Religion & Theologie

Ostern

Von einer kleinen Privatdozentin erzählt

Egon Schiele, Die Umarmung (Liebespaar II) 1917 | (c) Belvedere Wien

Wenn zwei das Gleiche tun, ist es dann nicht dasselbe? Die zwei sind Christus, der Auferstandene, und die Schlange im Paradies, sie gilt als Inbegriff des Bösen. Und? Es passt.

Die Situation: Donnerstags standen viele Kopf, um Jesus zu feiern, freitags wurde er von den Römern ermordet. Samstag war Schabbat, am Sonntagmorgen begegnet eine Frau dem Ermordeten vor seinem Grab, sie kennt ihn gut und erkennt ihn nicht. Gegen Mittag begegnen ihm zwei, die ihn ebenfalls gut kennen, sie diskutieren lange mit ihm bis in den Abend hinein, auch sie erkennen ihn nicht.

Das Oster-Phänomen besteht offenbar darin zu sehen, ohne zu erkennen. Es ist  –  die Bibel stellt selber permanent Bezüge her, tun wir es auch –  es ist schon einmal geschehen und zwar gleich anfangs im Garten Eden, dem Paradies: Da sind es Adam und Eva, die sehen, ohne zu erkennen.

Die beiden, völlig nackt, sehen sich selber an und bedeuten sich nichts. Die Schlange kommt dazu, sie stellt eine rhetorische Frage:

Sollte Gott es so gemeint haben?

Dass ihr euch so gar nichts bedeutet? Und zeigt auf einen Apfel, schön wie die Lust, und sagt:

Wenn ihr davon esst, werden eure Augen aufgetan.  

Eva isst, sie teilt den Apfel mit Adam,

da wurden ihnen beiden die Augen aufgetan.  

So erzählt es die Bibel in 1 Mose, es geht um den Anfang der Welt. Und ganz ähnlich geht es zu am Anfang dieser Geschichte, die in Lukas 24 steht und ostersonntags spielt, dem ersten Tag der Woche: Wieder sind es zwei, die durch die Gegend laufen, wieder gesellt sich ein Dritter hinzu, wieder stellt er  –  im Hebräischen ist auch die Schlange maskulin  –  eine rhetorische Frage, wieder klingt sie wie an zwei Erstsemester gerichtet: Aus Sollte Gott es so gemeint haben wird jetzt

Musste nicht Christus dies alles erleiden?

Und wie anfangs die Schlange beantwortet nun auch hier der Dritte – es ist nicht die Schlange, es ist der Auferstandene, dem Leser ist sowas klar – die Frage selber und

fing an bei Mose und den Propheten,

fin also da an, wo es mit der Schlange anfängt und mit Eva und Adam. Wie gesagt, die Bibel stellt andauernd Bezüge her, es entwickelt sich wider eine Situation, die der im Garten Eden gleicht: Wieder neigt sich der Tag dem Ende zu, wieder geht es um ein Lebensmittel –  dort Apfel, hier Brot  –  und wieder darum, dass dieses Lebensmittel geteilt werde: Beim ersten Mal ist es Eva, die teilt, jetzt ist es der Auferstandene, von “Sünde” ist nirgends die Rede. Stattdessen folgt auf das Teilen in beiden Fällen der Satz:

Da wurden ihre Augen aufgetan und sie erkannten.

Der Unterschied: Bei Lukas erkennen die beiden ihn, in 1 Mose erkennen die beiden sich. Ist das ein grundsätzlicher Unterschied? Nein, bei Lukas geht der Satz so weiter:

Da wurden ihre Augen geöffnet. Und sie erkannten ihn, und er verschwand vor ihnen.

Jetzt 1 Mose 3:

Da wurden ihnen die Augen geöffnet. Und sie erkannten, dass sie nackt waren.

Das ist die Oster-Erzählung. Der Auferstandene ist, kaum erkannt, schon wieder verschwunden, es gibt niemanden auf dieser Welt, der anderes sehen könnte als alle andere sehen: Alle können wir uns im anderen als nackt erkennen. Arglos, verletzlich, attraktiv.

Gott hat dann, erzählt die Bibel, die Schlange verstoßen aus allem Vieh und allen Tieren auf dem Felde. Er hat die Schlange, nackt wie der Mensch, genau so behandelt wie die Menschen, die er uns hinaus komplimentiert aus seinem Paradies ins Leben.

“Es stehen überhaupt noch viel schöne und merkwürdige Erzählungen in der Bibel”, schrieb Heinrich Heine und verwies auf eben diese Geschichte von der Schlange, “der kleinen Privatdozentin …”


Foto | Egon Schiele, Die Umarmung (Liebespaar II), 1917. Im Original 100 x 170 cm, hier leicht auf Format 3:2 beschnitten. Farbwiedergabe technisch bedingt unecht | (c) Belvedere Wien, Sammlung Erich Rieger, Wien | Public Domain