Charlton Heston als Baerbock, Carolin Emcke als Kassandra
Wie Bedeutung angedeutet wird
Erst wird die Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, als neue Mose gegendert, die 10 Verbote diktieren wolle. Zwei Tage darauf deutet die Publizistin Carolin Emcke als Gast-Rednerin auf dem Grünen-Parteitag an, wer „vermutlich“ die neuen Juden seien im kommenden Wahlkampf, die „Klimaforscher*innen“. Meinungstrend derzeit: Das eine sei antisemitisch, das andere eher nicht oder war es umgekehrt. Zwei Debatten, eine Gelegenheit, darüber nachzudenken, wie Bedeutung angedeutet wird.
„Ich weiß die zehn Gebote gar nicht“, erklärte Kurt Tucholsky, „ich weiß: … du sollst nicht begehren deines… und dann einen Genitiv, den ich vergessen habe.“ Das dürfte sich in den 92 Jahren, die seitdem vergangen sind, nicht verändert haben, dafür ist Mose jetzt gegendert: Die „Initiative Neue soziale Marktwirtschaft“ (INSM), eine arbeitgebernahe Lobbyorganisation, hat ihm den Kopf von Annalena Baerbock aufgesetzt und die Steintafeln, die er trägt, neu beschriftet. So werden aus zehn Geboten zehn „Verbote der Grünen“, die „unser Land lähmen“. Judenfeindlich?
Auf den ersten Blick sieht es so aus, als würde hier ein altes Stereotyp aufgegriffen, das der jüdischen Gesetzesreligion, jahrhundertelang als Gegenbild zum freien Evangelium gepredigt. Nur weiß das noch wer, wenn es Tucholsky schon nicht wusste? Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) jedenfalls distanzierte sich von der Anzeige eines ihrer Lobbyisten mit der Begründung, es handele sich um eine „misslingende Verwendung christlicher Symbolik“.
Und die Grünen? „Zehn Verbote, die wir aufheben werden“, hatte 2013 der damalige grüne Spitzenkandidat, Jürgen Trittin, erklärt. Auch er kam nicht ohne die Assoziation mit den biblischen Geboten aus, um sich – ganz wie die Marktwirtschaftsinitiative jetzt – als Bilderstürmer zu geben, der es mit Mose aufnimmt. Das passende Bild zu Trittins „10 Verboten“ konnte sich jeder selber malen.
Was jetzt Aufgabe der Werbeagentur geworden ist, die INSM engagiert hat: Wie sehen „10 Gebote“ aus, die man nicht kennt? Wie Charlton Heston in „Die 10 Gebote“ , den man kennt, den monumentalen Sandalen Film von 1956. Die Graphiker finden ihre Vorlage bei Google statt in der Bibel, Heston steigt mit den Tafeln im Arm vom Berg herab:
das gleiche frotteehafte Wickelkleid auf gleiche Weise gewickelt, der gestreifte, überm Bauch geknotete Gürtel, die Position der Arme, dazu Form und Größe der Tafeln und der dramatisch-rote Hintergrund, alles nachgebildet, obenauf der Kopf von Baerbock. Wie eine Guckloch-Fotowand.
Deutlich also, dass Baerbock nicht „als Mose“ dargestellt wird, wie es jetzt heißt, sondern als Charlton Heston, der Mose spielt.
So ein Spiel mit religiösen Bildern, die in den Köpfen stecken, ist in der Werbung eher alltäglich als originell: unübertroffen bis heute der „Sexy-mini-super-flower-pop-op-cola“-Film, den Charles Wilp, in Witten geboren, 1968 für Afri Cola erdacht hat mit ua Marianne Faithfull als Eisblumen-Nonne (hier auf Youtube); schwer zu unterschreiten dagegen, um beim Nonnen-Motiv zu bleiben, eine Waschmittelwerbung wie diese von Dash.
Ähnlich geläufig wie das Spiel mit religiösen Bildern ist das Spielen mit Geschlechterrollen: Ein Vierteljahrhundert her, dass – berühmte Jeans-Werbung, von Horst Wackerbarth fotographiert – alle Jünger als Frauen auftraten, die Jesus umringen und anschließend Jesus als Frau, von allen Jüngern umringt …
Es gibt Hunderte Beispiele dafür, wie die jüdische und christliche Tradition in die Sprache der Werbung übersetzt wird, nach oben ist die Messlatte so lang wie nach unten, die INSM-Werbung wirkt müde.
Witzig daran allein, dass – Bibelleser wissen sowas – Charlton Heston kurz nach dieser Szene die beiden Steintafeln zerdeppert. Nicht aus Versehen, sondern aus heller Wut über die eigenen Leute. Könnte man ironisch deuten, die Anzeige.
Wäre da nicht der Text
Dann aber der Text, der balkengroße, der die Anzeige quert. Einmal lautet er: „Warum uns grüne Verbote nicht ins Gelobte Land führen“. Das andere Mal: „Warum wir keine Staatsreligion brauchen“.
Beide Texte deuten, sie tun es brachial. Sie geben keine Antwort auf eine Frage, sondern die eine Antwort auf eine Assoziation, die offenbar vom Bild geweckt werden sollte. Kein Spiel mehr ums Deuten, jetzt wird Politik in Stellung gebracht gegen Religion, aber nicht gegen die Religion, sondern gegen diese, die angeblich so gesetzesstarre, die jüdische.
Man stelle sich vor, sie hätten Omar Sharif genommen als Dschinghis Khan („Warum uns grüne Verbote nicht nach Europa führen“) oder die päpstliche Soutane mit Baerbock-Profil („Warum wir keine Staatsreligion brauchen“) oder Baerbock im Khomeini-Mantel („Warum wir keine Geschäfte mit Staatsreligionen machen”). Oder sie hätten den Plural von Religion an der Charlton-Heston-Figur selber inszeniert – ein Weihrauchfässchen an die Hand, ein lutherisches Bäffchen umgehängt, ein angedeutetes Kopftuch … jedes dieser Motive hätte halbwegs gepasst zum Text.
So aber wird die Sache billig. Und kippt ins antijüdische Halbwissen hinüber, jetzt steht das jüdische Gesetz gegen „Freiheit und Verantwortung“, die sie für sich selber reklamieren. Das alte antijudaistische Schema von Gesetz und Evangelium, die Juden als Negativfolie des eigenen Befindens.
„Juden und Klimaforscher*innen“
Die Anzeige erschien in einigen größeren Tageszeitungen, zwei Tage später erklärt Carolin Emcke den Grünen auf deren Bundesparteitag:
„In der Gegenwart ist die öffentliche Kommunikation faktisch privatisiert und in die ungefilterte Macht der Plattformökonomien überführt worden, die kein Interesse an der Unterscheidung von richtig und falsch hat.“
Emcke ist per Plattformökonomie zugeschaltet. Was demnächst noch alles auf die Grünen zukomme?
„Wir werden das im Wahlkampf sehen. Wir werden Manipulationen und Lügen sehen. (…) Es wird keine Rolle spielen, welche Personen oder welche Parteien es trifft. Denn es trifft alle in unserer Demokratie. Ganz gleich, welche Parteienkonstellation in die nächste Regierung eintreten wird … Es wird sicher wieder von ‚Elite‘ gesprochen werden. Und vermutlich werden es dann nicht ‚die Juden‘ und ‚Kosmopoliten‘, nicht die ‚Feministinnen‘ oder die ‚Virologinnen‘ sein, vor denen gewarnt wird, sondern die Klimaforscherinnen.“
Welches Objekt am Ende ins Visier gerate, erklärte sie zuvor, sei „so austauschbar wie mutwillig“. Könnte es also sein, dass sie denkt, die Klimaforscher von heute könnten die Juden von morgen sein?
Wenn man sich das Video anschaut, in dem sie – in einem Predigtton wie anno dunnemal – ihren Satz formuliert, sieht man, wie sie bei ‚Elite‘ und ‚die Juden‘ und ‚Kosmopoliten‘ und ‚Feministinnen‘ und ‚Virologinnen‘ Anführungsstriche in die Luft malt. Sie zitiert, was andere denken, es ist ganz offensichtlich nicht ihre Meinung. Sie vergleicht auch keine mit keinen und eben auch nicht die Klimaforscherinnen (ohne Anführungszeichen, sie waren ja noch nicht dran) mit Juden, sondern sie stellt das wirre Denken von denen dar, gegen die sie argumentiert.
Kassandra klärt auf
Und trotzdem kippt die Sache auch hier. Emcke ruft diese anderen, gegen die sie argumentiert, in ihren Zeugenstand, gibt aber keine Namen preis. Alles, was sie von ihnen verrät, ist, dass es sich um „populistische Manipulatoren“ handele und um „antiaufklärerische Bewegungen“. Von denen gibt sie immerhin etwas preis:
„Die antiaufklärerischen Bewegungen brechen nicht lokal und spontan auf, sondern sie werden international und strategisch gezüchtet, um Misstrauen zu schüren. Das ist die Ambition aller autoritären Bewegungen und Regime, dass es nichts mehr Gemeinsames geben soll.“
Welche autoritären Bewegungen, welche Regime? Alle. Keine Namen. Vor allem keine Aufzählung wie eben noch, als es um die „Objekte“ ging, die allesamt austauschbar seien. Dagegen verschwinden die Subjekte des Angriffs auf “uns alle” – Emcke zufolge geht es immerhin um die Frage, ob die Wirklichkeit „ausradiert“ werde – , die Subjekte dieses Angriffs verschwinden in einem unheilvollen Nebel:
Die „Manipulatoren“ seien „nicht lokal“, sie seien „international“, sie würden „strategisch gezüchtet“ und dann durch „Plattformökonomien“ gesteuert, „die ungefilterte Macht“ besäßen …
Es klingt nicht weit entfernt von dem Verschwörungsgeschwafel, das sie kritisiert. Würde man Leute bitten, das Bild, das sie vor Augen stellt, einmal zu malen, sähe es übler aus als Charlton Heston, von Annalena Baerbock gemimt. „Es braucht eine neue Aufklärung“, erklärt Kassandra Carolin und betreibt das Gegenteil.
Nur warum? Sie hätte in ihrer 7-Min-Rede, wenn schon nicht aufs Andeuten, dann auf „die Juden“ verzichten können, ihr Satz hätte gelautet: „Es wird sicher wieder von ‚Elite‘ gesprochen werden, und vermutlich werden es dann nicht ‚Kosmopoliten‘ sein, nicht die ‚Feministinnen‘ oder die ‚Virologinnen‘ , vor denen gewarnt wird, sondern die Klimaforscherinnen.“
Wie langweilig. Wenn man darauf aus ist, Unheil zu dräuen, braucht es die Juden. Wenn man darauf ist, das Gegenteil von Freiheit zu plakatieren, braucht es die Juden ebenso. An dem Punkt tun sich Emcke und die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft nichts, die Juden sind ihnen Manövriermasse.
Mit dem Unterschied, dass Emcke weiß, was sie tut, kürzlich schrieb sie in der SZ:
„Wir müssen fragen, bei jedem Satz, den wir schreiben, jedem Bild, das wir evozieren, was wir darin zitieren, welche Erinnerungen damit für wen verkoppelt sind, welche Stimmen so legitimiert oder delegitimiert werden. (…) Es genügt, Assoziationen zu triggern, indem angedeutet wird, was dann das lesende Publikum vervollständigt. Das ist wie antisemitisches Malen nach Zahlen: Es braucht nur ein paar Punkte, die miteinander verbunden werden, das fertige Bild entsteht dann imaginär von allein.“
Es ist, was sie tut: Sie deutet an, sie lässt es triggern.