Feste Burg, gute Wehr?
Hans-Ehrenberg-Preis 2013 für Manfred Sorg und Eduard Wörmann
Demokratie müsse “wehrhaft” sein, so das Bundesverfassungsgericht: Die demokratische Ordnung wehre sich dagegen, sich selber abzuschaffen. Im demokratischen Alltag neigt der Betrieb allerdings dazu, sich selber abzuschotten: Parteien und Verwaltungen bilden eigene Regeln aus, eigene Codes und Sprachen – ein autopoietisches System, es erschafft und erhält sich selbst. Gute Wehr oder feste Burg?
Immer mehr Entscheidungen, die, obwohl demokratisch legitimiert, den Protest von Demokraten wecken. Es geht um Bahnhöfe oder Kraftwerke, Naturparks oder Stromtrassen: Bürgerprotest besitzt
“demokratische Bedeutung ohne demokratische Form”,
so der Staatsrechtler Christoph Möllers: “Wir wissen nicht, ob er demokratisch ist.” Eine der schwierigsten Situationen entsteht, wenn eine Forensische Klinik gebaut werden soll:
Wie gehen wir um mit Rechtsbrechern, die psychisch krank sind – und wie mit dem Protest, der sich gegen den Bau einer Forensik in der Nachbarschaft wehrt? Ein Protest, bei dem nicht immer sicher ist, ob er sich demokratisch äußern will – wofür Verständnis aufbringen könnte, wer immer sich der Frage stellt, ob eine Forensik im eigenen Stadtteil passabel wäre.
MANFRED SORG und EDUARD WÖRMANN werden mit dem HANS-EHRENBERG-PREIS 2013 geehrt dafür, dass sie die Frage – Was tun mit psychisch kranken Rechtsbrechern? – neu formuliert haben: Was bedeutet Menschenwürde im Maßregelvollzug?
Wie lässt sich die Würde der Opfer und ihrer Angehörigen wahren, denen unsägliches Leid zugefügt worden ist? Wie die Würde der Täter, die, bei aller Schwere der Tat, nicht aufgehen in ihr? Die Würde der Mitarbeitenden im Vollzug, die eine schwierige Aufgabe jenseits öffentlicher Anerkennung erfüllen? Und wie die Würde der Anrainer, die ein Recht haben darauf, sich im eigenen Stadtteil sicher zu fühlen?
1997 haben der damalige Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, Manfred Sorg, und der langjährige Leiter des Amtes für Industrie- und Sozialarbeit in der westfälischen Landeskirche, Eduard Wörmann, den Initiativkreis “Sicherheit durch Therapie” ins Leben gerufen. Sie haben Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in NRW ins Gespräch gebracht mit Fachleuten, der örtlichen Politik, mit Bürgerinitiativen und Medienvertretern. Gegen die Angstkampagnen mancher Medien haben sie auf Information gesetzt, haben populistische Tendenzen erstickt und darauf bestanden, dass der Maßregelvollzug eine “gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist”.
Die Erfahrungen und Formen des Dialogs, die in solcher Auseinandersetzung entstanden sind, können exemplarisch sein dafür, Bürgerprotest zu demokratisieren.
Ein wehrhafter Demokrat
Die Wege, die Sorg und Wörmann über Jahre hinweg an verschiedenen Orten in NRW gebahnt haben, führen weiter, was HANS EHRENBERG begonnen und unter extremen Bedingungen durchgehalten hat: Der Bochumer Pfarrer, von den Nazis ins KZ gesperrt und ins Exil gezwungen, war ein wehrhafter Demokrat. Noch vor Gründung der Weimarer Republik 1919 war er – seinerzeit Professor für Philosophie in Heidelberg – der SPD beigetreten. In Bochum, wo Ehrenberg seit 1925 als Pfarrer der Innenstadtgemeinde wirkte, stemmte er sich gegen den Niedergang der Republik. 1933 gründete er die Bekennende Gemeinde in Bochum, die er – im Widerstand gegen den totalitären Staat – als Schule der Demokratie geprägt hat:
Sie sei ein “Orchester”, so hat er die Widerstandsgemeinde einmal genannt – ein Orchester “während der Probe”. Das Konzert selber begann 1945, es dauert an.
“Kontrovers und durchaus subjektiv”
Mehrstimmig auch der Hans-Ehrenberg-Preis: Die Laudationes pflegen die Tradition, das jeweilige Thema des Preises kontrovers und durchaus subjektiv anzugehen. Einer der beiden Laudatoren in diesem Jahr ist der kürzlich verabschiedete Präsident des nordrhein-westfälischen Verfassungsgerichtshofs, DR. MICHAEL BERTRAMS, der Urteile mit hoher politischer Wirkung gesprochen hat – so etwa sein Veto gegen den rot-grünen Landeshaushalt 2011 wegen zu hoher Kreditaufnahme. Immer wieder hat Bertrams auch sehr entschieden dafür plädiert, neo-nazistischen Anfängen zu wehren:
Mehrstimmig auch der Hans-Ehrenberg-Preis: Die Laudationes pflegen die Tradition, das jeweilige Thema des Preises kontrovers und durchaus subjektiv anzugehen. Einer der beiden Laudatoren in diesem Jahr ist der kürzlich verabschiedete Präsident des nordrhein-westfälischen Verfassungsgerichtshofs, DR. MICHAEL BERTRAMS, der Urteile mit hoher politischer Wirkung gesprochen hat – so etwa sein Veto gegen den rot-grünen Landeshaushalt 2011 wegen zu hoher Kreditaufnahme. Immer wieder hat Bertrams auch sehr entschieden dafür plädiert, neo-nazistischen Anfängen zu wehren:
“Das Grundgesetz hat ein ‘historisches Gedächtnis’. Nach Auffassung des Senats, dem ich vorgestanden habe, ist es ausgeschlossen, dass Antisemitismus, Rassismus und Ausländerfeindlichkeit am Prozess der öffentlichen Meinungsbildung teilhaben können.”
Den anderen Teil der Laudatio hält der
für den Maßregelvollzug in NRW, UWE DÖNISCH-SEIDEL. Der Psychologe hat in den vergangenen 13 Jahren eine Reihe Auseinandersetzungen um den Bau Forensischer Psychiatrien geführt:
“Wir machen deutlich: Wir sind zu Gesprächen bereit, wir drücken uns nicht. Eine Bürgerversammlung hat sicher bei den wenigsten eine Veränderung erreicht. Aber die Erfahrung zeigt, dass durch diese Gespräche ein völlig anderes Klima entsteht.”
Als Laudator vorgesehen und angekündigt war zunächst der Alt-Liberale GERHART R. BAUM, Doyen der liberalen Demokratie. Baum, Bundesminister a.D., hatte seine Teilnahme äußerst kurzfristig aus persönlichen, für ihn nicht vorhersehbaren Gründen absagen müssen.
Das Grußwort spricht THOMAS EISKIRCH, MdL.
006420 Sachsenhausen
Das Foto von Mendez Trives zeigt einen Kamin des Krematoriums im KZ Sachsenhausen. Vom 10. November 1938 bis 25. März 1939 wurde Ehrenberg – Häftlingnummer 006420 – in Sachsenhausen gefoltert zusammen mit Tausenden deutscher Juden, die nach dem Novemberpogrom “verhaftet” worden waren, zusammen mit Tausenden Sozialdemokraten, Kommunisten und Gewerkschaftern, zusammen mit bürgerlichen Demokraten, zusammen mit Martin Niemöller. Der Erfahrung, die sie haben erleiden müssen, verdanken wir die Einsicht, dass Demokratie “wehrhaft und streitbar” sein muss. Zugrunde gegangen ist die Weimarer Demokratie schließlich auch daran, dass sie – so höflich hat Bundestagspräsident Norbert Lammert dies formuliert – “gewiss zu wenig überzeugte und engagierte Demokraten hatte”.
>> Der Festakt am 10. Oktober, 19 Uhr ist öffentlich, der Zugang frei.