Die Bühne ist der Altarraum in der Mitte. Und man hole sich eine wirklich aufregende Live-Performerin – Kid be Kid, so der Künstlernahme der Berlinerin, die in ihren Bühnenansagen überhaupt kein Aufhebens um ihr – de facto spektakuläres! – Potenzial macht. Aufregend ist allein schon, wie sich in der Liveperformance dieser zarten Person gleich vier mächtige Komponenten bündeln: Sie kann singen – und wie! Mit einer empfindsamen, manchmal brüchigen, durchaus an die Melancholie von Portishead erinnernden Stimme. Sie spielt Klavier mit ausdrucksstark artikuliertem Anschlag. Simultan benutzt sie einen Synthesizer als das, was dieses Instrument sein will: kein verschämtes Hilfsmittel, sondern ein Lieferant expressiver, manchmal wabernd psychedelischer Flächenklänge. Vor allem jedoch:
Sie braucht weder Schlagzeuger noch Drumcomputer, allein ihre Stimme besorgt all dies scheinbar wie von selbst. Beatboxen, diese Kunst, mit allen möglichen stimmlichen Tricks Konsonanten zu perkussiver Wirkung zu verhelfen, das hat sie sich autodidaktisch beigebracht. Das ist bei ihr alles andere als ein modisches Gimmick, sondern vielmehr ein selbstverständliches funktionales Element für die weitgespannten, hypnotischen Stücke der Berlinerin. Das sorgt durchgängig für einen dunklen, elektropopartigen, trippigen Puls, der vor kantigen Garage-Rhythmen nicht halt macht, zugleich mit einem Feuerwerk an filigranen Akzenten aufwartet. Unfassbar ist auch dies: Dieses ganze integriert sie völlig selbstverständlich in die Gesangslinien der Melodien.
Wo viele KünstlerInnen akrobatisch auf allerhand wundersamen Dingen herumexperimentieren, steht bei Kid be Kid eine tief ehrliche Botschaft, die aus dem Inneren heraus kommt. Das Ergebnis ist eine unglaublich empfindungstiefe Musik. Ihre Gesangsstimme ist nicht im konventionellen Sinne „schön“ und will das auch nicht sein – aber gerade eine gewisse heisere Brüchigkeit gerade in höheren Lagen sorgt für umso mehr elektrisierende Reibung. Mit all dem schließt sie die Empfindsamkeit eines tief persönlichen Jazzidioms mit dem aktuellem urbanen Underground mit seinen Beats, Scratches und dystopisch verzerrten Grime-Klangflächen wie zurzeit wohl keine andere kurz.
Man muss nach diesem Erlebnis erstmal wieder „landen“. Kid be Kid findet im Gespräch am CD- und Vinylstand ganz einfache, auf der Hand liegende Erklärungen für ihre Kunst: Sie habe eben nach ihrem Jazzstudium, welches sie in Dresden absolvierte, nicht bei den erlernten Dingen stehenbleiben, sondern sich weiter entwickeln wollen. Sie gibt zu:
„Ja, es ist schon ganz schön anstrengend. Ich muss mich wahnsinnig konzentrieren, all dies auf der Bühne miteinander zu synchronisieren“.
So sehr sie die Herausforderung sucht, sämtliche musikalischen Prozesse bei sich selbst zu bündeln, so gerne musiziert sie auch mit Partnerinnen und Partnern – ua mit der Pianistin Julia Kadel, die ein paar Monate vor ihr im urban urtyp-Kubus war …