„You never walk alone“

Bochums Künstler erspielen 15 000 Euro für Erdbeben-Opfer

23-03-05 Kultureller Frühschoppen zugunsten Erdbebenopfer in der Türkei: Pamela Falcon und Regi Jennings by Krystian Waletzko

„Erst kommt ein Erdbeben und dann eine Ulk-Nudel, kann das gutgehen?“ Frage von Esther Münch, die in ihrer Paraderolle als Waltraud Ehlert auf die Bühne der Christuskirche Bochum kam, von Beginn an machte sie klar: Es geht, klar, Bochumer Künstler hatten zum „Kulturellen Frühschoppen“ in die Kirche am Platz des europäischen Versprechens geladen, ihr Ziel: Spenden einwerben für die Opfer des Erdbebens in der Türkei und Syrien. Ergebnis: 14.961,40 € plus 1 Dollar, die teils im Vorfeld des Events und teils am Spendensonntag selber in einer durchgehend gut gefüllten Kirche eingeworben worden sind – hier auch durch den Getränke- und Snack-Verkauf, vor allem aber durch Spenden, die beim Ausgang in einem historischen Tresor der Sparkasse Bochum gesammelt wurden. Das Geld geht ohne Abzug an die Erdbeben-Soforthilfe der AWO Ruhr Mitte. Deren Vorsitzender, der Landtagsabgeordnete Serdar Yüksel (SPD), ist erst vor wenigen Tagen aus Adiyaman zurückgekehrt, er habe dort „apokalyptische Bilder“ gesehen, sagte er hörbar erschüttert.

Zusammen mit der ehemaligen Vizepräsidentin des Landtags NRW, Carina Gödecke (SPD), die lange Jahre über auch Vorsitzende der Parlamentariergruppe NRW-Türkei gewesen ist, erinnerte Yüksel an die vielen traumatisierten Menschen, unter ihnen Zehntausende Kinder, die dringend Unterstützung benötigten. Auch deshalb sei es überfällig, den überlebenden Opfern des Erdbebens erleichterte Visa-Bedingungen zu bieten, so Yüksel. Das habe die Bundesregierung zwar angekündigt, aber bisher nicht realisiert: „Es gibt keine Briefkästen mehr, um die erforderlichen Dokumente zuzustellen, es gibt keine Häuser mehr, um Briefkästen anzubringen, und es gibt bisher keine anderen, keine vereinfachten Wege“, so Yüksel.

Hans-Peter Villis, Vorstandsvorsitzender des VfL Bochum, aufgewachsen im Ruhrgebiet, erklärte bündig, warum er und der VfL sich die Solidarität mit den Menschen in Syrien und der Türkei und mit deren Angehörigen und Freunden hier in Bochum sofort zu eigen gemacht haben: „Wir leben zusammen, wir arbeiten zusammen, wir spielen zusammen Fußball.“ Vor dem gestern leider verlorenen Heimspiel („und dann noch gegen Ückendorf“) hatte der VfL im ausverkauften Vonovia-Stadion zum „Kulturellen Frühschoppen“ in die Christuskirche eingeladen, der Verein unterstützt die Aktion auch direkt mit einer namhaften Summe.

Stadionsprecher Michael Wurst, der das Bühnenprogramm zusammen mit Oliver Bartkowski, einem der Initiatoren des Events moderierte – beide hatten sie ebenfalls noch schwer am gestrigen Tag an der Castroper zu kauen – sang sich und das Publikum, begleitet von der Heavy-Metal-Legende Axel Rudi Pell und dessen Bassisten Volker Krawczak, in eine hörbar bessere Stimmung hinüber.

Die stieg, als der Vorsitzende des Unternehmerstammtisch Ruhr, Renè Frauenkron, einen Scheck in Höhe von über 5 000 € an Bartkowski überreichte. Das Geld war in wenigen Tagen innerhalb der örtlichen Unternehmerschaft eingesammelt worden, zur Übergabe las Frauenkron einen Abschnitt aus dem Neuen Testament – „ich hab‘ zwar nicht den Glauben“, interpretierte er den Text, „aber die Liebe und die Hoffnung, und die Liebe ist die größte unter ihnen“. Silvia Cabello, Chefin des Varieté et cetera, überreichte weitere eintausend Euro, die das kleine, hochkarätige Variete für das Solidaritätsevent gesammelt hat.

Und dann zeigte Dominik Buch, Schauspieler und Musiker, dass es möglich ist, die Stadion-Hymne „You never walk alone“ – eigentlich ein Song, der eher robust auftritt – so einfühlsam zu singen und so voller Mitempfinden, dass es klang, als würde es über Tausende Kilometer hinweg in Adiyaman zu hören sein. Großer Moment.

Von denen es weitere gab, Pamela Falcon und Regi Jennings boten ein umwerfendes Duett, Jennings Solo mit „What A Wonderful World“ wurde zur Gospel, seine Interpretation gewann den Charakter eines Gebets. Jörg „Alfi“ Wegner begleitete „das Supertalent“ Jay Oh und beschloss mit seinem Trio ein Programm, das Thomas Anzenhofer eröffnet hatte, der Schauspieler wird abends wieder als „Johnny Cash“ auf der Bühne des Schauspielhauses stehen. Anzenhofers Antwort auf die Frage, warum es immer die Künstler seien, die zu solchen Solidaritäts- und Hilfs-Aktionen aufrufen: „Dazu sind wir da.“

Zum Glück. Eine Stadt zeigt ihr Gesicht. In ihrem Zentrum liegt der Platz des europäischen Versprechens, er trägt die Namen von 14 726 Europäern, die ihr persönliches Versprechen an die europäische Idee gegeben haben, darunter Hunderte türkisch- und kurdischsprachiger Namen. Der Platz des europäischen Versprechens reicht bis nach Adiyaman.