Kultur & Theologie

Der Dieb, der deepe Soul

Soul hat sich beim Gospel bedient. Seitdem ist Politik eine Frage des Stils

New York Gospel Stars in der Christuskirche 2013 | Ayla Wessel, Kulturagentüer

Am Beginn ein Verbrechen. So werden Staaten begründet, so beginnt auch die Geschichte des Pop – mit einem Eigentumsdelikt. Gestohlen wurde geistiges Eigentum, der Dieb hieß Ray Charles, der Bestohlene Rudolph King.

King war Komponist und Leadsänger der Southern Tones, eines Vokalensembles, das durch die Gegend tourte wie Ray Charles und froh war, ab und an einen Song im Radio zu haben. Bob King gelingt dies mit “It Must Be Jesus”, Ray Charles hört den Song, hört die passion, den soul, nimmt den Gospel, dreht am Tempo, dreht am Text – und aus “It Must Be Jesus” wurde “I’ve Got A Woman”, Rays erster Nr.1-Hit.

Bis heute gilt der Song als einer der wichtigsten in der Musikgeschichte: Nicht weil alle möglichen Leute ihn gecovert hätten  –  Elvis Presley etwa (naja), die Beatles (o je), Stevie Wonder (phantastisch)  –  sondern weil er die beiden großen afroamerikanischen Stile  –  den sakralen Gospel und den nicht so sakralen R&B  –  zusammen geführt hat: Kirche und Tanzschuppen, Prayhouse und Dancehall.

Seit es Soul gibt, ist Politik eine Frage des Stils

Das war 1954 ein Skandal  –  Jesus besungen wie eine Frau, die Liebe zu Gott wie die zu einer Geliebten, die religiöse Leidenschaft zur Affäre degradiert. Aber um das Skandalöse daran zu verstehen, muss man zunächst die 50er erinnern:

Im selben Jahr ’54, als “I’ve Got A Woman” auf Platz 1 der US-Charts stand, hießen Top-1-Hits in Deutschland “Heideröslein”, “Schwedenmädel” oder “Schuster bleib bei deinen Leisten”.

Und dann muss man sich daran erinnern, was Soul-Musik mit messianischer Kraft eigentlich zum Ausdruck gebracht hat: den American Dream. Soul war der Sound für die US-Bürgerrechtsbewegung, der Sound für die großen Worte, für Freiheit und Gleichheit. Seit es Soul gibt, ist Politik eine Frage des Stils.

Davon lebt der Pop bis heute, von dieser Erfahrung, der passion, dem soul, der Leidenschaftlichkeit. Von der Fähigkeit, das Glück auf Erden zu suchen:

Pop ist pursuit of happiness.

Wenn sie gut ist, erinnert Popmusik daran, woran auch Jesus erinnert hat, dass das Reich Gottes mitten unter euch ist. Man darf Ray Charles für seinen Diebstahl dankbar sein.

Und was diese Geschichte darum wie nebenher erzählt: wie absurd die Debatte ums “Geistige Eigentum” heute läuft, ums Urheber-Recht:

Die Adaption von “It Must Be Jesus” jedenfalls hat sich als Segen für alle erwiesen. Den Segen hat sich Ray Charles erschlichen, völlig klar, aber er hat was daraus gemacht. Das Modell für diese Art von geistiger Adaption steht  –  It Must Be Jesus Before  –  in 1 Mose 27: Jakob klaut den Segen von Esau, dem Erstgeboren, und macht was daraus.

Dafür ist den Menschen nunmal Geist gegeben: dass er ergriffen wird und nicht vererbt.


>> New York Gospel Stars | singen Pop-Hits im Gospel-Gewand
>> 15. Mai 20 Uhr
>> Tickets hier