Stabat Mater …

... in Zeiten des Krieges: Stadtkantorei singt Dvoraks Urfassung

Prague skyline at dawn 2014 by Petar Milošević CC BY 4.0

Josefa starb zwei Tage nach ihrer Geburt in Prag. Das war 1875, die Kindersterblichkeit in Europa lag bei etwa 40 %. Dass diese Zahl heute  –  klammern wir Putins Vernichtungskrieg für einen Moment aus  –  Richtung Null tendiert, hat mit wissenschaftlichen Einsichten zu tun, mit Aufklärung und einem effektiven Sozialapparat, es hat ebenso mit Kunst zu tun und mit Religion. Weil es die Kunst gewesen ist und die Religion, die das Gefühl bereitet haben dafür, dass der Wert eines jeden menschlichen Lebens, und habe es nur einen Tag gedauert, zeitlos ist und unbegrenzt und unermesslich.

Einige Monate nach Josefas Tod schrieb ihr Vater, Antonín Dvorák, sein Werk „Stabat Mater“. Er sah sich, seine Frau, seine Lieben, am Grab seiner Tochter stehen wie die Mutter Jesu unter dem Kreuz gestanden haben mag: „Stabat mater dolorosa“ ist ein mittelalterliches Gedicht, vermutlich im 13. Jahrhundert geschrieben, es beschreibt die hilflose Verzweiflung einer Mutter, die ihren Sohn über Stunden leiden und  –  der Tod am Kreuz ist grausam wie keiner  –  verrecken sieht. Zahlreiche Komponisten hat dieses Gedicht zu ergreifenden Vertonungen angeregt, weil sie  –  es gibt keinen anderen Grund  –  mitgefühlt haben.

Mitgefühl ist nichts, was einfach da wäre in der Welt wie Sommer und Winter es sind, sondern eines, das Menschen entwickeln müssen, wir können es lernen. Und das hat mit Ästhetik zu tun. Auf die Idee, dass es von hohem Wert sein könnte, die Kindersterblichkeit in Europa gegen Null zu bringen, muss man erst einmal kommen. Es gibt Gesellschaften auf dieser Welt, in denen der Tod verherrlicht und Kinder geboren werden, damit sie zu Selbstmordkillern werden oder zu Kanonenfutter. Auch das hat mit Ästhetik zu tun.

Als Josefa, die Tochter von Antonín Dvorák, vor 147 Jahren starb, wählte ihr Vater, der ihr unendlich wertvolles Leben zu bewahren suchte, keinen orchestralen Sound, er wählte ein Ensemble aus Chor, vier Solisten und einem einzigen Instrument.


Antonín Dvořák
Stabat Mater op. 58
Fassung von 1876 für Soli, Chor und Klavier

Theresa Klose | Sopran
Katharina Georg | Alt
Leonhard Reso | Tenor
Christian Walter | Bass

Jona Kümper | Klavier
Stadtkantorei Bochum
Arno Hartmann, Dirigent


FOTO | Prague skyline at dawn 2014 by Petar Milošević CC BY 4.0