„Wäret ihr an meiner Seite“
Toomaj ist Rapper, der Iran will ihn hinrichten
Er ist eine der populären Stimmen des iranischen Widerstands, dieser Tage wird Toomaj Salehi der Prozess gemacht. Dem Rapper, seit Monaten in Isolationshaft und schwer gefoltert, droht seine amtliche Ermordung. Oder eine langjährige Haft, was auf dasselbe hinausläuft. Salehi hat damit gerechnet: „Weint nicht um mich, wenn ich morgen sterbe“, sagte der 33jährige in einem im Herbst veröffentlichten Video, „eure Tränen bringen mich nicht zurück. Wenn ihr euch ernsthaft gesorgt hättet um mich, wäret ihr an meiner Seite.“ Was heißt es, aufs Salehis Seite zu stehen? Zwei Antworten, eine aus der deutschen Rap-Szene, eine von Annalena Baerbock. Das Urteil wird in fünf bis zehn Tagen erwartet.
Am 30. Oktober vergangenen Jahres wurde Salehi, der unter seinem Vornamen Toomaj veröffentlicht, vom Regime ausfindig gemacht und ins Gefängnis nach Isfahan verschleppt. Seit diesem Tag bezeugen seine Verwandten in Belgien, Frankreich und Deutschland die Spuren der Folter an Salehis Körper. Und dass ihm jede medizinische Hilfe verweigert wird. Die Wut der Folterbeamten gilt einem Künstler, hinter dem keine Musikindustrie steht, auch keine der internationalen Hiphop-Größen. Salehi verfügt über kein anderes Netzwerk als das, was er sich selber geschaffen hat, sein Instagram-Account hat 1,4 Mio Follower. Ein freier Künstler, der seinen Folterknechten in aller Öffentlichkeit geraten hat, sich schon mal ein „Rattenloch“ zu suchen.
Dies der Titel eines von Toomajs bekanntesten Songs. „Der Iran“, rappt er darin, „hat so viele Gefängnisse, dass ihr alle hineinpassen würdet“. Schätzungen des National Council of Resistance of Iran (NCRI) zufolge sitzen derzeit bis zu 30 000 Iraner, die sich gegen das Terror-Regime erhoben haben, in den iranischen Haftanstalten. Toomaj nutzt den Rapper-Style, diesen immer etwas großmäuligen Habitus, ohne jede Spur von Angst und Überheblichkeit, er nutzt ihn nicht, um sich selber zu brüsten, sondern für Jin, Jiyan, Azadi. Inhalt und Form kommen überein.
Am Sonntag fand – unter Ausschluss der Öffentlichkeit – die zweite und letzte Anhörung vor dem Revolutionsgericht in Isfahan statt, nach Auskunft seines Anwalts, Amir Raisian, ist Salehi angeklagt wegen „Propaganda gegen das Regime“, „Anstiftung zu Unruhen“, „Zusammenarbeit mit feindlichen Regierungen“ und „Korruption“. Und wohl auch, das jedenfalls hatten zahlreiche Medien berichtet, wegen eines weiteren, mit Todesstrafe bewehrten Vergehens namens „Moharabeh“, Krieg gegen Gott. Wobei es das Mullah-Regime selber ist, das sich als gottgleich sieht: Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Iran Human Rights sind allein in den vergangenen sechs Monaten 354 Iraner von Staats wegen hingerichtet worden. Täglich zwei Menschen, die sich das Regime darbringen lässt, offenbar sieht es sich selber als Moloch, als blutsaufenden Gott. Man habe es, so hat es Toomaj formuliert, „mit einer Mafia zu tun, die bereit ist, die ganze Nation zu töten“.
Ein System, dass Mitläufer produziert in allen Schattierungen. In „Rattenloch“, persisch Surakh-e mush, rappt Toomaj über diese „Hofkünstler“ und „Zuträger“ des Regimes, über windige „Reformer“ und „Apologeten“, über „Komplizen“ und Bystander, die „den Schmerz sehen, aber ein Auge zudrücken“. Und er rappt darin über jene, „die den Schiedsrichter spielen“ und sich „in die Mitte stellen und sagen: ‚Politik, what‘s that‘?“ Es gibt diese Mitte nicht mehr, das ist Salehis Botschaft. „Wenn ihr euch ernsthaft gesorgt hättet um mich, wäret ihr an meiner Seite.“
„Rap 4 Azadi“
“No famous rappers have spoken out for him”, sagte Negin, die Toomajs Instagram-Account von Deutschland aus pflegt, Anfang Januar dem kanadischen Sender CBC – Berichte auf CBC dienen der Anklage gegen Toomaj als “Beweis” für dessen „Zusammenarbeit mit feindlichen Regierungen“: Wo sind sie, die großmäuligen Hiphop-Stars, fragte Negin, “where are they?” Auch andere iranische Rapper, die im Westen leben, erklärten öffentlich, sie seien „überrascht und frustriert“, dass sich keine der Rap-Größen wie Jay-Z, Snoop Dogg, Kendrick Lamar oder Big Sean für Toomaj engagieren. Der hingerichtet zu werden droht, weil er rappt.
Auf Toomajs Seite haben sich dann in Deutschland gestellt: Ben Salomo, der jüdische Rapper, der eh eine Ausnahme ist in der deutschen Hiphop-Szene, im Februar hat er einen verzweifelten “Brief an Toomaj” gerappt, und dann im März die Rapper Celo & Abdi, Peter Fox, Jalil, die Iranerin Justina, Kool Savas, Sugar MMFK, Takt32 und Xatar. Die ganz großen Namen fehlen auch in dieser Sammlung, dennoch ein namhaftes, von Omid Mirnour geschmiedetes Bündnis innerhalb der deutschen Rap-Szene: In der Ich-Form zitieren sie in ihrem Video „Rap4Azadi“ die aberwitzigen Anklagen, die sich gegen Toomaj richten, ebenso gegen Behrad Alikenar und vor allem auch gegen Saman Yasin – der kurdische Rapper war bereits zur Hinrichtung verurteilt, hat dann den Versuch, sich selber umzubringen, überlebt und wartet nun, weil das erste Urteil aus formalen Gründen aufgehoben worden ist, auf seinen zweiten Prozess. Unfassbar. Hiphop hat im Iran eine vollkommen andere Bedeutung als hierzulande, eine Figur, wie sie ein Kollegah hier entwirft, würde sich dort in all ihrer Grotzkotzigkeit nie aus dem Haus trauen. Umso respektabler das Statement dieses knappen Dutzends an Rap-Promis in Deutschland. Wenn man es vergleicht etwa mit dem, das der Schriftsteller Kim de l‘Horizon sich ausgedacht hat, als alle Kameras auf ihn hielten und er den deutschen Buchpreis in Händen und er dann beglückt einen Rasierer zückte und sich die Haare abschor vor lauter Soli mit den Frauen im Iran – schaut auf mich, wies diese alberne Geste die Blicke an; „spektakulär“ sei das, urteilte ein seliges Feuilleton – , wenn man vergleicht, wie der eine ausdauernd auf sich zeigt und diese Rapper weg von sich auf die, die in ihrem eigenen Namen sprechen, auf Toomaj, auf Behrad, auf Saman, dann wird das Statement der Rapper umso bemerkenswerter, weil sie sich trauen, ihrer eigenen Szene zu zeigen, warum es sie überhaupt gibt: „Warum ist es so still, wenn einem Rapper, einem von uns, die Todesstrafe droht?“ fragte Nava Zarabian auf hiphop.de, „Toomaj sagte mal: ‚Wir haben nur uns selbst.‘“
Shopping-Verbot
Auf Youtube hat „Rap4Azadi“ 4527 Aufrufe, auf Instagram 3894 Likes. Wir haben tatsächlich nur uns selbst. Umso interessanter, wie das Video eröffnet, nämlich mit einer Variante von Salehis Botschaft: „Weine nicht, wenn ich morgen gestorben bin“, sagt Xatar da und liefert dann die Begründung: „Denn heute warst du nicht auf meiner Seite“. Heute warst du im Rattenloch.
Annalena Baerbock war in Brüssel. Vor dem Treffen der EU-Außenminister am 22. Mai erklärte die Grüne, „wir machen hier deutlich, dass wir weiterhin schauen, dass wir an der Seite der Menschen, der mutigen Frauen, Männer und Jugendlichen im Iran stehen“. Der Satz – wir machen deutlich, dass wir schauen, dass wir stehen – ist ehrlich darin, dass er sich windet. „Wir schauen hin“, sagt Baerbock, es klingt wie ‚wir schauen zu‘. Tatsächlich beschließen die EU-Außenminister das von Baerbock versprochene „achte Sanktionspaket“, mit ihm würden „weitere Personen“ sanktioniert, die „verantwortlich“ seien, dies sei „ein klares Zeichen von der Europäischen Union, dass wir an der Seite der Menschen stehen”. Welcher Seite?
Welcher Menschen? Insgesamt sind jetzt – neben 37 Organisationen, die zT dem Trust der IRGC zugehören, jener „Revolutionswächter“, die Baerbock sich beharrlich scheut, auf die EU-Terrorliste zu setzen – 216 iranische Akteure persönlich sanktioniert. Schon beim zweiten Sanktionspaket im letzten November hatte die Außenministerin erklärt, sie sende damit “ein erneutes und zwar unmissverständliches Signal an das iranische Regime”. Seitdem geht es in Brüssel zu wie bei UPS, man stellt Pakete zu, in diesem Fall an fünf Personen, einen Sekretär, einen stellv. Leiter, einen Polizeisprecher, das die Liga. Mitläufer und Bystander ohne systemische Bedeutung, jeder von ihnen jederzeit ersetzbar, jetzt wird ihnen mitgeteilt, dass sie nicht mehr in die EU einreisen können. Was für eine blasierte Sanktion. Bereits im Oktober, als das erste von jetzt acht Sanktionspaketen geschnürt worden war, hatte Baerbock erklärt, für die „einzelnen Akteure“ habe es „schon eine Bedeutung, ob sie hier einfach so mal shoppen gehen können oder nicht“.
Die Frage ist, ob die Bundesregierung und die EU mit ihrer Behauptung, sie stünden dank solcher Shopping-Verbote auf Seiten derer, die ihr Leben für Demokratie riskieren, nicht tatsächlich zum Akteur geworden sind – allerdings auf der Seite gegenüber, wo die stehen, die Toomaj „Hofkünstler“ genannt hat und Bystander und Leute, „die sagen: ‚Politik, what‘s that‘?“ Das Urteil gegen Toomaj wird in fünf bis zehn Tagen erwartet. Ob Todesurteil oder todesgleiche Haftstrafe, es wird ein Urteil sein auch über uns.
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Petition Free Toomaj Salehi!