Navid Kermani
Ungläubiges Staunen
“Ungläubiges Staunen” ist Titel von Kermanis neuestem Buch, es geht ums Christentum und wie es erscheint. Ein Buch, das zunächst einmal selber erscheint, nämlich sperrig, als müsse man Kunstgschichte studieren, das dann aber leicht und witzig und wie im Cafè erzählt.
Über den Kölner Dom etwa berichtet der Kölner beiläufig, der Bau habe “nichts Göttliches”, warum? Weil das Göttliche “doch etwas Leichtes, undurchdringlich Klares, damit Himmlisches wäre”. Wie zum Beispiel was? “Wie die Scheich-Lotfollah-Moschee in Isfahan”. (Erste Pointe, ziemlich gut.) Der Dom dagegen, fährt Kermani fort, “der Dom preist nicht Gott, sondern die Kölner.” (Zweite Pointe – sitzt. Jetzt die dritte:) “Ich mag, das, nicht nur als Kölner.”
Auch in Interviews vermeidet der Orientalist, ein Schüler von Nasr Hamid Abu Zaid – Kermani hat Islamwissenschaft studiert, Philosophie und Theaterwissenschaft in Köln, Kairo und Bonn, er hat als Dramaturg gearbeitet und zahlreiche Bücher veröffentlicht – vermeidet alles Hochgestimmte, er ist Kölner eben nur dank Migration. Eigentlich ist er Westfale, und wenn er, der Siegerländer, über Schönheit spricht und über das, was mehr sein könnte als schön, bleibt er bedacht und liegt damit, auch wo er falsch liegt, immer auch richtig, ein Beispiel:
“Sie suchen in Ihrem Buch nach Heiligengeschichten”, fragte ihn die ZEIT, “was treibt Sie dabei?” Kermani:
“Der Protestantismus hat vor allem versucht, Religion verstehbar zu machen: Dass jeder die Bibel versteht, war ein Leitgedanke, der auch absolut plausibel ist … Aber in der Bewegung, die der Protestantismus in Gang gesetzt hat, hat Religion zunehmend ihr Mysterium eingebüßt. Es ist das Verstehen wichtig, aber auch das Nicht-verstehen-Können. Und dieses Moment des Nichtbegreifens, das Geheimnis, das über uns steht, aber unser Schicksal bestimmt – das ist …”
Was es ist, steht in seinem Buch. Navid Kermani liest und diskutiert mit dem Kulturwissenschaftler Dr. Manfred Osten.
>> Mittwoch, 9. Dezember, 19:30 Uhr
>> 10 EUR, Tickets gibt es hier
>> Navid Kermani liest auf Einladung der Evang. Stadtakdemie Bochum
NAVID KERMANI | 1967 in Siegen geboren, muslimisch aufgewachsen, lebt als freier Schriftsteller in Köln. Er ist habilitierter Orientalist, Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste (Klasse der Künste) sowie der Hamburger Akademie der Wissenschaften. 2009 bis 2012 Senior Fellow am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen. 2008 Stipendiat der Villa Massimo in Rom. Gastprofessuren in Frankfurt sowie am Dartmouth College in den Vereinigten Staaten. Auszeichnungen unter anderem: Buber-Rosenzweig-Medaille, Hannah Arendt-Preis, Kleist-Preis, Joseph Breitbach-Preis.
Im Oktober 2015 hat Kermani den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels entgegen genommen.
Über “UNGLÄUBIGES STAUNEN” schrieb WOLFGANG HUBER in der FAZ:
“Kermani ist ein Wanderer zwischen den Glaubenswelten von Ost und West, der auf Schritt und Tritt eine wahre Leidenschaft für den Glauben zu erkennen gibt. Seine subjektive Sicht auf das Christentum ist deshalb auch dort sympathisch, wo man ihr widersprechen möchte. Denn er betrachtet das Christentum keineswegs nur von außen, sondern sucht es von innen zu verstehen. [….] Inkarnation als Prinzip: So lässt sich Kermanis Christentum verstehen.”
Und JAN-HEINER TÜCK in der NZZ
Navid Kermani, der diesjährige Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, wählt in seinem Buch «Ungläubiges Staunen» den Zugang über die Bilder. Als islamischer Intellektueller, der mit dem rheinischen Katholizismus gut vertraut ist, weist er auf eine Dimension des Christentums hin, die von vielen Christen nur allzu oft übersehen wird: dass die Bibel nicht nur diverse Übersetzungen und gelehrte Kommentare, sondern im Medium des Bildes faszinierende und nicht selten auch anstössige Ausdeutungen gefunden hat. Der Untertitel von Kermanis Buch, «Über das Christentum», ist allerdings eine Spur zu grossflächig. Er blendet aus, dass mit dem Zugang über Bilder und Skulpturen die karge, bilderfeindliche reformierte Tradition ebenso wenig im Blick ist wie die wortzentrierte lutherische.
Nicht ausgeschlossen, dass Kermani mit der Reformation eine künstlerische Verarmung am Werk sieht, geht es ihm doch um sinnfällige Bildwelten, um Farben und Formen, um die Verschränkung der Heilsgeschichte mit dem Menschlich-Allzumenschlichen, wie sie besonders bei Caravaggio, aber auch bei Botticelli, Dürer, El Greco und anderen Meistern begegnet […] Köln und Rom eben, und nicht Wittenberg, Zürich oder Genf.
[…] Der Skandal des Kreuzes, der von wohlmeinenden Apologeten beschönigt wird, wenn sie von einem «kulturellen Symbol des Abendlands» sprechen, wird von Kermani unverblümt herausgestellt. Von einer barbarischen und körperfeindlichen «Hypostasierung des Schmerzes» ist die Rede, ja die Kreuzestheologie erscheint ihm als «Gotteslästerung» und «Idolatrie».
Aus der Sicht des Islams, der Gott in Begriffen der Erhabenheit und Stärke denkt, muss es verwerflich sein, Jesus, den Sohn Mariens, der ja im Islam als Prophet anerkannt ist, leiden und sterben zu sehen. Kaum zufällig schreibt der Koran die neutestamentlichen Passionsberichte um, wenn er an der Stelle Jesu einen anderen am Kreuz sterben lässt. Damit wird freilich der christliche Erlösungsglaube von Grund auf verkehrt: Nicht Jesus stirbt für uns, wie es die paulinische Kreuzestheologie lehrt, sondern ein anderer stirbt für Jesus.
Kermani bleibt allerdings nicht bei seiner schroffen Absage, er nähert sich dem Kreuzesgeschehen auch wieder an, wenn er im Bild des Gekreuzigten das Paradigma des inkarnierten Menschen entdeckt. Später, in einer stark erweiterten Betrachtung zur Kreuzigung von Reni führt er aus, was er darunter versteht: Jesus sei der repräsentative Mensch, der stellvertretend für alle anderen zum Himmel schreie: «Mein Gott, warum hast du uns verlassen?»