Tag des offenen Denkmals 2021
"Sein und Schein"
Führung mit den Stationen Gedenkhalle (von außen einsehbar) / neues Kirchenschiff / Platz des europäischen Versprechens bereits am Samstag 11. September 15:15 Uhr im Anschluss an das Glockengeläut, das von 14:46 h – 15:03 h an den 11. September 2001 und die Opfer des Terrors weltweit erinnert.
Thema des Denkmaltages in diesem Jahr: “Sein & Schein – in Geschichte, Architektur und Denkmalpflege”.
Klingt etwas hölzern, aber wenn man sich das Bild des altneuen Stadtschlosses in Berlin vor Augen ruft – dieses bauliche Bekenntnis zum Beherrschtsein-Wollen – wird klar, welche politische Brisanz im Thema steckt. So kurz vor der Bundestagswahl.
Anderes Beispiel: die Gedenkhalle in der Christuskirche Bochum. Hier sind die Namen von 1358 Bochumern genannt, die “für Volk und Vaterland” in den I. Weltkrieg gezogen und gefallen sind, jeder Vor- und Nachname aufwändig in ein goldglänzendes Mosaik eingelegt. Kein Sein mehr, nur Schein.
Daneben die Namen der “Feindstaaten Deutschlands”, ebenfalls in Mosaik eingelegt. Über allem eine Wolkendecke, über der wiederum eine blond-blauäugige Christusfigur thront, während Dutzende Männer-Figuren – alle in ziviler Kleidung dargestellt – wie Späne von einem Magnet gen Himmel ausgerichtet werden. Den “Heldentod sterben” scheint Erlösung zu versprechen.
Viel Schein, der den millionenfachen Tod auf den Schlachtfeldern Europas verklärt. Der Raum wurde im März 1931 eingeweiht, die Nazi-Zeit hindurch diente er als Eingangshalle zur Kirche. Die Nazis selber mieden den Raum: zu uneindeutig.
Im Mai 1943 wurde die Christuskirche zerstört, nur der Turm mit seinem Mosaik blieb erhalten. Der Architekt der neuen Christuskirche, Dieter Oesterlen, bezog den Turm in seinen Entwurf mit ein, der Überrest des Krieges und das neue Kirchenschiff sind baulich auseinander gesetzt. Soll heißen: Die Christuskirche kittet Geschichte nicht zusammen, sie übertüncht das 1000jährige Reich nicht wie Vogelschiss auf der Fassade. Stattdessen verdeutlich sie, ohne die Vergangenheit zu leugnen, den Bruch mit ihr.
Irgendwann in den 60er Jahren geriet der Gedenkraum mit seinem Mosaik in Vergessenheit, irgendwann in den 70er Jahren wurde er zum Lagerraum für Chorpodeste und Stühle und allerlei Zeugs …
Und aus eben dieser Zeit, den 70er und 80er Jahren bis in die späten 90er hinein, stammen die Beschädigungen im Mosaik. Es sind keine Kriegsschäden, wie man denken könnte, sondern Folgen des Hantierens mit Podesten, Stühlen und Stativen.
Ignoranz? Sich für die Geschichte zu interessieren, wie sie nicht in Berlin, sondern der eigenen Stadt ablief, hat sich erst in den 80er Jahren entwickelt. Nur langsam ist ein Gespür entstanden für das, was ein bauliches Erbe wie diese Gedenkhalle bewahrt. Was uns heute so selbstverständlich scheint – dass Gebäude Bedeutungen bergen, dass man sie lesen kann wie ein Buch – war vor 40 und 50 Jahren neu, ein unbekanntes Empfinden.
Was also tun mit diesen Bruchstellen im Mosaik? Ausbessern oder erhalten?
Soll man sie dem Gesamteindruck des Raumes anähneln, sie harmonisieren oder den Umgang mit der Geschichte, den Bruch und den “Bruch” mit ihr, dokumentieren?
Das Foto oben zeigt: Ein guter Restaurator kann die Bruchstellen harmonisieren. Der Schein, der so entsteht, ist in der Tat schön, weil unscheinbar. Man muss dicht herangehen mit dem Auge, um überhaupt zu erkennen, was Original ist und was nur so tut als ob.
In der Charta von Venedig sind seit 1964 internationale Richtlinien zur Denkmalpflege festgelegt, der Artikel 12 lautet:
“Die Elemente, welche fehlende Teile ersetzen sollen, müssen sich dem Ganzen harmonisch einfügen und vom Originalbestand unterscheidbar sein, damit die Restaurierung den Wert des Denkmals als Kunst und Geschichtsdokument nicht verfälscht.”
Sich harmonisch einfügen, aber unterscheidbar bleiben – es klingt fast wie eine Formel für Integrationspolitik. Wir haben uns, als wir die Gedenkhalle 2003/04 restauriert haben, allerdings dafür entschieden, die Geschichte, die dieser Raum erzählt – und das ist auch die der 60er und 70er und 80er Jahre – deutlich sichtbar zu lassen. Wenn dieser Gedenkraum, in dem heute der Platz des europäischen Versprechens beginnt, einen harmonischen Gesamteindruck macht, dann nur durch die Brüche hindurch, die er dokumentiert.