Ben Becker
"Ich, Judas"
Der Abend wurde wegen Pandemie vom 4. April auf diesen Termin verlegt und wird nun abermals verlegt auf SONNTAG 21. NOVEMBER 2021. Tickets behalten ihre Gültigkeit.
“Der letzte Liebeserweis: Judas aus Kerioth küsst seinen Herrn. Und er, Jesus von Nazareth, sagte zu mir: ‘Mein Freund.’”
Und dann starben beide am selben Tag, der eine verehrt, der andere verhasst. Ihre Geschichte ist eine gemeinsame: „Judas ist nichts ohne Jesus, aber Jesus ist auch nichts ohne Judas“, schrieb Walter Jens. Ben Becker spielt “Ich, Judas” zum Ende des Kirchenjahres, am Freitag vor dem Totensonntag.
Judas. Der Name steht für Verrat, wer ihn trägt, trägt ein Kreuz: Judas war ein Jünger Jesu. Seit Jahrhunderten wird erzählt, dass er es gewesen sei, der Jesus mit einem Kuss verraten und ans Kreuz geliefert habe – war es so? Ben Becker wird zu Judas und arbeitet sich – eng am Text von Walter Jens entlang – in das hinein, was überliefert ist. Daraus wird mehr als eine Rolle, der Fall Judas wird neu aufgerollt: Könnte es sein, dass dieser eine Mensch den Sündenbock geben musste … für eine Sache, die aus dem Ruder gelaufen ist?
„Was war denn schon zu verraten“
fragt Judas uns, die wir uns in ein Geschworenengericht verwandeln,
„Jesus‘ Aufenthaltsort? Aber den kannten doch Tausende. Sein großes Geheimnis, dass er Gottes Sohn sei? Aber das hat er doch selbst gesagt mitten unter den Leuten!“
Die Fragen werden mehr, die Zweifel nehmen zu. Beim letzten gemeinsamen Mahl am Abend vor beider Tod hat Jesus, so wird berichtet, seinen Jüngern erklärt:
“‘Einer von euch wird mich verraten: der, dem ich den Bissen eintauche und gebe.’ Und er tauchte den Bissen ein und gab ihn Judas.”
Wer ist hier aktiv, wer passiv, wer Täter, wer Opfer? Weiter heißt es:
“Und nach dem Bissen fuhr der Teufel in ihn.”
Wie kann ein Stück Brot, von dem so viele bis heute glauben, dass sich die Gegenwart Gottes in ihm verdichte, wie kann es zu einem Transponder des Teufels werden? Von Jesus selbst gereicht? Die Widersprüche nehmen zu, sie gehen an die Substanz und an die Transsubstanziation, sie greifen den Glauben an und jenes Dogma, das im Zentrum der katholischen Messe steht.
Und nun? Judas – immer am Text von Walter Jens entlang – bietet zunächst eine andere Erklärung an für das Doppel von Jesus und Judas, diese:
“Wir waren Vertraute … Wir wussten, dass es eines Menschen bedurfte, um Jesus zu überliefern. Ein Mensch war vonnöten, kein Gott, um ein für allemal zu beweisen, wohin Menschen geraten, die – um ganz sie selbst zu sein – vor keinem Anschlag zurück schrecken, auch nicht vor dem Anschlag auf Gott.”
Diese “These”, so nennt Judas sie, ist nun ihrerseits nicht recht überzeugend: Um vor Augen zu führen, zu welchen Taten Menschen in der Lage sind, gab und gibt es Beweise genug, dazu musste nicht noch einer sterben. Und so steigen auch in Judas die Zweifel hoch – es ist genial, wie Ben Becker sie verkörpert – und wird ihm nach und nach bewusst, dass die Geschichte logisch nicht aufzulösen ist.
Jedenfalls solange nicht, wie ihr gutes Ende immer schon vorausgesetzt wird. Sobald man heilsgeschichtlich denkt, also vom immer schon guten Ende her, wirds schief, weil alle und alles von vornherein auf die richtige Lösung hin ausgerichtet werden muss. Zum Ende hin – es ist das offene Ende unserer eigenen Geschichte – kommt Judas uns sehr nahe:
“(geht wieder auf die Zuschauer zu) Zum letzten Mal: ein bisschen Logik, wenn’s beliebt. Angenommen, ich hätte nein gesagt … gesetzt, ich hätte mich geweigert, wäre ich dann nicht – nur dann! – an Gott zum Verräter geworden? Bedenkt: Ohne Judas gibt es kein Kreuz, ohne das Kreuz keine Kirche, ohne mich, den Überlieferer, keine Überlieferung der Botschaft, dass wir erlöst sind. Eine kleine Bewegung meines Kopfes, ein Schütteln statt eines Nickens, und Gottes Plan wäre … ein Nichts.”
Und dann schlagen die Zweifel über Judas zusammen:
“Und niemand, Herr, hätte uns Juden verfolgt … Kein Progrom, kein Lager, kein Gas …”
„Ich, Judas“ ist das Plädoyer für einen Verdammten, ein existentielles Plädoyer für einen, der ist wie wir. Am Ende des Tages sind beide tot, der eine am Kreuz, der andere am Baum, beide erhöht. Ben Becker ist “Ich, Judas” dort, wo beides seinen Ort hat, der Glaube und der Zweifel.