Gegen Nazis in Zivil
Über Bochums demokratische Mitte
Breites Bündnis, wenig Resonanz: SPD, Grüne, CDU, FDP und UWG hatten eingeladen, dazu die Religionsgemeinschaften dieser Stadt, Juden, Muslime, Christen. Motto „Bochum stirbt, wenn ‚NRW erwacht‘“. Während bei den Nazis von “Unser Land zuerst” einige Hundert aufliefen, kamen kaum mehr als 100 Bochumer auf den Platz des europäischen Versprechens. „Sieht aus, als sei Bochum bereits gestorben“, meinte eine Dame mittleren Alters, hörbar konsterniert.
Hörte sich dann aber anders an: Wie sich die Redner – Claudia Stein für die Grünen, Serdar Yüksel für die SPD, Andreas Stephan für die CDU, Leon Beck für die FDP und Gerald Hagmann für die Kirchen und Religionsgemeinschaften – wie sie sich dem „braunen Brei“ gegenüber positionierten, ließ an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig. An jener Eindeutigkeit, die man bei Die Linke weiterhin vergeblich sucht: Deren immerwährende Gallionsfigur, die Wagenknecht-Intima Sevim Dagdelen, hätte man an diesem Tag in Bochum, falls man sie denn suchen wollte, auf Seiten der „Erwachten“ vermutet. SPD-Chef Yüksel sprach von „Gift, das sich in die Gesellschaft frisst“.
Gleichwohl enttäuschend, wie gering die Zahl derer ist, die ihre Zeit aufwenden dafür, die demokratische Mitte zu stärken. Es zeigt, wo das Problem liegt: Die demokratische Mitte wird zur unpolitischen. Sie erodiert nicht, sie gibt sich unschlüssig. Und das nicht zum ersten Mal, daran hat Gerald Hagmann, Superintendent der Evangelischen Kirche, auf dem Platz des europäischen Versprechens erinnert, an „Bochum vor 100 Jahren“. Die Erinnerung mache deutlich, so Hagmann, „dass wir uns, jeder für sich, jeden Tag entscheiden können”, akut aber sei, “dass wir uns rechtzeitig entscheiden müssen.“
Gegen Nazis in Zivil. Nazis, die für „Frieden“ demonstrieren, Frieden mit Putin. Nazis, die mit Sombrero auf dem Kopf für ein „eigenes Volk“ demonstrieren, das angeblich geknechtete. Und gegen „Kapitalismus“, das geht immer und überall, dagegen empörte sich zeitgleich, nur ein paar Straßenecken weiter, eine Demo gegen „Vonovia & Co.” Diese Demo, links getragen und definitiv dialogfähig, hat auf andere Weise deutlich gemacht, wie umworben die demokratische Mitte ist und wie unschlüssig diese sich gibt:
Bei einer Zwischenkundgebung distanzierte sich die Demo-Leitung in aller Deutlichkeit von dem zeitgleichen Nazi-Aufmarsch und erklärte die Solidarität ihrer Anti-Wohnungsbaugesellschaftskampagne mit den Anti-Nazis dieser Stadt. Um dann im fast selben Atemzug – nämlich mit der ersten Rede, sie kam von „Schlafen statt Strafen“, einer Dortmunder Obdachlosen-Ini – schnurstracks ins antisemitische Arsenal zu stürmen, bruchlos ging es weiter mit „Heuschrecken“ und „Gier nach Profit“ und „Spekulationen“ und „Spekulanten“ und „goldenen Nasen auf Kosten der Allgemeinheit“ und so weiter. Antisemitisch gemeint? Antisemitisch gedacht.
Was sich hier auf bizarre Weise verbindet: eine Obdachlosen-Initiative mit Elon Musk, dem Noch-Twitter-Chef, einem der reichsten Menschen dieser Erde, der gegen Reiche wütet, kaum dass sie jüdisch sind. Links rechts, oben unten, es gibt keine Gegensätze mehr, es sieht aus, als hätte der braune Brei sie unterspült. Vier Bochumer Demos am selben Tag haben eine Frage aufgeworfen: Was oder wer wäre imstande, den braunen Brei zu binden? Was oder wer taugte besser als Soßenbinder, der Judenhass oder die Wagenknecht?
Freiheit wäre, mit Adorno gesprochen, „aus solcher vorgeschriebenen Wahl herauszutreten“.