„Schrecklicher Verdacht: Ist Hamas antisemitisch?”
Noch einmal zum Weltgebetstag
„Mit welcher Sicherheit lässt sich sagen, dass Judenhass die maßgebliche Triebfeder für das Massaker am 7. Oktober war?“ Fragt Titanic, das Satire-Magazin? Judith Butler, die Gender-Ikone? Fragt die Chef-Deuterin des deutschen Weltgebetstags gemeinsam mit einem Gemeindepfarrer aus Lütgendortmund. Nicht allzu relevant, zeigt aber an, wieviel spirituelles Aroma für die Butler-Denke – “It is not a terrorist attack, it is not an antiSemitic attack” – auf Abruf steht. Allem gemeinsam: die Infamie, sie hat Niveau.
„Quälend“ sei es für sie, hatte Judith Butler, Berkeley-Professorin, Anfang März in Paris vor laufender Kamera erklärt, „quälend und schrecklich“ sich zuzugeben, dass die Hamas-Horden Widerstand leisteten, wenn sie Juden massakrierten: “It is not a terrorist attack“, sei also legitim, sagte Butler, „it is not an antiSemitic attack“, gebe also keinen niederen Beweggrund, „it is an attack against Israel“. Soll heißen: selber schuld, warum gibt es Israelis auch. Butler hat scharfen Widerspruch gefunden in deutschsprachigen Medien, ihren Versuch, blutrünstigen Judenhass als politische Option zu verhandeln, kann sich Jan Feddersen in der TAZ nur mit der entwirklichten Denke der Linguistin erklären, ihrem „Kampf um Symboliken“, in dem sie alles versuppt, was im tatsächlich „bewaffneten Kampf“ anfällt, die abgeschlachteten Omis, die entführten Babys, bestialisch verstümmelte Frauen. Das seien nur “Behauptungen“, erklärte Butler stirnzerfurcht, „wenn es Belege gibt, bedauern wir das, aber wir wollen diese Belege sehen.“
So abstoßend Butlers Hamas-Schmuserei, so anziehend ist sie offenbar, Beispiel: der Weltgebetstag („Frauen aller Konfessionen laden ein“), der am 1. März in ungenannt vielen Gottesdiensten mit ungezählt vielen Teilnehmern begangen worden ist. Um „informiert zu beten“, hatte der deutsche Weltgebetstag (WGT) monatlang Hintergrund-Infos angereicht, die maßgeblich von Katja Dorothea Buck, Politologin aus Tübingen, „recherchiert“ worden waren: Weit mehr als die Hälfte von 40 Seiten mit „Informationen zu Land und Menschen“ stammt aus ihrer Feder. Durchgängig darin die von Butler bekannte Behauptung, „die Palästinenser*innen“ leisteten „Widerstand“ auch dann, wenn sie israelische Zivilisten – „so zum Beispiel in der Ersten Intifada“ – niedermetzelten. Von Buck stammt auch die Deutung des ursprünglichen Titelbildes, das eine Blut-und-Boden-Theologie ausmalt, von der man denken möchte, sie sei seit 1945 außer Mode, erst aufgrund der Kritik dieses Blogs hat der deutsche WGT das Motiv zurückgezogen. Nicht zurückgezogen aber Bucks Deutung des naiv gemalten Bildes, in einem Olivenbaum erkennt sie nicht etwa – es wäre biblisch gewesen – die Herkunft jenes Öls, mit dem die Könige Israels gesalbt worden sind, sie verklärt den Baum zur „Seele des palästinensischen Widerstandes“ und gemalte Mohnblumen zu einem „Symbol für Widerstand und Blutvergießen“: Das „kräftige Rot“, so Buck, stehe „für das vergossene Blut derjenigen, die für die palästinensische Nation gekämpft haben“ – Kämpfer nennt bekanntlich auch die Hamas ihre Killer – , von deren Blut zieht sie dann eine gerade Linie in die „christliche Ikonographie“ hinein, in ihr stehe die Mohnblume angeblich „für die Passion Christi“. Bucks „Ideen und Informationen“ kosten 3,50 € das Stück, der Weltgebetstag vertreibt sie bis heute.
„Widerstandsfähigkeit“
Günter Thomas, Theologie-Professor an der RUB und Ruhrbarone-Leser, hat die Kritik dieses Blogs am WGT und dessen Bildsprache in das Magazin Zeitzeichen hineingetragen, einer evangelischen Monatszeitschrift, die von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und ihren zwanzig Landeskirchen gemeinsam verantwortet wird. Im Nachgang zum Weltgebet hat Thomas dort dem WGT jetzt vorgerechnet, völlig „illusionäre Hoffnungen“ auf eine „Rückkehr“ befeuert zu haben: „Es ist diese im Effekt destruktive und gewaltbefördernde Rückwärtsgewandtheit, die der Weltgebetstag spirituell erhöhte und mit Gebeten weltweit gehärtet hat“, schreibt Thomas, „im Raum realer Politik wird damit nicht ein Band des Friedens geknüpft, sondern kulturell der nächste Krieg vorbereitet.“
Es kommt ein weiteres hinzu: Im selben Maß, in dem der WGT eine spirituelle „Widerstandsfähigkeit“ hochgebetet hat, hat er die Wirklichkeit des palästinensischen Terrors – die zerbombten Restaurants, Schulbusse, Supermärkte – im Spirituellen versenkt. Seit dem 7. Oktober zeigt sich auf infame Weise, dass es nicht mehr nur darum geht, einen kommenden Krieg kulturell vorzubereiten, sondern dass Juden schon jetzt eliminiert werden, kulturell eliminiert: Die Phantasie von der Rückkehr in ein Land, in dem die, die darin wohnen, aus dem Bild geschoben sind, hat keine nur auf Zukunft ausgerichtete Zeitform, sondern eine eschatologische: im kulturellen Betrieb erfüllt sie sich schon jetzt, nur realiter noch nicht. Beispiel Katja Buck, Vordenkerin des deutschen WGT:
In ihren Texten für den WGT hat sie das Wort Hamas umkurvt, als handele es sich um den Namen einer Gottheit, erst lange Tage nach dem 7. Oktober schiebt sie eine Kurzinfo nach, darin dieser Hinweis: „Die Hamas propagiert offenen Antisemitismus. Sie unterscheidet nicht zwischen dem Staat Israel und ‚den Juden‘. Beides gilt es zu eliminieren.“ Es liest sich wie eine Einsicht, vier Monate nach dem 7. Oktober streut Buck in Zeitzeichen – nicht im Namen des WGT, sie agiert hier im Verbund mit Jens Nieper, Gemeindepfarrer in Lütgendortmund, vormals Nahost-Referent der EKD – streuen Buck/Nieper eine Reihe suggestiver Fragen zum 7. Oktober aus, deren erste:
„Ist ‘Pogrom‘ hier überhaupt der richtige Begriff?“
Pogrom, russisch für Verwüstung, bezeichne „ein Massaker an einer schwachen Minderheit ausgehend von einer Mehrheitsbevölkerung innerhalb eines gemeinsam besiedelten Territoriums“, erklären sie, dieser Fall sei hier nicht gegeben. Nicht gegeben allerdings auch Buck/Niepers enge Definition, was ein Pogrom sei, „schon ein kursorischer Blick auf die einschlägige Literatur zeigt, dass es eine einheitliche oder verbindliche Definition von Pogrom nicht gibt“, heißt es etwa in einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags. Die Frage, wie sich Pogrome definitorisch abgrenzen lassen von anderen Formen kollektiver Gewalt – das Moment der Spontaneität wäre da zu bedenken, ein eher geringer Organisationsgrad des Täterkollektivs, ein Machtgefälle, das sich lokal konstituiert und nicht “territorial” – die Frage, die sie aufwerfen, interessiert Buck/Nieper allerdings keinen Deut, ihnen geht es darum, den 7. Oktober aus der Geschichte des Antisemitismus, einer Geschichte unzähliger Pogrome herauszulösen. Damit aber lösen sie den 7. Oktober zugleich von dem Erleben derer ab, die Hamas gejagt, gefoltert, ermordet hat – für Juden weltweit eine Erfahrung, die in der Geschichte eben dieser Pogrome steht, eine „extrem physische Erfahrung sogar im passiven Erleben“, so Laura Cazés in der Jüdischen Allgemeinen. Was Cazés dort über Judith Butler schreibt, gilt ähnlich für Buck/Nieper, auch sie installieren einen Blick, der das Unmaß der Gewalt „zu einem theoretischen Konstrukt reduziert und das Erleben der Opfer ausklammert.“ Cazés weiter: „Genau an dieser Schnittstelle findet das entmenschlichende Motiv der antisemitischen Vernichtungssehnsucht seine Anknüpfung.“
Antisemitismus dockt an, wo er geleugnet wird. Dass Hamas tief antisemitisch sei, leugnen Buck/Nieper keineswegs, nur rechnen sie deren Judenhass klein und kleiner und schließen ihre nächste Frage unmittelbar an, sie ist infam, man stelle sich für einen Moment vor, sie richteten sie an die Eltern zerstückelter Kinder oder an jene, die der Hamas halbtot entkommen sind:
„Mit welcher Sicherheit lässt sich sagen, dass Judenhass die maßgebliche Triebfeder für das Massaker am 7. Oktober war?“
Es ist, was Cazés meint: der Judenhass beiseitegeschoben und mit ihm alle, denen er gilt. Buck/Nieper entjudaisieren das, was am 7. Oktober geschehen ist und seitdem geschieht, sie machen den Hass und mit ihm alle, auf die er zielt, zu einer, so Cazés, „vernachlässigbaren Variabel in einer Gleichung, die am anderen Ende nicht ohne die Juden als Verursacher auskommt“. Das andere Ende ist da, wo die Opfer als Täter zurückgeschoben werden auf die Bühne, da, wo Butler Selber schuld ruft, auf diese Verkehrung steuern Buck/Nieper geradewegs zu, ihre nächste suggestive Frage:
„Wäre die Hamas weniger brutal vorgegangen, wenn das Land des Feindes zum Beispiel ein buddhistischer Staat gewesen wäre?”
Wäre Hitler weniger brutal vorgegangen, wären Juden nicht jüdisch gewesen … Buck/Nieper sind im rein Spekulativen gelandet, einem völlig entwirklichten Wolkenheim, es ist Judith Butlers Reich, sie haben es (und können sich dafür auf eine lange Tradition berufen) tatsächlich entjudaisiert: In dieser Welt sind die wirklichen Opfer zu Spielfiguren spekulativer Lust geworden, alle niederen Motive der Tat wie weggeblasen, kein Hass mehr, keine Misogynie, kein religiös befeuerter Vernichtungsdrang, kein Antisemitismus nirgends. Aber selbst dann, wenn man Buck/Niepers Gedankengang bis hierher folgt, lässt sich nur ein Schluss daraus ziehen: dass das Gemetzel der Hamas nicht irgendwem galt, sondern einer liberalen, freien, demokratischen Gesellschaft. Wenn es den Hamas-Killern tatsächlich egal gewesen ist, ob sie jüdische oder muslimische oder buddhistische Menschen morden, wenn sie sich durch alle religiösen und politischen, alle ästhetischen und sexuellen und sonstigen Orientierungen hindurch gemetzelt haben, dann hat Hamas nicht irgendeine Gesellschaft angegriffen, sondern eine liberale, die westliche. Aber auch diesem Schluss verweigern sich Buck/Nieper, wieder schließen sie ihre nächste Frage an:
„Ging es den Terroristen bei ihrem mörderischen Treiben nicht vor allem darum, aller Welt und insbesondere Israel die eigene Brutalität und damit die eigene Macht vor Augen zu führen, um Terror zu verbreiten?“
Terroristen verbreiten Terror, um Terror zu verbreiten. Völlig sinnfrei, was Buck/Nieper bieten, wenn ihr Entjudaisierungsprogramm durchgelaufen ist, eine leergeräumte Gedankenwelt. Sie haben den Judenhass verschwinden lassen und mit ihm die Juden, Frauenhass wird von ihnen eh nicht als Triebkraft des Hamas-Terrors erwogen, sie liegen ganz auf Butlers Linie, als lägen sie der zu Füßen. Die israelische Soziologin Eva Illouz hat kürzlich in Le Monde formuliert, wie fassungslos sie solche Hamas-Hörigkeit macht und das Geraune von „Widerstand“, kaum dass Frauen zu Tode vergewaltigt werden, jüdische Frauen. Illouz wirft Butler – und dieser Vorwurf trifft Buck/Nieper gleichermaßen – einen „doppelten Negationismus“ vor, der Begriff steht für die Leugnung des Holocausts, sie schreibt (wir folgen hier der Übersetzung im Perlentaucher):
“Wie bei den Negationisten von einst liegt (Butlers) Strategie darin, Zweifel zu säen: an der Realität der von den Frauen erlittenen Gewalt, an den genozidalen Absichten der Hamas, an der moralische Bedeutung der Massaker – die Henker werden freigesprochen und die Opfer verdächtigt, ja als imaginär dargestellt. Die Tatsache, dass Butler als Jüdin und als Frau geboren wurde, sollte uns nicht zurückscheuen lassen klarzustellen, dass wir es hier mit einem doppelten Negationismus zu tun haben: des Massakers an Frauen sowie der Tatsache, dass Israelis ermordet wurden, weil sie Juden waren.”
Dies zu leugnen oder wegzuplaudern, dieser butlerschen Denke hat Jürgen Kaube in der FAZ das „Abstraktionsvermögen von Killern“ attestiert. Bei Katja Buck & Jens Nieper hat dieses Abstraktionsvermögen sein spirituelles Aroma gefunden.