"Initiative Weltoffenheit"

Terror ignorieren, Antisemitismus definieren, BDS hofieren

Die „Jerusalemer Erklärung“ zieht keine Grenze zum Terror

Streetart in Talpiot, Jerusalem by Oshra Dayan via the PikiWiki Israel free image collection project (cc)

War zu erwarten: Eines Tages würde eine internationale Riege mit wissenschaftlicher Autorität ihren Gütesiegel an BDS verleihen. Jetzt ist es passiert, es ist übel, vielleicht liegt es am Jerusalem-Syndrom.

Es gibt das ja, so eine Art Flimmern im Selbstbild, das nur in Jerusalem auftritt und macht, dass Leute, die aus aller Welt angereist kommen, sich plötzlich mit Mose verwechseln oder mit Petrus, dem Fischer. Jährlich erkranken rund 100 Menschen an diesem Syndrom, meistens verliert es sich auf dem Rückflug. Wie viele Jerusalemer Erklärungen es schon gegeben haben mag?

Seit vorgestern eine weitere, „originated in Jerusalem“. Nicht von 100, sondern von 200 Leuten verfasst, die  –  teils wissenschaftlich, teils eher nicht  –   in Disziplinen wirken rund um Antisemitismus-  und Holocaust-Forschung, Judaistik und Nahost. Die wenigsten von ihnen wohnen in Jerusalem, die meisten zwischen Konstanz und Kalifornien. Sie dürften syndromfrei sein, sind aber nicht frei von Verwechslung. In ihrem Fall ist es so, dass sie die Wirklichkeit mit einem Seminar verwechseln und vorher noch die Wissenschaft mit Politik:

Ihre „Jerusalemer Erklärung“ beginnt, als säßen Staatshäupter beisammen, mit einer Präambel –  darüber hat sich Jürgen Kaube in der FAZ amüsiert  –   und ruft eine Ahnengalerie auf, die mit der Erklärung der Menschenrechte anhebt. Später dann vergewissern sie allen Ernstes, dass es sich bei ihrem Text um eine „nicht rechtsverbindliche Erklärung“ handele. Als hätten sie sich  –  Jerusalem-Syndrom  –  ausdauernd selber befragt, ob nicht der eine oder die andere vielleicht doch Mose sei oder Petrus oder sonst ein Gesetzgeber.

Hochschulen und VfL, Bundestag und BVB

Ihre Jerusalemer Intention: Sie wollen die Antisemitismus-Definition der IHRA „verbessern“. Die International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA)  –  laut Auswärtigem Amt „die führende internationale Institution, die Regierungen und Fachleute zusammenbringt“; möglicherweise hat die IHRA diese 200 Fachleute hier glatt übersehen  –   hatte 2016 eine Definition von Antisemitismus verabschiedet, die inzwischen weltweit verbreitet ist und in Deutschland von so relativ verschiedenen Organisationen wie Bundestag, Hochschulrektorenkonferenz und VfL Bochum gelesen, verstanden und übernommen worden ist.

Diese Definition, erklären die 200 Erklärer jetzt, sei „in wesentlichen Punkten unklar“ und „weithin offen für unterschiedliche Interpretationen“. Das wiederum habe „Kontroversen ausgelöst, wodurch der Kampf gegen Antisemitismus geschwächt“ worden sei.

Nun ist es ja so, dass Kontroversen früher einmal nicht als Schwäche, sondern als Stärke des Erkennens galten. Erst im letzten Jahr hat die Mbembe-Debatte das bestätigt, sie war heftig, mühsam und erhellend, die IHRA-Definition hat diese Debatte nicht „geschwächt“, sondern ermöglicht.

Eben das scheint das Problem zu sein, dass die Jerusalem-Erklärer jetzt haben: Die IHRA-Definition, klagen sie, ermögliche Kontroversen deshalb, weil sie „übermäßig“ auf den Staat Israel fokussiere. Von Israel, klagen sie, handelten 7 der 11 dort angeführten Beispiele.

Darauf reagieren sie, indem sie 10 von 10 ihrer Beispiele auf Israel münzen. Was nun aber keinesfalls „übermäßig“ sei, sondern einem „weit verbreiteten Bedürfnis“ entspreche. Wer hegt dieses Bedürfnis? Das sagen sie nicht. Was will dieses Bedürfnis? “Klarheit”, sagen sie, Eindeutigkeit darüber, wie über den Staat Israel geredet und was gegen ihn getan werden dürfe, was „legitim“ sei und was nicht und wo da die „Grenzen“ seien. 

Boykott wird Bankrott

Und so geht es schließlich los nach „Präambel“ und einer „Definition“, die Antisemitismus im Rassismus verschwinden lässt und dann „im klassischen“ und „Bösen“. Aber das ist hier nicht das Thema, sondern die „Grenze“, die diese 200 ziehen.

Beispiel: Antisemitisch sei es, Juden kollektiv verantwortlich zu machen für das, was Israel tue (Punkt 7). Nicht-antisemitisch sei es, Israel mit Apartheid zu vergleichen (Punkt 13). Soll heißen, an der Apartheid sind nicht alle Juden schuld?

Anderes Beispiel: Antisemitisch sei es, werden Juden aufgefordert, Israel öffentlich zu verurteilen (Punkt 8). Nicht-antisemitisch sei es, die Öffentlichkeit aufzufordern, Israel öffentlich zu verurteilen. Wörtlich: „Boykott, Deinvestment und Sanktionen sind alltägliche, gewaltfreie Formen des politischen Protests gegen Staaten. Im israelischen Fall sind sie an und für sich nicht antisemitisch.“ (Punkt 14). 

Da ist er, der Unbedenklichkeitsstempel. Erschütternd dünn die Begründung: BDS  –  das von Terrorgruppen wie der Hamas „koordinierte“ Netzwerk, das einige Aggressivität entwickelt darin, Israel zu verleumden  –  eben dieses BDS sei mittlerweile „commonplace“ und richte sich ganz allgemein „against states“. Warum es derzeit ausgerechnet den jüdischen Staat treffe („in the Israeli case“) und nicht einen der unübersichtlich vielen anderen Fälle, wer könne das schon wissen. Nach 2000 Jahren Antisemitismus.

200 Wissenschaftler und ein Bankrott. Micha Brumlik kürzt das Ergebnis zurecht: „Jetzt ist klarer, dass BDS, also eine Organisation, die vom Deutschen Bundestag im Mai 2019 pauschal für antisemitisch erklärt wurde, dieses nicht ist.“

Das werden wir ab jetzt Tag für Tag hören, es sind 200 Signateure, beim DLF werden sie Überstunden machen.

 „Terror“ kommt nicht vor

Noch ein weiteres Beispiel, um das Desaster aufzuzeigen, das hier gerade aufgetischt wird:

Antisemitisch sei es, schreiben die 200, wenn man Juden das Recht abspreche, im Staat Israel „collectively and individually, as Jews“ zu leben. Man atmet mit Kaube in der FAZ einmal durch, schon geht’s weiter:

Nicht-antisemitisch sei es, „Vereinbarungen zu unterstützen, die allen Einwohnern ‚zwischen Fluss und Meer‘ die volle Gleichheit gewähren, sei es in zwei Staaten, einem binationalen Staat, einem einheitlichen demokratischen Staat, einem Bundesstaat oder in welcher Form auch immer“.

Und so ist nun auch Khamenei fein raus, der Terror-Ayatollah. Der immer wieder gefordert hat, Israel „from the river to the sea“ zu eliminieren. Das aber, schob er ab und an hinterher, bedeute ja nicht, „die Juden zu eliminieren“. Er wolle das Land ja lediglich von denen befreien, die darauf wohnen, Israel von den Israelis, hinterher könnten alle, die dann noch dabei sind, mit allen anderen zusammen darüber abstimmen, ob und wie sie weiter zu leben hätten, und nur um diese demokratische Debatte zu ermöglichen, deshalb jetzt der ganze Terror. Zuzüglich Atombombe.

Streetart in Talpiot, Jerusalem by oshra dayan Pikiwiki Israel (cc)

Mit seinem Programm “from the river to the sea” könnte sich Khamenei auf die „Jerusalemer Erklärung“ berufen, er wird es sicherlich beizeiten tun, sSpätestens dann wird sich zeigen, was Seminarraum und Politik unterscheidet: just jene Internationalität, die die „Jerusalemer Erklärung“ für sich reklamiert.

Sie, die Jerusalemer, glauben ja, sie böten ein „Instrument“, um Antisemitismus „in Ländern auf der ganzen Welt“ zu identifizieren. An eben dem Tag, an dem sie das veröffentlicht haben (die „Erklärung“ selber kommt ohne Datum aus, sie gibt sich zeitlos), tagte der UN-Menschenrechtsrat, jenes völlig im Israelhass verknäulte Gremium, das Israel-Bashing als „Punkt 7“ seiner Tagesordnung  eingeschweißt hat so wie Top 1 Begrüßung und Feststellung der Verhandlungsfähigkeit. Im Namen ihres Heiligsten, der „Menschenrechte“, haben die Vereinten Nationen Israel häufiger „verurteilt“ als sämtliche Staaten dieser Welt zusammen.

Das sind irrwitzige Mehrheiten, Deutschland mittenmang. Würde man Khameneis Modell zur internationalen Abstimmung stellen, würde es locker eine Mehrheit jenseits von Zweidrittel finden. Im Zweifelsfall würde Israel aus der Völkerfamilie so rausgeworfen werden wie das europäische Judentum aus der Menschheit hinausgemordet worden ist.

Das Wort Terror aber kommt in der „Jerusalemer Erklärung“ nicht vor.

Und das heißt: Die Wirklichkeit des Terrors kommt nicht vor in jenem Antisemitismus, den diese Erklärung definiert. Die 200 verwechseln – doch das Jerusalem-Syndrom? – Antisemitismus mit ihrer Macht zu definieren. Kurzer Schritt zur Seite:

In Die Vernichtung der europäischen Juden hat Raul Hilberg die Probleme beschrieben, die die Nazis 1933 bekamen, als sie, kaum hatten sie die Ministerien bezogen, sich daran machten zu definieren, wen eigentlich sie hassen wollen. „Rassische“ Kriterien waren entschieden unzuverlässig, ihre neuen „Rassengesetze“ griffen ganz behäbig auf Religion zurück und da am besten auf die der Vorfahren, Tote sind verlässlich. Auf diese Weise aber wurde es erst richtig kompliziert, mit toten Großeltern mussten „Dreiviertel-, Halb- und Vierteljuden“ definiert werden, was wiederum bedeutete, dass es Dreiviertel-, Halb- und Viertelarier geben würde. Und nur mal eine Generation weiter zurück gedacht … Achtelarier? Welchen Teil sollte man schützen, welchen fürchten und wieviel davon? Darüber zerstritten sich Politik und Verwaltung, Hilberg:

„Die Partei ‚bekämpfte‘ die Teiljuden als Träger des ‚jüdischen Einflusses‘; die Verwaltungsbehörden wollten beim Teiljuden ‚den Teil, der deutsch ist‘, schützen.“

Und dann erst die kniffligen Frage, wie zu verfahren sei mit Kindern unverheirateter Frauen, die jüdisch seien, während der Mann womöglich „arisch“ gewesen sein könnte, und was erst, wenn die Frau ‚arisch“ sei, aber der Mann mglw doch nicht ganz usw.

Das BDS-Syndrom

Schließlich haben die Nazi-Juristen, alles moderne Wissenschaftler, eine „Emanzipationstheorie“ entwickelt, in ihr wurde festgestellt, dass sich vor 1918 keine Juden mit keinen Deutschen vermischt hätten, das habe erst nach 1918 begonnen, es handele sich nur um ein Zwei-Generationen-Problem.

(Während die Weimarer Republik – nebenbei bemerkt – für die Nazis das war, was Tel Aviv heute für BDS ist: ein Ort, an dem sich Menschen lieben, mischen und verwandeln. )

Damals begann in der Nazi-Bürokratie, was BDS später nachgeahmt hat – BDS hat sich seitenlange „Guidelines“ erdacht  – , nämlich ein völlig irres Definieren nach allen Regeln der Wissenschaft mit Ausführungsverordnungen und Ausnahmeregelungen, mit „Geltungsjuden“ und „Ehrenariern“ und einer Wahllosigkeit, die mehr als anderes deutlich macht, was Antisemitismus ist und wie er funktioniert: willkürlich.

Anders lässt er sich nicht definieren. Völlig egal, wo 200 Wissenschaftler ihre „Grenzen legitimer politischer Reden und Aktionen“ ziehen. Wer immer Israel hasst, kann solche „Grenzen“ ohne Mühen untertunneln, überwinden, umqueren, weil allezeit bereit, auch das Gegenteil von dem zu hassen, was er hasst. In der Antisemitismus-Forschung ist das unter dem Stichwort „Singularität“ bekannt: dass es im Antisemitismus keine Logik gibt, er keinem etwas bringt und niemandem nichts nützt.

Antisemitismus ist Willkür. Willkür in Reinform ist Terror, Antisemitismus und Terror passen zusammen wie Theorie und Praxis. Die „Jerusalemer Erklärung“ aber, die behauptet, „Grenzen“ zu ziehen, zieht keine Grenze zum Terror, sie zieht keine zur Praxis. Stattdessen bittet sie BDS auf die Bühne.

Es wird sein, was von der „Jerusalemer Erklärung“ bleiben wird, die Aufführung des BDS-Syndroms.

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Fotos: Streetart in Talpiot, Jerusalem by Oshra Dayan via the PikiWiki Israel free image collection project (cc) Creative Commons Attribution 2.5.