Dada und Donau, Dorau und Adorno
Andreas Dorau live im urban urtyp Kubus

Fluch und Flucht folgen dicht aufeinander, folgt man dem Wörterbuch. Anders Andreas Dorau, den alle für Fred vom Jupiter halten, er hält die Spur. Und schenkt dem Pop ein Dada-Gefühl, das majestätisch ist, keinesfalls harmlos.
44 Jahre zurück, Diana Spencer heiratet Prince Charles, als „Fred vom Jupiter“ dazu kam, der Song, den Andreas Dorau mit 15 Jahren im heimischen Pfarrhaus in Hamburg geschrieben hat und der, genial brachial, beides war: völlig daneben und voll auf den Punkt. „Monarchie und Alltag“, Fehlfarbens epochales Wunderwerk, war gerade ein paar Monate alt, als Dorau der NDW – der Neuen deutschen Welle – die Krone aufgesetzt hat, die ihr fehlte, um so punk- wie punktgenau abdanken zu können. Dorau und Diana, es wäre eine Geschichte für sich, Narzissen und Kakteen. Was eine andere Geschichte ist, die geht so:
Doraus 81er Album, darauf „Fred“, hieß „Blumen und Narzissen“, 20 Jahre später verlängert Sven Regener, kongenialer Texter und Sänger von Element of Crime, die Blumen und Narzissen zu Narzissen und Kakteen, Textauszug:
„Wir entsinnen uns bewundernd / jener Unverwüstlichkeit / die unser Leben einmal hatte / und wie einfach alles schien / als wir noch viel zu wenig wussten. / Narzissen und Kakteen.“
Das ist, verglichen mit Dorau, beinahe redselig, Dorau textet eher so, als hätte er Paul Klee Modell gestanden für „Karge Worte des Sparsamen“:

Aber Dorau und Regener sind beste Freunde, sie haben zusammen Bücher hervorgebracht und sie zusammen vorgelesen, hier ein Klappentext:
„Für die einen ist er ein lebendes Gesamtkunstwerk, das sich immer weiter vervollkommnet, für die anderen ein Popstar, der partout nicht lockerlässt, für die dritten wiederum ein unerschrockener Jäger des verlorenen Schatzes der Kulturindustrie: Andreas Dorau – viel bewundert, eigensinnig, genial. Und alle sind sich einig: Nichts ist so inspirierend wie dieser Meister der Exzentrik und des unauffällig Absurden, wenn er ausführlich, subtil und abgründig von sich und seinen Abenteuern nicht nur im Kunstbetrieb erzählt. Wer Sven Regeners Romane kennt, kann ahnen, warum er so viel Spaß daran hat, in Doraus schillerndes Universum einzutauchen und zu literarisieren, was dieser erzählt. Da gibt es einen Hypnosekönig, den Dorau aufsucht, um endlich zu erfahren, was er wirklich tief drinnen über seinen alten Freund Fred vom Jupiter denkt, die Panikattacke, die ihn als Adorno-Stimme in eine Verhaspelkatastrophe hineinrasen lässt …“
… usw., jetzt besingt diese Stimme, live im urban urtyp-Kubus, die Donau bzw das, was sie an Land gespült hat: Wien. Eine Stadt, von metaphysischer Lässigkeit getragen, die sich schwer unterscheiden lässt von „servilem Sadismus“, wie es Tex Rubinowitz nennt, der Wahl-Wiener. Eine Stadt, in deren spitznasiger Lässigkeit Adorno – er hat in Wien studiert – ein „Finsteres“ erspürt hat: „Wer’s nicht so schwer nimmt, lässt gern dem Schweren seinen Lauf.“ Adornos „Traumprotokolle“ wiederum – das mit Sicherheit eigenartigste Werk, das dieser schärfste Kritiker des Kapitals hinterlassen hat – hat Dorau vor einiger Zeit für eine Hör-Produktion eingelesen, O-Ton Adorno:
„Unsere Träume sind nicht nur als ‚unsere‘ untereinander verbunden, sondern bilden auch ein Kontinuum, gehören einer einheitlichen Welt an …“
Doraus Welt. „Deutschlands einziger Popstar“, hat ihn Bernd Begemann (auch der ein pop-verweigernder Popstar) kürzlich genannt, als Dorau seinen 60. beging, aber – das ist jetzt wieder Tex Rubinowitz – „man halte Dorau nicht für harmlos“, ehe man sich’s versieht, habe er das selbstgewisse Wien – so in seinem Song „Vienna Sur Mer“ – von der Donau abgerückt und ans Meer heran, wo Adolf Hitler auf Thomas Bernhard trifft:
„Ein grässlicher Mann
Ein Bärtchen trug er
Er hätte es gehasst hier
In Vienna sur Mer
Und Thomas Bernhard ruft
Kommt alle her!
Er trägt einen bunten Hut
In Vienna sur Mer“
Liest sich wie ein Traumprotokoll von Adorno. Dann der Blick auf das Foto, Andreas Dorau reisefertig mit Windjacke und Rollkoffer, im Hintergrund eine Flip-Clock, die den 4. November anzeigt, an dem Tag wurde 1988 Thomas Bernhardts „Heldenplatz“ am Wiener Burgtheater uraufgeführt, ein Theater-Skandal sondergleichen, 50 Jahre, nachdem sich Österreich dem NS-Regime angeschlossen hatte. Einige Jahre vor Bernhardts „Heldenplatz“ war Bochums Innenstadt an eben diesem Tag – 4. November 1944 – von alliierten Kräften in Schutt und Asche gebombt worden, nur der Turm der Christuskirche ragte aus den Trümmern der „Gau-Hauptstadt“ empor, ein Heldenplatz mit einer „Helden-Gedenkhalle“ …
Der 4. November 2020 wiederum war kein Donnerstag, wie Doraus Flip-Clock anzeigt, sondern ein Mittwoch, einen Tag zuvor hatte ein homegrown terrorist in Wien vier Passanten ermordet und Dutzende schwer verletzt, über Wien und dem ganzen Land lag eine dreitägige Staatstrauer. Manchmal habe man das Gefühl – das Dada-Gefühl – , „als handle es sich bei Doraus ‚Wien‘ um so etwas wie Klang gewordenen Fordismus“, schrieb Jens Winter in der taz, „eine dadaistische Ode auf die verhasste Gleichheit, die man wirklich so sehr hasst, dass man sie – en miniature – noch einmal nachbaut, aber in schräg, betont technizistisch und skurril. Wie Paul Klee, aber in Musik.“
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16. Mai 20:00 Uhr | EInlass 19:00 Uhr
Andreas Dorau
„Wien“. Supported by ZackiBoy
Einlass 19 Uhr | VVK 22 € inkl. Gebühren | Tickets direkt hier bei uns und in allen besseren VVK-Stellen bundesweit