„Nie wieder BDS“

Claudia Roth kehrt um (nach all den Jahren)

BDS 1933: Boykott, De-Investition, Sanktion | public domain

Auf der Jewrovision, dem ESC der jüdischen Jugend, trat Claudia Roth (Grüne) noch aggressiv inhaltsfrei auf, jetzt hat sie „ein paar Prinzipien“ ihrer Kulturpolitik nachgereicht: „Ich lehne Boykotte gegen Menschen oder Menschengruppen ab“, sagte die Kulturstaatsministerin am Freitag in Berlin, „wer dafür werben will, mag das tun, aber nicht bei uns“. Konkret: „Wir fördern keine Veranstaltungen, auf denen für den BDS geworben wird oder Ziele des BDS vertreten werden.“ Klare Ansage. 

Anlass ihrer Grundsatzrede: die Wiedereröffnung des „Haus der Kulturen der Welt“ unter dessen neuen Intendanten Bonaventure Ndikung. Roths Rede (hier nachzulesen) merkt man vom ersten Satz ab an, das sich da jemand, anders als für ihre Rede an die jüdische Jugend der Republik, einige Mühe gegeben hat, sie liest sich wie ein dreifaches Nie wieder: nie wieder Judenhass als Kunst wie auf der Documenta, nie wieder ausgebuht werden wie zuletzt auf der Jewrovision, nie wieder BDS. Roths Gedankengang:

Ndikung, in Kamerun geboren, deutscher Staatsbürger seit 2006 und als Kurator international umworben, sei sowohl „Opfer des Rassismus in diesem Land“ als auch „Teil einer Täternation“ geworden, so Roth. Fast beiläufig unterläuft sie hier, indem sie Ndikungs Biographie nachzeichnet, das falsche Gegenüber, das Ruangrupa, die Kuratoren der antisemitischen Documenta 15, mit großer Geste aufgebaut hatten: dass rassistisch agiere, wer ihnen ihren Antisemitismus aufzeige. Ich bin Opfer, ich darf das  –  sollte dieser Ruangrupa-Tenor jemals ein Argument gewesen sein, Roth hat es vom Tisch geräumt.

Ebenso das andere scheinbar plausible Argument, vom indonesischen Kuratoren-Kollektiv wieder und wieder kredenzt, dieses Ich bin Künstler, ich darf das. Auch hier setzt Roth der Kunstfreiheit eine Grenze, keine juristische, eine politische: Als Intendant des Hauses der Kulturen der Welt sei Ndikung, erklärt Roth, „aus der Unabhängigkeit“ einer privat finanzierten Kultur in die staatliche Kultur-Förderung „eingetreten“, damit habe sich die Freiheit der Kunst an eine „besondere Verantwortung“ gebunden, die wiederum, so Roth in ihrer Grundsatzrede, „Grundkonsens der Förderung“ sei:

„Es ist kein Platz für Antisemitismus, Rassismus und jede Art von Menschenfeindlichkeit. Es ist Platz für Solidarität.“

So zieht Roth –  nach jahrelangen und zähen Diskussionen, in denen sie BDS beharrlich beschönigt und nicht nur die Juden dieser Republik wieder und wieder vor den Kopf gestoßen hat  –  die eine Grenze nach, die der Bundestag bereits 2019 gezogen und die Roth bis letzten Freitag nicht akzeptiert hatte:

„Ich lehne Boykotte gegen Menschen oder Menschengruppen ab, und wer dafür werben will, mag das tun, aber nicht bei uns. Oder um es anders zu sagen: Wir fördern keine Veranstaltungen, auf denen für den BDS geworben wird oder Ziele des BDS vertreten werden. Und wenn Sie mir diesen persönlichen Satz erlauben: Das Ausgrenzen gerade von Künstlerinnen und Künstlern durch den BDS, durch Boykott und silent boycott, durch Drohungen und oft genug auch durch Gewalt hat in den letzten Jahren erschreckend zugenommen. Wer Menschen boykottiert, weil sie jüdische Israelis oder weil sie Jüdinnen und Juden sind, der handelt antisemitisch.“

Dass Roth erst jetzt erzählt, was sie zu ihren „Prinzipien“ zählt, mag daran liegen, dass jüngst sie wer beiseite genommen und ihr die Richtlinien der Regierungspolitik aufgedröselt hat  –  der Effekt dieser Verschiebung ihrer Grundsatzrede, die sie eigentlich vor zwei Wochen schon vor der jüdischen Jugend Deutschlands hätte halten müssen, ist nicht schlecht: Ihr kompromissfreies Nein zu BDS verkündet sie nun vor einer Audience, der man nicht unbedingt unterstellen darf, dass sie die Prinzipien, die Roth ihr auseinandersetzt, vollgültig teilt. Um ein Beispiel zu nennen: In eben diesem Haus der Kulturen, einer Architektur-Ikone der Freiheit, unweit jener Orte gelegen, an denen die Befehle erteilt wurden, die Juden Europas zu vernichten, hatte erst im vergangenen Jahr die Konferenz „Hijacking Memory“ stattgefunden, die sich, so der Soziologe Natan Sznaider, „der einzigen relevanten Erinnerung für Deutsche entledigen wollte“, um „neue Opfer“ zu schaffen, nämlich sich selber, das „progressive Milieu“: eine international vernetzte Szene, die sich, so Sznaider, „mit der palästinensischen Sache“ solidarisiere, sich damit aber nur selber inszeniere als „Opfer der partikularen jüdischen Erinnerung“. Von dieser Art Solidarität  –  sich selber als Opfer der Juden zu begreifen, indem man sich mit Palästinensern verbrüdert, was keinen nichts kostet, aber moralische Creditpoints bringt  –  von dieser „Solidarität“ ernährt sich die antisemitische BDS-Kampagne, mit dieser Soli hat Roth aufgeräumt. Kompliment dafür.

Hat sie reinen Tisch gemacht? Die „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“, das konspirativ ausgeheckte Bündnis von Intendanten und Direktoren staatlich durchfinanzierter Kulturinstitute, gibt sich weiterhin agil. Deren Antisemitismus-Erklär-Programm  –  BDS sei eine „marginalisierte Stimme“, die für „kulturelle Vielfalt“ streite, für eine „kritische Perspektive“ und ein „Klima der Vielstimmigkeit“ usw., während BDS selber durch Berlin marschiert und „Tod den Juden“ brüllt  –  hängt noch immer im digitalen Showroom etwa des Humboldt Forums, von Roths Staatsministerium unmittelbar finanziert (andere Institute, die sich selber „Weltoffenheit“ attestiert haben, scheinen vorsichtiger geworden zu sein, PACT Zollverein beispielsweise, auch Kampnagel Hamburg, haben die unmittelbaren Verweise auf die von ihnen gezeichnete „Initiative Weltoffenheit“ kürzlich offenbar gekappt). Die Situation jetzt ist klar: Entweder ist BDS „kritisch“ oder antisemitisch, entweder „weltoffen“ oder unsolidarisch, entweder stimmt, was die Intendanten flöten, oder Roth hat recht. Sie wird sich durchsetzen müssen, es ist ihr eigener Beritt.

Spätestens dann die nächste Frage: Was tun mit höchstrangigen Kulturfunktionären  –  Goethe-Institut, Bundeskulturstiftung, Deutscher Bühnenverein usw.  – , die sich als „Initiative Weltoffenheit“ zusammenkonspiriert haben, um ihre eigene Arbeit als „alternative Weltentwürfe“ zu präsentieren und ihr eigenes Denken als „kritische Reflexion der gesellschaftlichen Ordnungen“, unter dieser Fahne dann aber gröbsten Judenhass protegieren und sich weigern, auch nur zu begreifen, dass sie es tun? Für den Kultursektor insgesamt  –  auch den privat verantworteten: kein Roger Waters ohne die „Initiative Weltoffenheit“  –  ist der Schaden immens, den diese Kulturfürsten angerichtet haben. Wozu Kultur, wenn sie Judenhass protegiert? Wozu Kulturfunktionäre, die an diesem Hass festhalten selbst dann, wenn ihnen der Bundestag auseinander legt, dass es Judenhass ist und keine „abweichende Position“? Sie selber hätten eine durchaus „privilegierte Position“ inne, schreiben die Mitglieder der „Initiative Weltoffenheit“ über sich. Zu Roths Aufgaben gehört es jetzt, diese privilegierten Positionen  –  ganz wie von der Initiative selber formuliert  –  „kritisch zur Disposition“ zu stellen.

Könnte eine Menge Ärger geben. Roth hat „Solidarität“ als diejenige Eigenschaft gesetzt, die vonnöten sei, „Antisemitismus, Rassismus und jede Art von Menschenfeindlichkeit“ zu wehren. Für solche Solidarität gebe es „eine ganz wichtige Voraussetzung“, so Roth: „Alle, alle müssen mittun können und teilhaben können. Das bunte wir Alle.“ Natürlich meint sie nicht, was sie beschwört, natürlich müssen nicht alle Nazis „mittun“ und soll nicht jeder Höcke „teilhaben können“, natürlich wird es weiterhin Grenzen geben, entscheidend ist wie immer, wo sie gezogen werden und wie. Dass dies „schwierige, schmerzhafte und gewagte Prozesse sind“, das weiß und sagt auch Roth, daher werde sie mit Bonaventure Ndikung einen „code of conduct“ entwickeln, der nicht nur die Juden vor Hass schützen solle, sondern die Kultur-Institutionen selber davor, abermals „ratlos vor Konflikten und hilflos vor Anfeindungen zu stehen“.

Interessante Bemerkung. Die Konfliktlinie, die Roth hier wie mit dem Finger in die Luft hinein malt, hat ebenfalls die Documenta aufgezeigt, in der Theaterbranche zeichnet sie sich bereits schärfer ab: Sie verläuft nicht zwischen BDS versus Israel oder zwischen Rassismus vs Antisemitismus oder zwischen Nord vs Süd oder West vs Ost oder Gender vs Sexus oder was immer, sondern zwischen Oben und Unten innerhalb der Kulturbranche. Zwischen Establishment und dem Rest, zwischen Höchstsubventionierten und Abgespeisten. Was auf der Documenta  –  neben dem Antisemitismus ihrer Kuratoren und Beiräte und Findungskommissare –  ins Auge sprang: dass es eben diese Kuratoren und Beiräte und Findungskommissare waren, die mit der Kunst selber nichts anfangen konnten. Zu der von ihnen kuratierten Ausstellung in Kassel fiel ihnen, alle Teil des internationalen Kunst-Jetsets, kaum mehr als das ein, was Claudia Roth „ein buntes wir Alle“ nennt, bei Ruangrupa eines ohne Juden, bei Roth jetzt mit. Die Documenta-Künstler selber – eingenordet in einen „globalen Süden“, zwangssolidarisiert mit BDS – dienen der Bebilderung eines Konzepts, sie sind Darsteller nicht auf ihrer eigenen, sondern einer Charles-Esche-Bühne.

Dass Judenhass à la BDS hier die Funktion hat, eine scheinbare Solidarität zu stiften, die tatsächliche Konflikte übermalt, wie sie sich innerhalb der Kultursparten aufschichten genauso wie innerhalb eines „globalen Südens“, liegt auf der Hand. BDS formuliert einen scheinbar gemeinsamen, einen „solidarischen“ Nenner. Ob es plausibel ist, auf „Solidarität“ zu setzen, wie Claudia Roth es jetzt tut, wenn man Antisemitismus effektiv bekämpfen will? Die Erfahrung von MeToo ist eine andere. Wer eine Grenze zieht, kündigt Solidaritäten auf und nicht an.


Beitrag für ruhrbarone.de, dort zuerst erschienen