Das Schicksalsrad besingen?

Carmina Burana von Carl Orff, er starb hochdekoriert, hochkorrumpiert

Prater in Wien by Riadchikova 2016 cc 4.0

Eigentlich, schreibt uns Torsten R., habe er Karten für Carmina Burana kaufen wollen, dann aber gesehen, dass wir uns deutlich „gegen rechts“ stellen, gegen AfD: „Schon ekelig“, so R., „dass Kirche hier mit zur Spaltung beiträgt“. Und weiter: „Wenn man nicht willkommen ist, geh ich halt woanders hin, wo der Gastgeber neutral ist.“ Nun ist klar, dass die Kirche  –  zumal die Kirche von Hans Ehrenberg  –  der AfD gegenüber niemals „neutral“ sein kann. Interessant an R.s Einlassung ist allerdings, dass sich gerade an der Carmina Burana erweist, was geschähe, gäbe sich Kirche tatsächlich so „neutral“, wie Torsten R. sich wünscht und wie Carl Orff es tat: Sie korrumpierte sich bis auf die Knochen.

Orff, 1895 in München geboren, stand eigentlich im Ruf, ein „Kulturbolschewist“ zu sein, also auf der anderen Seite zu spielen, der Verdacht wurde ihm durch die NS-Zeit hindurch nachgetragen. Zu Unrecht, Orff spielte weder links noch rechts, sondern Klavier: 1933 als „artfremd“ attackiert, bändelte er 1934 mit etwas Musikpädagogik mit dem NS-Regime an, 1935 komponierte er bereits für die „Olympische Jugend“, sein „Einzug und Reigen der Kinder“ eröffnete 1936 die Olympischen Spiele in Berlin, 1937 wurde seine Carmina Burana uraufgeführt, 1938 schrieb er Fanfaren für eine pompöse Propaganda-Show in Breslau, 1939 wurde sein Ein Sommernachtstraum uraufgeführt, der NS-Staat hatte ihn beauftragt, das gleichnamige Werk von Felix Mendelssohn-Bartholdy, den Nazis verhasst, ein für allemal zu ersetzen; 1940 wurde seine Carmina Burana erstmals szenisch uraufgeführt, 1941 erstmals von Herbert von Karajan, 1942 erstmals in der Berliner Staatsoper, dann in der Staatsoper Wien, dann an der Mailander Scala, zu dem Zeitpunkt hatte Orff bereits alle seine künftig entstehenden Werke prospektiv an das NS-Regime verkauft: 1943 frühstückte er mit dem Wiener „Reichsjugendführer“, 1944 nahm ihn der “Führer” selbst   –  Höchstsstrafe für jeden Künstler, der seine Sinne beisammen hat  –  auf seine „Gottbegnadeten-Liste“ auf.

Kein Nazi, dieser Carl Orff, er hat Nazi-Aufträge angenommen, sie aber auch reihenweise abgelehnt, seine Carmina Burana wurde 1943 vom Deutschlandsender ausgestrahlt und im „Völkischen Beobachter“ als „Verfallskunst“ markiert. Orff war dabei und war es nicht, er lief mit und nebenher, im Februar desselben Jahres war sein Nachbar und langjähriger Freund, der Musikwissenschaftler Kurt Huber, Patron der „Weißen Rose“, von den Nazis verhaftet worden, später erinnert sich Hubers Frau Clara – hier nachzuhören in Tony Palmers „O Fortuna“ von 1995 ab Minute 58:32 – an Carl Orff:

„Das Schwerste war für mich”, sagt Clara Huber, “dass der Herr Orff, er ist am Sonntag gekommen, mein Mann wurde am Samstag geholt von der Gestapo, und am Sonntag kam der Herr Orff und hat halt gemeint, er könne mit meinem Mann wieder über Musik reden und ihm zeigen, was er weiter geschrieben hat, und da hab ich ihn dann ins obere Zimmer geführt, ins Kinderzimmer, weil wir da schon gespart haben mit der Heizung, und da hab ich ihm gesagt, Herr Orff, ich muss Ihnen mitteilen, dass mein Mann gestern von der Gestapo geholt worden ist, und da sagt er als erstes, ja, er wird doch nicht mit der Weißen Rose, ich hab da was gehört … Da hab ich gesagt, ja, da war er dabei. Und da war er so aufgeregt, ist auf- und abgegangen, es war nur so ein Schlafzimmer, auf und ab und hat gesagt, ich bin ruiniert, ich bin ruiniert!“  

Ich bin, ich bin. Ein paar Wochen später war Huber hingerichtet und Orff nicht ruiniert, er war nunmal “neutral”, 1946 galt er als „acceptable“, so das Urteil der US-Kulturoffiziere: „He was a ›Nutznießer‹ of the Nazis“. 1972 komponierte er, als schreibe er 1936 fort, den „Gruß der Jugend“, die Musik für die Olympischen Spiele beim Einzug ins Olympiastadion, dieses Mal das in München. Orff starb 1982 hochdekoriert, hochkorrumpiert.

Und seine Carmina Burana? Selbstverständlich lässt sie sich auch heute noch singen, wenn  –  dies ist allerdings vorausgesetzt –  sie sich nie wieder in jene „Neutralität“ verpackt, der sie sich verdankt. Wollte man Orffs Haltung freundlich deuten, so hat er die Autonomie seiner Kunst über alles gestellt und versucht, ihr einen Spielraum zu bewahren inmitten der Gewalten. Was er nicht begriffen, jedenfalls nie zugegeben hat: dass es keine autonomen Künste geben kann im totalitären Staat und keine autonomen Künstler.

Das Schicksalsrad besingen? Geht nur, wenn man weiß, dass es keines gibt, solange es Wahllokale gibt.


Carmina Burana

Stadtkantorei Bochum, Kinderchor der Hildegardis-Schule, Solisten, Mitglieder der Bochumer Symphoniker

Freitag 28. Juni | 20 Uhr | Einlass 19 Uhr |

VVK 24 € zzgl. Gebühren | Tickets direkt hier bei uns und in allen besseren VVK-Stellen bundesweit