“Was verlangt dein Gott von dir?”
Abraham, Isaak und Janus
“Vater, was verlangt dein Gott von dir?” Fragt Isaak, auf dem Opfertisch gebunden, seinen Vater, der alle Anstalten macht, seinen Sohn zu schlachten. Auf ihrem 98er Album “Vater” erzählen JANUS die Geschichte von Isaaks Bindung – ein riskantes Unterfangen, die biblische Erzählung wird bis heute gern antijüdisch gedeutet.
Als sei sie Beweis dafür, dass der Gott der Juden blutdürstig sei, rachsüchtig, ein Moloch. Tatsächlich erzählt die Geschichte das Gegenteil, sie erinnert daran, dass Juden das Menschenopfer abgeschafft haben – und eben dies, schrieb Henryk Broder einmal, “nimmt uns die Spaßgesellschaft nachhaltig übel”.
“Du sollst nicht eins deiner Kinder geben”
Ägypter, Kananäer, Amoriter, Sumerer, Nubier, Phönizier, Griechen, Römer … außerhalb von Israel war es völlig selbstverständlich, Menschen kultisch zu opfern. Germanen taten es und Kelten, Mayas und Inkas und Azteken – alle brachten sie Kulturen und Götter hervor und ihren Göttern Menschenopfer dar.
Die Juden dagegen haben es sich selber strikt verboten, 3. Mose 18,21:
“Du sollst auch nicht eins deiner Kinder geben, dass es dem Moloch geopfert werde, damit du nicht entheiligst den Namen deines Gottes.”
Warum dann diese Geschichte, in der Gott einen Vater mit der Forderung “prüft”, ihm seinen Sohn zu opfern? Antwort: Sie führt vor Augen, was wir als Mord empfinden.
Es ist eine Geschichte in 242 hebräischen Wörtern, die alles beiseite lässt, was an Erklärbesteck geläufig ist: Sie entschuldigt nicht, sie erläutert nicht, sie erzählt. Sie stellt vor Fragen, für Antworten sind wir selber verantwortlich:
Isaak?
Seine Perspektive haben JANUS in ihrem Song gewählt [“Vater, bitte sprich mit mir!”], 1969 hat Leonard Cohen dies in „Story Of Isaac“ ähnlich getan [“I guess he knew I would not hide”], seit Jahrhunderten bereits ist Juden diese Perspektive aus dem Morgengebet vertraut: “Wir sind Nachkommen Isaaks, der auf dem Altar gebunden wurde …”
Sara, die Mutter?
Sie stirbt, das ist alles, was die Bibel nach diesem Ereignis noch von ihr berichtet. Für jüdische Ausleger ist klar: Sie starb, als sie erfuhr, was auf dem Berg geschehen war. In der modernen hebräischen Literatur taucht eine Frage wie diese auf: Warum denn nicht auch Sara von Gott “geprüft” worden sei? Antwort: “Hätte Er, Gtt, vor ihren Qualen bestehen können?”
Und Abraham?
Alles andere als ein strahlender Held, auch hier haben jüdische Ausleger schon früh die Frage gestellt, ob Abraham nicht – wie sonst auch, siehe vor allem Gen 18 – hätte widersprechen müssen. Den Widerspruch zum biblischen Text, das ist ein Prinzip jüdischer Hermeneutik, muss man im biblischen Text selber suchen – hier ein Beispiel, Emil Fackenheim hat es erzählt, der große jüdische Philosoph [1916 – 2003]:
“Einst wurde ich in Jerusalem von einem jungen Mann besucht … er trug die schwarze Kleidung der Ultra-Orthodoxen. “Haben Sie je darüber nachgedacht,” fragte er mich, “warum Gott selber [direkt] zu Abraham spricht, wenn Er ihm den Befehl gibt, Isaak zu opfern, dann aber [nur] einen Engel sendet, um die Erlassung mitzuteilen?” Ich gab zu, darüber nicht nachgedacht zu haben. “Gott hat sich über Abraham geärgert”, fuhr er fort. “Abraham hat die Prüfung nicht bestanden. Er ist durchgefallen. Als Gott Abraham befahl, Isaak zu opfern, wollte Er Abrahams Weigerung. Er wollte nicht ‘Ja’ sondern ‘Nein’.”
So liest sich die eine Geschichte völlig anders: als Warnung vor zu viel Gehorsam.
Fanatismus macht blind, Gehorsam taub – könnte es also, wenn wir heute Abrahams Tun nicht verstehen, auch daran liegen, dass er Gott nicht verstanden hat? Oder falsch verstanden hat?
Eine weitere jüdische Überlegung geht davon aus, dass das hebräische Wort „opfern“ im Wortsinn „hinauf bringen“ bedeutet. Gott zu Abraham:
“Habe ich dir gesagt: ‘Schlachte ihn’”? Nein, sondern: ‘Bring ihn hinauf’. Du hast ihn hinaufgebracht, jetzt bring ihn wieder herunter.”
Könnte aber auch sein,
so eine weitere Überlegung, dass Abraham ganz richtig verstanden hat, dann aber Gott selber – ohne Abrahams Widerspruch – ins Nachdenken geraten ist über den Sinn und Unsinn des Opferns. Das ist eine Überlegung, die dahin geht, dass der Gott, der das Menschenopfer verlangt, und jener, Gott, der es verhindert, ein und derselbe sind, aber – siehe JANUS – dass es um die zwei Seiten des einen Gottes geht. Jürgen Ebach hat darauf hingewiesen, dass Gott in der Erzählung zunächst als Elohim bezeichnet wird, dann aber mit dem Tetragramm jhwh, dem Geheimnis seines Eigennamens:
“Offenkundig folgt der Bezeichnungswechsel der dramaturgischen Struktur der Erzählung. Der Eigenname des Gottes Israels (Jhwh) taucht zum ersten Male bei dem Isaak rettenden Auftritt des Engels auf, der ein ‚Engel Jhwhs‘ ist (V. 11 ) … Als der, der die Forderung des Menschenopfers erhebt, ist Gott ‚ Elohim‘ als der, der rettend eingreift, ist er ‚Jhwh‘.”
Also ein lernender Gott?
Als solcher wird er in der Hebräischen Bibel andauernd beschrieben. Ein Gott, der Entscheidungen überdenken, bereuen, widerrufen kann. Elie Wiesel hat diese Geschichte erzählt:
“Bei einem Nachbarn des Rabbi Mosche Löb waren mehrere Kinder nacheinander im zarten Alter gestorben. Die Mutter vertraute eines Tages ihren Kummer der Frau des Zaddik an: Was für ein Gott ist denn der Gott Israels? Er ist grausam und nicht barmherzig. Er nimmt, was Er gegeben hat.” “Du darfst so nicht reden”, sagte die Frau des Zaddik, “so darfst du nicht reden. Die Wege des Himmels sind unergründlich. Man muss lernen, sein Schicksal anzunehmen.” In diesem Augenblick erschien Rabbi Mosche Löb auf der Türschwelle und sagte der unglücklichen Mutter. “Und ich sage dir, Frau, man muss es nicht annehmen! Man muss sich nicht unterwerfen. Ich rate dir, zu rufen, zu schreien, zu protestieren, Gerechtigkeit zu fordern, verstehst du mich, Frau? Man darf es nicht annehmen!”
Und JANUS?
Die Erzählweise der Bibel haben JANUS in ihrer Version von Isaaks Bindung beibehalten. Keine Erklärungen, keine Spekulationen, der Song erzählt, er stellt vor Fragen. Für Antworten ist jeder selbst verantwortlich.