Steinmeier: „Israel-Boykott kommt Existenzverweigerung gleich“

Was die Documenta mit Terror und Terror mit BDS zu tun hat

Ausstellung für zeitgenössische Kunst: Documenta 2022 by Michael32710 | CC 3.0

„Wir sind Menschenfreunde“, sagt Wilfried Böse im Film, der nachstellt, wie er Juden selektiert. Böse und Brigitte Kuhlmann, seine Genossin, verstanden sich als „Revolutionäre Zelle“, zusammen mit einem Team der PFLP, der „Volksfront zur Befreiung Palästinas“, hatten sie eine Air France Maschine ins ugandische Entebbe entführt. Dort sortierten sie gemeinsam alle aus, die einen israelischen Pass besaßen oder einen Namen, der ihnen irgendwie jüdisch vorkam, es sollten jüdische Geiseln sein, die sie erschießen. Seitdem sind Kuhlmann und Böse tot, die PFLP sitzt im Lenkungsausschuss des BDS, und BDS, die antisemitische Boykott-Kampagne, sitzt in den Gremien und Ateliers der Documenta, auf ihr werden Israelis als Schweine und Juden als teuflische Macht ausgestellt und die PFLP als „Popular Front for the Liberation of Fried Chicken“ verhübscht. Kurz sind die Weg zwischen Terror und Kunst: Tatsächlich geht nicht nur die Idee, Israelis zu selektieren, auf die „Revolutionären Zellen“ zurück, ebenso die, Israel zu boykottieren. BDS ist eine sehr deutsche Geschichte.

Seit den frühen 70er Jahren hatten sich die „Revolutionären Zellen“ (RZ) in einem linken Milieu gebildet, ein Terror-Netzwerk wuchs heran, das sich nicht im Untergrund verbarg, sondern hinter einer oft bieder-bürgerlichen Fassade. In diesem Milieu galt Terror als Moment einer Politik, auf die alle Kriterien zutrafen, wie man sie heute auf Prozesse des Empowerments anlegt: Selbstbestimmt sollten legale und illegale Strategien ineinandergreifen, gewaltfreie und mörderische Aktionen sich in freier Selbstverantwortung ergänzen. Die drei Punkte des RZ-Programms: (1) Aktionen für „Arbeiter, Jugendliche und Frauen“, (2) „anti-imperialistische Aktionen“ und (3) „anti-zionistische Aktionen“.

Ergebnis dieser Melange aus Spießigkeit und Mordlust: 186 Schusswaffen-, Brand- und Sprengstoffanschläge und ähnlich schwere Straftaten, so die Angaben der Generalbundesanwaltschaft. Zahl der Todesopfer: mindestens neun, alles Zivilisten. Hier eine Chronologie der ausschließlich „anti-zionistischen Aktionen“ im O-Ton der RZ:

_   „Sept. 74 – Anschlag auf die Maschinenfabrik Korf in Mannheim, die zu 3/4 im Besitz der Zionisten ist.

_   Sept. 74 – Anschlag auf das EL-AL -Büro in Frankfurt wegen der Völkermordstrategie der Zionisten gegenüber den Palästinensern. (…) Unsere Anschläge auf Korf und das staatliche israelische Reisebüro sind Ausdruck unserer Solidarität mit dem palästinensischen Volk im Kampf gegen den Zionismus. Die furchtbaren Verbrechen des deutschen Faschismus an den Juden dürfen uns nicht die Augen verschließen vor dem Ausrottungsfeldzug der Zionisten in Palästina“ usw.

_  Juni 1976: Entführung der Air-France-Maschine nach Entebbe gemeinsam mit der säkular-palästinensischen PFLP. Ziel: rechtmäßig verurteilte Killer aus Gefängnissen in Deutschland, Frankreich, der Schweiz und Israel freipressen, unter ihnen Kozo Okamoto, Mitglied der „Japanischen Roten Armee“ und verantwortlich für den Mord an 26 Zivilisten in Tel Aviv  –  die „Japanische Rote Armee“ wird dieser Tage auf der Documenta abgefeiert (hier und hier). Von den 258 Passagieren selektieren Böse und Kuhlmann, beide Gründungsmitglieder der RZ, alle Israelis und jüdischen Passagiere aus, insgesamt 105 Personen zusammen mit der französischen Besatzung. Drei von ihnen sterben bei ihrer Befreiung durch ein israelisches Kommando, die vier Terroristen von RZ und PFLP werden erschossen.

_  Januar 1977: Erster Boykott-Aufruf der RZ. Das „Unternehmen Entebbe“ war noch im selben Jahr verfilmt worden, Januar 1977 kommt der Film in bundesdeutsche Kinos, die RZ rufen zum „Boykott“ des Films auf und verbinden ihren Boykott-Aufruf  –  als „Warnung an die Zuschauer“  –  mit Brandanschlägen auf zwei Kinos in Aachen und Düsseldorf. O-Ton RZ: Der Film sei „Dreck“, Israelis würden als „gut und menschlich“ dargestellt, diese Methode sei bekannt: „so wie im Faschismus Propagandafilme gedreht wurden, die das deutsche Volk emotional auf Judenmord und Antifaschistenhetze einstimmen sollten, so werden wieder Filme gedreht, die …“ usw. Die RZ sprechen von „Angriffen der »amerikanischen-israelischen Herrenrasse« … “

_   Im April 1977 berichtet der RZ-Aussteiger Hans-Joachim Klein dem SPIEGEL, die RZ planten zwei Morde: „Die zwei, die umgebracht werden sollen, sind zum einen: der Galinski von der jüdischen Gemeinde in West-Berlin […] Der Andere ist der Leiter der jüdischen Gemeinde in Ffm. […] Die sollen beide erschossen werden und zwar in allernächster Zeit.“

_  Juni 1978: Anschlag auf die Frankfurter Niederlassung der Agrexco, die Agricultural Export Company sei „der größte Importeuer für israelisches Obst in ganz Europa“, aus ihren Gewinnen finanziere Israel seinen „Vernichtungskrieg“. Folgt der zweite Boykott-Aufruf:

Es „kann diese Aktion nur dann ihren politischen Zweck erfüllen, wenn sie von der Linken aufgegriffen und verstanden wird als Auftakt zu einer breitangelegten Kampagne, angefangen bei Flugblättern über die Zusammenhänge, Boykottkampagnen gegen israelische Waren über Diskussionen mit Leuten beim Einkaufen bis hin zu Stinkbomben und Säureattentaten gegen israelische Produkte und der Vernichtung der überall in den Kaufhäusern ausgelegten israelischen Obstbestände.“

_   Juni 1979: Sprengstoffanschlag auf Hameico, die Frankfurter Firma importiert Gemüse und Obst aus Israel. Erneut phantasieren die RZ einen „Holocaust an den Palästinensern“ herbei und erklären, dass sie die Friedensverhandlungen in Camp David boykottierten, die ein Vierteljahr zuvor zum Agreement zwischen Israel und Ägypten geführt haben. Und jetzt entwerfen die RZ ihre Boykott-Kampagne im Detail:

„Wir werden von nun an eine Kampagne zur Unterstützung des palästinensischen Befreiungskampfes einleiten, die einen der empfindlichsten Nerven des zionistischen Staates Israel trifft – seine marode Ökonomie. Im Zeichen der Inflation und vor dem Hintergrund von Devisenknappheit ist Israel vor allem auf den expansiven Export seiner Agrarprodukte dringend angewiesen. In Fortführung der Ungenießbarmachung von Citrusfrüchten und unseres Sprengstoffanschlages auf die Firma Agrexco vor einem Jahr, garantieren wir nun, auch die deutschen Vertriebsfirmen aller israelischen Produkte nicht mehr in Ruhe zu lassen. Ihre einzige Chance ist es, sofort den Vertrieb oder Verkauf solcher Waren einzustellen – es gibt auch anderswo Äpfel. Wir fordern auch andere Antifaschisten auf, mit uns gemeinsam mit einfachsten und ungiftigen Mitteln zionistisches Obst ungenießbar zu machen …“

Bus-Bombing in Israel August 2011 | Ariel Hermoni, IDF

Das RZ-Zeugs liest sich, als hätte BDS, die Boykott-Kampagne gegen Israel, ihr gesamtes Paket  –  Idee, Strategie und Stil –  direkt bei den „Revolutionären Zellen“ bestellt. In einem Milieu, in dem die RZ bis in die 90er Jahre hinein gelebt und gebombt haben, kann BDS nur als andauerndes Deja vu erfahren werden: Die Kinder schlagen die Schlachten ihrer Eltern. Dass sie es tun, hat einen materialen Grund: BDS ist eine westliche Kampagne, die Generationen, die BDS tragen, sind die Generationen von Erben, wie es sie so noch nie gegeben hat. Was da, weil es sich nicht vererben lässt, umso dringender benötigt wird: das Gefühl, dass so viel unverdientes Glück dennoch angemessen sei und wohlverdient. Um dieses Gefühl zu kriegen, braucht es hehre Ziele, globale Perspektive, moralisches Behagen, ohne dass sich das Konto, auf dem das Erbe liegt, spürbar verzehrt. Das kleine Israel ist perfekt für diesen Deal der Generationen: Israel zu „boykottieren“ kostet nichts, im Gefühlshaushalt dagegen erweist es sich als Bombengeschäft.

Ohne Bomben selbstverständlich. Alles gewaltfrei und legal, mit kulturellem Chic.

Behauptet die „Initiative Weltoffenheit“, das Intendanten-Kollektiv vertritt das Gros der staatsfinanzierten Kultur, es hat die Documenta beraten. Dasselbe behauptet Claudia Roth, die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur, deren Amtsleiter Andreas Görgen wiederum die „Initiative Weltoffenheit“ beraten hat. Dieser Tage steht Claudia Roth vor ihrem BDS- Karussell, blickt in die Kameras und fordert: „Das will ich aufgeklärt haben, wie das passieren kann!“

Sie war es selber, sie hat den Bundestagsbeschluss boykottiert, der BDS attestiert, dass die Kampagne antisemitisch ist. Roth dagegen erklärt bis heute, dass es beim BDS zwar „Antisemitismus in den eigenen Reihen“ gebe, man sich aber davor hüten solle, alle an der BDS-Kampagne beteiligten „Organisationen und Einzelpersonen pauschal als antisemitisch zu bezeichnen“. Begründung: Es handele sich um eine „Zivilbevölkerung“, die „gewaltfrei“ sei und „nicht zentral organisiert“.

Alles Quatsch. Natürlich wird BDS gelenkt: “The Palestinian BDS National Committee is the broadest Palestinian civil society coalition that works to lead and support the BDS movement for Palestinian rights”, das erklärt BDS selber, es ist leicht zu finden. In diesem „National Committee“, das die Kampagne „führt und unterstützt“, sitzt obenan der „Council of Palestinian National and Islamic Forces“, in diesem Terror-Konzil wiederum geben PFLP, Islamischer Dschihad und die Hamas den Ton an. Und zwar nicht nur den der Gewalt  –  die Gangs sind blutrünstig, ihr Terror eliminatorisch  -, ebenso den Ton gewaltfreier Schöngeistigkeit: „Kunst im Befreiungskampf“ nennt das die Hamas in ihrem Grundsatzprogramm, Artikel 7 dieser „Charta“ hält fest, dass alle Juden umzubringen seien, Artikel 19 erklärt, was man dafür benötige  –  Küchenmesser? Raketen?

Bücher, Artikel, Flugblätter, Predigten, Botschaften, verschiedenste Arten der volkstümlichen und klassischen Dichtung, Dramen und anderes mehr sind … zur geistigen Mobilisierung unbedingt notwendig.“

Einer der Wortführer dieses National Committees ist Omar Barghouti, auch er, als „Gründer des BDS“ gehandelt, spielt das Spiel, wie man es in Deutschland von den „Revolutionären Zellen“ kennt: Er formuliert Sätze im schönsten Documenta-Deutsch  –  „BDS Kampagnen sollten sich an folgenden Prinzipien ausrichten: Inklusion, Vielfalt, Steigerung und Nachhaltigkeit“   –  und erklärt zugleich: “Definitely, most definitely, we oppose a Jewish state in any part of Palestine. / Wir sind definitiv, mit absoluter Sicherheit, gegen einen jüdischen Staat in irgendeinem Teil von Palästina.“ Wie dieses Ziel erreicht und Israel vernichtet werden soll, hat Leila Khaled  –  die Top-Terroristin der PFLP wird von BDS wie ein Popstar herumgereicht  –  im Oktober 2018 erklärt: „Palestine will be liberated through resistance in all forms, first and foremost by the armed struggle. / Palästina wird befreit werden durch Widerstand in allen Formen, in allerster Linie durch den bewaffneten Kampf.“

Das sieht BDS genauso: Als im Mai 2021 Tausende Raketen auf die Israelis niedergingen, forderte BDS nicht das Ende des Terrors, sondern „Follow @ BDSNATIONALCOMMITTEE“.

Flirt von Terror und Elite

Im Februar 2019 legte die israelische Regierung den Bericht „Terroristen in Anzügen“ vor, der vielfache Verbindungen aufzeigt, die es zwischen BDS- und Terrororganisationen gibt und in dem es heißt: „Terroristische Organisationen sehen den ‚zivilen‘ Kampf gegen Israel (…) als eine Ergänzung zu ihren bewaffneten Angriffen auf den Staat Israel.“

Dieses In- und Miteinander von Terror und Kunst hat Frank-Walter Steinmeier gemeint, als er in seiner Rede zur Eröffnung der Documenta den Satz formulierte: „Ein Boykott Israels kommt einer Existenzverweigerung gleich.“ Wenige Tage später zeigten die ersten antisemitischen Kunstwerke der Documenta, dass der Bundespräsident gesehen hat, was die Kultur-Elite leugnet: wie tief sich  nackter Judenhass in ihrem Milieu eingegraben hat.

BDS wird nicht von außen ins deutsche BDS-Milieu hineingetragen. Dessen aufgeblasener Sound von einer „Ästhetik der Differenz“, die BDS sichtbar mache, brabbelt darüber hinweg, dass BDS in diesem Milieu etwas wachruft, was vergessen oder verkniffen oder verboten war und was nun  –  das Erbe der Eltern  –  hochgespült wird wie aus einem verstopften Abflussrohr im Designerkloo zuhause: Terror-Romantik, die sich als „revolutionäre Zelle“ entwirft. Revoluzzertum, das ständig „Brüche“ inszeniert, ohne jemals einen Bruch zu begehen. Sehnsucht nach einem Dasein als respektierter Feierabend-Terrorist, in dem sich beides verbinde, der Job in einer durchsubventionierten Mühle mit dem erregenden Besuch des Stadttheaters, das einen angestellt hat …

„Was die Elite ansprach, war Radikalismus als solcher“, so schon Hannah Arendt über den Flirt von Terror und Elite, der ein langes Jahrhundert andauert. In Kassel hat man sich für diesen Flirt ein Kuratoren-Kollektiv „aus dem globalen Süden“ angelacht und dieser postkolonialen Exotik dann „ein Team zur Seite gestellt, das vorwiegend aus Europa kommt und sich im Betrieb bestens auskennt“, so beschreibt Boris Pofalla das Setting: „Kein einziges Mal wurde von ihnen (den Europäern dieses Teams; thw) angesichts der berechtigten Kritik nur der Hauch einer Distanzierung vom BDS laut.“

Und das nicht erst seit Januar, als das Bündnis gegen Antisemitismus Kassel öffentlich machte, wie sehr die Documenta von BDS durchsetzt ist. Die Leute, die sich auskennen im Subventionsbetrieb und ihre Treue zu BDS beweisen, tun dies seit mindestens 2018, seit dem Skandal namens Stefanie Carp. Die damalige Intendantin der Ruhrtriennale wollte BDS partout auf dem Festival der Künste präsentieren, fünf Einsichten von damals ploppen jetzt erneut auf:

_ Es gibt ein konstitutives Einverstandensein mit antisemitischem Reden und antisemitischem Tun in einem Kulturmilieu, das der Staat alimentiert.

_ Intendanten und Verantwortliche dieses Kulturbetriebs, der sich selber „Weltoffenheit“ attestiert, machen sich willentlich erpressbar, auch das hat schon Carp ausgeplaudert: dass sie von BDS „unter Druck gesetzt“ worden sei, immer noch mehr BDS zu präsentieren. Tat sie dann auch.

_ Ist BDS einmal im Haus, gehen die Häuser und Festivals und Ausstellungen zügig vor die Hunde, sie zerlegen sich selbst.

_ Wer völlig aus dem Blick gerät: die Künstler, die sich BDS nicht unterwerfen.

_ Ebenso die, die sich  –  vor allem im arabischen Raum  –  BDS unterwerfen müssen. Die gezwungen sind, zuhause so zu tun, als trügen sie eine westliche Hetzkampagne mit. BDS ist durch und durch kolonialistisch, die Kampagne, vom westlichen Kulturbetrieb finanziert, hat ungezählte Karrieren blockiert und boykottiert und ausgebremst, weil dort, in den BDS-Kolonien, kein Freiraum bleibt, sich zu verweigern.

So schafft BDS kulturelle Reservate. Oder um den großen Bazon Brock zu zitieren: „Die Leute“  –  er meint alle, die sich im weiten Rund um die „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“ versammelt haben  –  „die Leute haben im Namen der Kunstfreiheit 5.3 GG die Kunst liquidiert. Das ist das alle Zeiten beherrschende Schema des Totalitarismus.“