Thron kann jeder
Hans-Ehrenberg-Preis für Antje Vollmer
Wenn Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist, ist Demokratie die Fortsetzung des Krieges mit ohne Waffen. Das gilt auch dann, wenn Parteien mehr Vorsitzende als Meinungen haben, die Parteien-Landschaft übersichtlich ist und Politik die Fortsetzung von Günther Jauch mit ohne Joker.
In dieser Fernbedienungslandschaft gibt es allerdings Bereiche, in die zu gehen sich niemand traut. Brachgelände der Demokratie, in denen die Regeln nicht so klar sind wie beim Sport, die Strafräume sind nicht markiert. Wer dennoch da hinein geht, kriegt beste Wünsche mit auf seinen Weg und, wenn sich ein Weg heraus stellt, von allen Seiten auf die Mütze. Darum würdigen wir, wie Antje Vollmer Politik versteht und demokratische Arbeit.
Der Hans-Ehrenberg-Preis gebührt ihr, weil sie „protestantische Position in öffentlicher Auseinandersetzung“ vertritt. Das Protestantische an ihrer Position ist, dass sie zwischen den Stühlen steht. Auf dem Thron sitzen kann jeder. Aber dahin gehen, wo es – nicht nur im Fußballsprech – weh tut, das machen – nicht nur im Politbetrieb – wenige.
Wer es dennoch tut, kommt nicht als Held zurück, sondern lädiert. Wer es zweimal tut, wird eher beäugt als angesehen. Und wer es noch einmal tut und noch einmal, stellt alle anderen vor ein Rätsel. Die Demokratie ist gut darin, ihre Witzfiguren zu blamieren, die Guttenbergs und noch amtierenden. Ihre Red Adairs sind ihr nie rein genug.
“Wir haben es rundweg abgelehnt, als Helden betrachtet zu werden”, schreibt Hans Ehrenberg in seiner Autobiographie. Hier die
Begründung für die Verleihung des Hans-Ehrenberg-Preises an Antje Vollmer
“Der Evangelische Kirchenkreis Bochum in Abstimmung mit der Hans-Ehrenberg-Gesellschaft verleiht den Hans-Ehrenberg-Preis 2011 an Frau Dr. Antje Vollmer
_ für ihre politischen Initiativen, mit denen sie in scheinbar ausweglosen gesellschaftlichen Konflikten Verständigungsprozesse auslöst, die sie mit Leidenschaft und Augenmaß moderiert:
Ihre Politik gründet Frau Dr. Vollmer auf dem dialogischen Prinzip, dem es nicht darum geht, konträre Positionen abstrakt zu versöhnen, sondern darum, sie in der Praxis einander anzunähern. Als einer der Begründer der Dialog-Philosophie hat Ehrenberg das dialogische Prinzip – Macht ohne Gewalt – für die neuere politische Philosophie (Hans-Georg Gadamer, Jürgen Habermas, Emmanuel Levinas u.a.) fruchtbar gemacht.
_ für die Sensibilität, mit der sie geschehenes Unrecht wahrnimmt und es, ohne zu beschönigen, zu besänftigen sucht;
Demokratie führt eine Vergangenheit mit, deren Unrecht nicht wieder gut zu machen ist. Dass zivilisatorische Standards weg brechen können, ist eine historische Erfahrung; dass es die eigenen Standards sein können, ist es ebenfalls. Diese biographische wie kollektive Erfahrung haben, auf sehr verschiedene Weise, Opfer wie Täter des Unrechts machen müssen. Solche Erfahrungen können die demokratische Gesellschaft von innen heraus sprengen, wenn sie nicht eingebunden werden in ein gemeinsames Verstehen. In dieser Intention folgt Antje Vollmers Politik dem Denken und Handeln Ehrenbergs.
_ für ihr politisches Denken, in dem sich der theologische Impuls, die Welt auf Gott hin zu verändern, bewahrt.
Protestantische Theologie unterscheidet zwischen dem Letzten und Vorletzten, und das heißt ins Politische übersetzt, sie unterscheidet zwischen der famosen Utopie und dem, was machbar ist. Antje Vollmer ist protestantische Theologin gerade darin, dass sie der Politik deren eigenes Recht beimisst, ohne den Maßstab, an dem sich Politik messen lassen muss, aus dem Blick zu verlieren.”
>> Festakt und das Gespräch zwischen Antje Vollmer und Margot Käßmann sind öffentlich, der Zugang frei.