Hans-Ehrenberg-Preis

4 Fragen an Wim Wenders

Hans-Ehrenberg-Preis 2017

Wim Wenders by Donata Wenders 2004 (c)

Am 17. September ehren wir Wim Wenders mit dem Hans-Ehrenberg-Preis. Johann Hinrich Claussen, Kulturbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland, sprach mit dem Regisseur und Autor, der zu den wichtigsten Filmkünstlern der Gegenwart zählt:

Herr Wenders, das Kino ist sicherlich keine moralische Anstalt. Dennoch die Frage, ob es einen humanen Charakter haben kann. Worin könnte er bestehen?

Wim Wenders: In der simplen Annahme, dass Filme durchaus lebensdienlich oder menschenfreundlich sein können und vor allem Fragen beantworten können, nämlich die einfachste, aber auch dringlichste von allen: „Wie soll man leben?“  Die möglichen Antworten darauf werden heutzutage immer komplexer und vielschichtiger und undurchsichtiger. Wer bemüht sich überhaupt noch um solche Fragen? Die Kirche historisch gesehen am meisten, aber leider versagt sie heute auch oft am meisten. Wenn man einmal davon absieht, wie unermüdlich einzelne, beispielsweise Papst Franziskus, sich solchen Fragen stellen.

Das Kino als populäres und weltumspannendes Medium zeigt hin und wieder, was es alles kann und wie gründlich es auf Existenzfragen eingehen kann. Wenn es nur will. Hier gilt aber leider dasselbe wie für alle Medien: „Gute Nachrichten sind keine“, niemand will den Geruch einer „moralischen Anstalt“ an sich haben. Das ist heute einfach uncool. Obwohl gerade das mehr gebraucht würde als je zuvor. Das Theater und die Literatur sind genauso in der Pflicht, aber sie drücken sich auch, so gut es geht, wohl weil es gerade nicht hoch im Kurs steht, „moralische Anstalt“ zu sein.

Den erstaunlichsten Reichtum an Mut, sich allen Fragen zu stellen, gibt es in der zeitgenössischen Musik, ich wüsste nicht, welches andere Medium sich beispielsweise zum Thema „Tod“ so explizit geäußert hätte wie Leonhard Cohen in seinem letzten Album „You Want It Darker“ oder David Bowie mit „Blackstar“ oder Nick Cave mit „Skeleton Tree“.

Musik spielt immer eine große und eigene Rolle in Ihren Filmen neben den Bildern und Geschichten. Wie ist Ihr Verhältnis zu geistlicher Musik oder zur spirituellen Qualität von Musik?

Über Bach geht bei mir gar nichts. Wenn es wirklich hart auf hart geht, hilft mir keine andere Musik besser, zu mir zu kommen. Musik ist die „immateriellste“ aller Künste, wenn ich das mal so vereinfacht sagen darf, und deswegen auch so geistlich. Sie verbindet Menschen anders als Worte und Bilder. Sie trägt weniger „Bedeutung“, ist dafür aber umso assoziativer. Ich glaube kaum, dass zwei Menschen dieselbe Musik hören können. Aber gut, das mag bei einem Gedicht ähnlich sein, dass es in jedem Menschen anders anklingt.

Sie sind selber Schriftsteller und Drehbuchautor. Ein anderer Schriftsteller, Peter Handke, ist mit Ihrem Werk eng verbunden, er hat eine eigene Art von „Kunst-Religion“ geschaffen. Wie erleben Sie Handkes Literatur?

Peters Bücher bedeuten mir mehr als die aller anderen zeitgenössischen Autoren. Ich bin keinem anderen Schriftsteller so nah gewesen, seit ich selbst angefangen habe zu arbeiten, oder habe mit niemand anderem so ein „paralleles“ Lebensgefühl gehabt. Ich freue mich riesig auf jedes neue Buch wie auf einen Meilenstein. Es ist schade, dass viele Leute eine Scheu haben, sich auf Peters Schreiben einzulassen. Und, ja, man muss sich darauf einlassen, damit es aufblühen kann. Aber wenn man es tut, kriegt man ungeheuer viel zurück. Peter „investiert“ ungemein viel Erfahrung, Beobachtung, Lebenszeit, Weisheit und Menschenkenntnis in seine Bücher. Letzten Endes ist das beim Filmemachen – oder auch beim Songschreiben – genau dasselbe: Nur, wenn man viel von sich selber investiert, kann auch der Leser, Hörer, Zuschauer viel empfangen.

Viel von sich selber zu investieren, heißt immer auch, sich zu offenbaren, zu entbergen. Das Unverborgene, die aletheia, ist das griechische Wort für Wahrheit. Als Dokumentarfilmer, aber auch als Autor fiktionaler Filme: Was ist für Sie Wahrheit im Film, was verstehen Sie unter Wahrhaftigkeit?

„Wahr“ hat so wie das englische „true“ vier Buchstaben und ist in den Zeiten von „alternativen Fakten“ zu so etwas wie einem Unwort geworden, wofür es im englischen Sprachgebrauch den Ausdruck „four-letter-word“ gibt. Gut, der Begriff ist für Schimpfworte geprägt worden, aber genau dazu sind diese Worte wie „real“, „true“, „good“ und eben „wahr“ ja auch verkommen. Das will ja niemand mehr in den Mund nehmen. Ist “Wahrheit“ nicht gerade im öffentlichen Leben komplett beliebig geworden? In einer Zeit, in der es ein Pendant dazu gibt, die „alternativen Fakten“?

Ich mag deswegen ihr schönes deutsches Wort „Wahrhaftigkeit“ viel lieber! Dahin führt durchaus noch ein Weg, gerade in meinem Beruf oder Handwerk des Filmemachens. Das mag im Dokumentarfilmbereich mehr auf der Hand liegen als in Spielfilmen, aber in beiden Gattungen gibt es sowohl ein Lügen als auch ein Weglassen von Wahrheit als auch eine fortwährende Suche nach ihr. „Wahrhaftigkeit“ bezeichnet doch vor allem ein Streben nach etwas Wahrem, den ständigen Versuch, ihm nahe zu kommen. Weil man davon ausgeht, dass es das gibt, ein Wahres. Auch in einer Geschichte. Dabei meine ich nicht den gerade im Kino so beliebten Ausdruck, etwas sei „nach einer wahren Geschichte“ verfilmt. Wenn ich das vor einem Film lese, habe ich immer gleich die größten Bedenken, was seinen möglichen Wahrheitsgehalt angeht, wenn ich nicht eh gleich lauthals lachen muss. Diese entweder tautologische oder sich selbst ausschließende Definition steht ja allzu oft nur da, um einer beliebigen Fiktion „Glaubwürdigkeit“ zu verleihen. Da ist jetzt noch so ein schönes deutsches Wort im Spiel: Wann ist etwas „glaub-würdig“? Wenn es von „Wahrhaftigkeit“ zeugt, also Wahrheit an ihm haftet?

Man könnte von hier ausgehend seitenlange Definitionen schreiben. Für mein Teil glaube ich, dass auch Geschichten, also pure Fiktion, die man sich ausgedacht hat, einen Grad von Wahrhaftigkeit haben können, so dass die Charaktere darin durchaus „glaubhaft“ sein können, mitunter sogar „wahrer“ werden können als Personen in Dokumentarfilmen, denen man ja a priori „Glaubhaftigkeit“ nachsagen will, von denen ich aber nur zu genau weiß, wie gerne sich da hinter dem Mantel des Dokumentarischen durchaus Geflunkertes und Halbwahres verbergen kann.

Wie wahrhaftig ein Mensch oder eine Figur in einem Film ist, das kann man ja nur ahnen, nicht wissen. Ein Wissen davon wäre erst aus der Summe eines Lebens abzulesen. So wie im Falle von Hans Ehrenberg, eines wahrhaft „wahrhaftigen“ Menschen. Aber jetzt reden wir darüber, wie erst Taten den Worten wirklich „Wahrhaftigkeit“ verleihen.

Und wenn Sie nun den Auftrag erhielten oder ihn sich selber gäben, die Geschichte von Hans Eh-renberg zu verfilmen, wie würden Sie ansetzen?

Ich würde mich erst mal mehr in sein Leben vertiefen als ich dazu bislang in der Lage war. Ich würde versuchen, so viel wie möglich von seinen Schriften zu lesen, vor allem die späten. Und dann ist die Geschichte dieses jüdisch-stämmigen deutschen Protestanten, Philosophen und Arbeiterpfarrers so sehr mit der Deutschen Geschichte verbunden und spannt sich so aufregend vom Ersten Weltkrieg über Widerstand, Verhaftung und Asyl bis in die Nachkriegs- und Wirtschaftswunderzeit, dass ich das schon als eine große Metapher für dieses Land inszenieren würde. Mit einem „Helden“, wie man sich so viele mehr gewünscht hätte. Und ich denke, ich würde die Geschichte in der Mitte seines Lebens beginnen. Da, wo dieser Mann in seinem 40. Lebensjahr von vorne angefangen hat und da erst beginnt, Theologie zu studieren. Von da aus seine nimmermüden Bemühungen um ein Verständnis zwischen jüdischem und christlichem Glauben zu erzählen, das wäre ein guter Ansatz, denke ich.


HANS-EHRENBERG-PREIS für WIM WENDERS

>> Sonntag 17. September, 16 Uhr, Christuskirche Bochum

Thema

“Aufgehoben in Kunst”: Wim Wenders im Gespräch über Gott, die Welt und ihre Medien

Laudatio

>> Heinrich Bedford-Strohm, Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland

Festakt mit

>> Annette Kurschus | Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen
>> Johann Hinrich Claussen | Kulturbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland
>> Thomas Eiskirch | Oberbürgermeister der Stadt Bochum
>> Gerald Hagmann | Superintendent der Evangelischen Kirche in Bochum
>> Stadtkantorei Bochum | Leitung: Arno Hartmann

Mehr Infos

>> www.christuskirche-bochum.de/hans-ehrenberg-preis-2017-wim-wenders/
>> www.christuskirche-bochum.de/hans-ehrenberg-preis
>> Die Veranstaltung ist öffentlich, eingeladen sind alle am Thema Interessierten. Anmeldungen formlos an wessel@christuskirche-bochum.de