“Wimmelbild” oder antisemitisches Weltbild?
Documenta schwankt zwischen Volksfest und Volksgerichtshof. Eine Bildbeschreibung
Alle sprechen über ein Bild, das keiner sieht, „People’s Justice“ heißt es. Auf der Documenta, Ausstellung mit globaler Ambition, wurde es drei Tage lang gezeigt, dann verhüllt, dann abgehängt. Claudia Roth, Staatsministerin im Kanzleramt, hatte darauf gedrängt. Seitdem sprechen sich alle frei von dem, was niemand sieht. Judenhass? „Zwei Figuren“ seien zu sehen gewesen, aber leicht zu übersehen, man sehe sich das selber nach. So geht Bildanalyse auf der Documenta. Dabei ist das Bild 96 qm groß und durchkomponiert: Die „zwei Figuren“ verschwinden in keinem „Wimmelbild“, sie stecken ein antisemitisches Weltbild ab. Die Verantwortlichen der Documenta reden von „Pluriversum“.
Drei Tage war die 8 x 12 Meter große, flächig bemalte Plane des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi in Kassel auf dem Friedrichsplatz aufgespannt zwischen Fridericianum, Documenta-Halle und Ruru-Haus, den Hauptspielorten der bisher renommierten Kunstausstellung. Deren Eröffnungsparty wurde vor der bunten Plane abgehalten wie vor einem Hochaltar, anschließend wurde das Banner schwarz verhängt, dann abmontiert „aufgrund einer Figurendarstellung“, wie die Documenta mitteilte.
So gut wie alle Medienberichte, ob sie die Documenta 15 für einen Skandal halten oder den Skandal verniedlichen, stützen sich auf diese Deutung: Es gehe um „zwei Figuren“, die antisemitisch dargestellt seien, „und weil es ein üppig volles Wimmelbild ist“, wie die Generaldirektorin der Documenta, Sabine Schormann, im Interview mit der HNA bekannt gab, „ist die antisemitische Darstellung darin im Tohuwabohu des Eröffnungswochenendes zunächst nicht aufgefallen.“
Dass Schormann hier ein hebräisches Wort einfällt, um mit ihm das Gegenteil von dem zu bezeichnen, was sie ihrer Documenta attestieren will – „tohuwabohu“ hat Luther mit „öde und leer“ übersetzt – lässt sich als Freudsches Kunstwerk betrachten. Ihr Wort vom „Wimmelbild“ dagegen, in dem zwei antisemitisch gemalte Figuren verschwinden würden, hat sich als allgemeine Entschuldung durchgesetzt. Jürgen Zimmerer beispielsweise, postkolonialer Historiker, hat dies erst jetzt wieder in einem niederträchtigen Tweet verlauten lassen:
>> Wären in #Melilla statt tote Menschen bestimmte indonesische Wimmelbilder #documenta15 gezeigt worden, wären die deutschen Medien voll davon, quer durch alle Parteien. Aber so: Sind ja zudem “nur” Migranten aus Afrika — Jürgen Zimmerer (@JuergenZimmerer) June 26, 2022 <<
Zimmerer suggeriert, bundesdeutsche Medien würden das Leid von Flüchtlingen verleugnen, sich aber wie auf Befehl auf „indonesische Wimmelbilder“ stürzen, die … was zeigen? Dies:
Das Bild ist Teil eines Triptychons, der linke Teil – oben ein Auszug dieses Teils – wird von zwei Figuren dominiert, links oben sitzt übergroß Haji Mohamed Suharto, Diktator Indonesiens von 1967 bis 1998, verantwortlich für Massaker an der politischen Linken, denen Hunderttausende zum Opfer gefallen sind, umgeben ist er von Leuten, die deutlich kleiner und so gezeichnet sind, als sollten sie wiedererkennbar sein, dann eine Phalanx von Panzern und militärisch aufgemotzten Vehikeln, die mit „TNI“ gezeichnet sind, Kürzel der Indonesian Army, und mit „URC“, das Kürzel steht für Unit Reaksi Cepat, die Einsatzgruppen von Suhartos Terrorregime. Aus dieser motorisierten Phalanx wiederum quillt eine Prozession von Figuren in Kampfmontur hervor: alle behelmt und mit Körperschutzanzug, aber nicht sichtbar bewaffnet bis auf den ersten, auf dessen Helm steht das Kürzel „KGB“, neben ihm einer mit „007“, hinter ihnen taucht das Kürzel des britischen Inlandsgeheimdienstes MI-5 auf, dann das des australischen Geheimdienstes Asis, ebenso der Schriftzug des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad, dazu weitere Kürzel, die sich nicht verlässlich entziffern lasse. Die Figur, auf deren Helm „Mossad“ steht, ist als Schwein gezeichnet, mit etwas Abstand vorneweg marschiert eine mittelgroße Figur – im Bildausschnitt oben nicht zu sehen, halbwegs zumindest hier – , sie ist wohl Kommandeur der Truppe, dargestellt als Keiler, obenauf ein rotes Barrett, darauf der Marker „CIA“, die Figur holt sich einen runter, der Spermaschwall ist mit „Death of terrorism“ beschriftet.
Dieses Marschkommando aus wichsenden Geheimdienstlern im Straßenkampf nähert sich nun einer Sammlung von Schädeln und Skeletten an, die erste Reihe stapft bereits darüber hinweg. Im selben Moment des Bildes aber prozessieren sie an einer zweiten übergroßen Figur vorüber, die mit dem übergroßen Suharto quer durchs Bild in einer Diagonalen verknüpft ist, fast schauen sich die beiden in die Augen:
Die Figur jetzt trägt blauen Anzug, Fliege, weiße Handschuhe und eine Clownsmaske, zwei Hörner wachsen ihr aus der Stirn. Rücken an Rücken mit ihr eine Figur im ebenfalls blauen Anzug, aber ohne Maske: ein Wolfs- oder Hyänenkopf, Blut läuft ihm aus dem Fang, die eine Pfote, als Hand gezeichnet, hat er ausgestreckt, in ihr lodert eine Feuerflamme auf – offenbar handelt es sich um eine Doppelfigur aus Clown und Wolf, aus Jekyll und Hyde, sie ist deutlich als Teufel markiert. Und gleichzeitig als Kindermörder, beide stehen sie, Clown und Wolf, auf den Köpfen je einer Frau, die eine trägt ein Baby im Arm.
Just hier taucht die zweite Figur eines Juden auf, erkennbar an den Schläfenlocken beiderseits, einer Intellektuellen-Brille, der Otto-Dix-Zigarre im Mundwinkel, die riesig haifischartigen Zähne sind entblößt. Auch diese Figur ist bürgerlich gekleidet, was sie auf dem Kopf trägt, lässt sich als Kippa deuten, darüber ein Hut, wie ihn chassidische Juden häufig tragen, auf dem Hut das Logo der SS.
Diese Figur, als jüdisch gemarkert, steht nicht im Bild herum, sie steckt hinter dem Teufel und grinst.
Es ist die Figur des Drahtziehers, des Einflüsterers, des Profiteurs hinter der Kulisse, der den Teufel lenkt, der wiederum alle geheimen Dienste lenkt und die Parade der Killerkommandos abnimmt. „Don’t worry, be happy“ singt der wölfische Teufel just jetzt, auch westlicher Pop ist hier als Lüge markiert. Hinter allen Facetten des Teufels – dem mörderischen Tun, das man sieht, der manipulierten Deutung, die man singen hört, dem raffgierigen Motiv, das sich verbirgt – hinter allem sei der Jude am Werk, erzählt das Bild.
Unten links der Titel für diese Art von Kritik: „The expansion of ‚multicultural‘ state hegemony“, das Wort “multicultural“ in Anführungsstrichen. Das bühnengroße Werk entstand 2002, wenige Monate nach den Terror-Attacken auf das multikulturelle, das jüdische New York.
Ist das „der Blick des globalen Südens“, den zu präsentieren die Documenta immer wieder behauptet hat?
Der Stil der Arbeit ist der von Underground-Comix, in den 60ern von Künstlern wie Robert Crumb in den USA entwickelt. Die Form der Arbeit ist die eines Triptychons, eines europäischen Flügelaltars, auf dem biblische Erzählungen bildlich dargestellt sind. Und der Inhalt? Ist ein christlicher, Taring Padi stellt eines der großen Motive nach, die es in der Kunstgeschichte des Westens gibt, die Erzählung vom Jüngsten Gericht.
Die jedermensch kennt, Michelangelos Ausmalung der Sixtinischen Kapelle (16. Jh) ist mehr als populär, Peter Paul Rubens Interpretation aus dem 17. Jh vertraut, und was hier besonders interessiert: Auch die Darstellung in Form eines Triptychons zählt zum kulturellen Allgemeingut des Westens, hier vor allem die Bilder des Weltgerichts von Hieronymus Bosch und Lucas Cranach, die in der Tradition der als Triptychon gemalten Weltgerichtswerke von Hans Memling und Rogier van der Weyden stehen und weiter zurück zu Fra Angelico, dies alles und mehr geht auf Matthäus 25 zurück, dort, im jüngsten Teil der Bibel, findet sich die Erzählung vom Weltgericht, die wiederum die jüdische Idee von einem „Tag des Gerichts“ aufgreift …
Sich diesen Tag vorzustellen – hier die einen, sie sind erlöst, dort die anderen, sie sind es nicht, Gott in der Mitte – und eine göttliche Gerechtigkeit auszumalen, die den Mörder nicht triumphieren lässt, besaß schon immer eine enorme sozialrevolutionäre Kraft: Auf die Seite der Verdammten wurden reihenweise Könige gemalt und Kardinäle und wer sonst noch dem Bürgertum, das gerade im Westen entstand, im Wege stand.
Das die Tradition, die Taring Padi aufruft. Sie für ihren Agitprop zu nutzen, ist so untergründig, als hätten sie „Yellow Submarine“ gepfiffen: Linkerhand malen sie alles Böse ins Bild, rechterhand – hier muss ich mich auf das Urteil anderer verlassen, es gibt kein verlässliches Bildmaterial – alle möglichen Guten, in der Mitte über allem erhebt sich das Gericht. Bei Taring Padi besteht es aus sieben zeitgenössischen Figuren, sie tagen in den Wolken, über ihnen der Schriftzug „People’s Justice“, vor ihnen eine lodernde Waage, aufgebracht urteilen sie über acht Tiere, die direkt unter ihnen eingelocht sind, eines der Tiere ein Schwein. Gut möglich, dass sich die Künstler hier selber als Richter gemalt haben, sie sitzen da, wo Gott sitzt und sortieren die Welt mit geballter Faust: Taring Padi hält Volksgerichtshof.
Lässt sich das ironisch lesen?
So wie Taring Padi reagiert hat, deutet nichts darauf hin. Wenn aber frei von Ironie, könnte es nicht eine subversive Retour in Richtung Westen sein, die mit den ästhetischen Mitteln des Westens gegen ihn arbeitet? Das Bild als Spiegel? Schon möglich, träfe allerdings nicht die Intention von Taring Padi, am 20. Juni erklärt das Kollektiv sehr bestimmt:
„Die Figuren, Zeichen, Karikaturen und andere visuellen Vokabeln in den Werken sind kulturspezifisch auf unsere eigenen Erfahrungen bezogen.“
Vier Tage später hat sich der Ton verändert, in einer zweiten Erklärung bedauert Taring Padi die Bildsprache, entschuldigt sich bei „insbesondere der jüdischen Gemeinde“ und bemüht sich, das eigene Bild verständlich zu machen: Suhartos Diktatur sei – es ist unbestritten – von westlichen Kräften massiv gestützt worden, nicht zuletzt von der Bundesrepublik, Taring Padi schreibt:
„Wie viele unserer Kunstwerke versucht das Banner, die komplexen Machtverhältnisse aufzudecken, die hinter diesen Ungerechtigkeiten stehen.“
Und wer soll dort, hinter all den teuflischen Ungerechtigkeiten, wer soll da stehen? Der Jude?
Keinesfalls, sagt Bayu Widodo, Mitglied von Taring Padi, im Interview mit DLF: „Das soll keine Darstellung des jüdischen Kapitalismus sein, sondern eine des Staates Israel.“
Bitte was? Das SS-Emblem stelle Israel dar? Hinter dem kapitalistisch-clownesken Teufel stecke der jüdische Staat? Selbsterklärend vorausgesetzt, dass Kapitalismus „jüdisch“ sei?
Deutlicher lässt sich nicht sagen, warum das, was BDS als „Kritik am Staat Israel“ labelt, antisemitisch ist. „Ich dachte, dass man als Künstler gerade in einem Land, in dem Meinungsfreiheit herrscht wie in Deutschland, sich über mehr Grenzen hinwegsetzen darf“, sagt ein weiteres Mitglied des Künstlerkollektivs, Sri Maryanto, dem SPIEGEL: „Niemand im Kollektiv habe geahnt, dass es diese Grenze gebe, kein Kurator habe ihnen gegenüber je so etwas erwähnt“.
Damit ist der Kreis geschlossen, der Documenta fliegt ihr eigener Antisemitismus um die Augen. So alltäglich ist der Israelhass offenbar in ihren eigenen Stuhlkreisen, so selbstverständlich, so Common Sense, dass die Documenta-Verantwortlichen auch jetzt noch so tun, als handele es sich bei dem, was sie ausgestellt haben, um ein ästhetisches Missgeschick, ein Kavaliersdelikt im Kosmos der Kunst. Die Mitglieder der Findungskommission etwa, in der das BDS-Denken sitzt wie die Made im Speck und dessen Aufgabe es ist, das Kuratoren-Kollektiv Ruangrupa nicht nur zu brrufen, sondern als „Beirat“ zu begleiten, sie erklären selbst jetzt noch, wo ihre Documenta wie ein Gerippe in Kassel steht, sie böte das „Bild einer Welt, die aus vielen Welten besteht, ohne Hierarchie oder Universalismus“, sie schaffe einen „paradigmatischen Perspektivwechsel“.
Diese „Welt ohne Universalismus“ habe sich, erklären die Documentarier, auch schon „während der Eröffnungstage“ gezeigt – das waren jene, an denen Taring Pati sein antisemitisches Weltbild in den Himmel über Kassel gespannt hat. Die Documenta, so das Urteil ihrer Verantwortlichen, übertreffe „all unsere Erwartungen“, sie sei „vielschichtig und kraftvoll“, ein „nicht-hierarchisches Pluriversum“ …
Das Wimmelbild. Judenhass als ein Detail, das sich wegschnipsen ließe wie eine Fluse von einer polierten Vitrine in Kassel.