Singen wie göttliches Tun

Camille Bertault, Rising Star aus Paris, am 5.2. live bei uns

Camille Bertault by (c) Jean-Baptiste Millot

Kunst ist so frei, dass man sie studieren muss. Studiert man sie, wird man geprüft, wird man kunstgeprüft, fällt man schon mal durch. So wie Camille Bertault am Conservatoire de Paris, sie geht nach Hause, scattet John Coltranes „Giant Steps“ und stellt das Video online. Es wird ihr tatsächliches Zeugnis, es ist genial, sie ist der Rising Stardes Vocal-Jazz.

Sieben Jahre her, die Sache mit den „Giant Steps“, die sie springt, beobachtet allein von einer Webcam, die sich völlig unbewegt gibt. Das Video hat sie weltweit berühmt gemacht, ein Youtube-Hit mit einem Klassiker des Jazz, mit Coltranes Saxophon-Solo von 1959. Camille Bertault vokalisiert es mit größter Präzision und Leichtigkeit und Lust. Und rahmt es ästhetisch mit einer Film- und Soundtechnik rahmt, die leidlich vertraut ist und plötzlich verspielt. Jazz im Modus einer Zoom-Konferenz:

Ich muss gestehen, Saxophon-Soli fand ich immer aufdringlich, der Sax-Sound ist mir zu zerquetscht, zu unfrei, zu erkämpft. Im Grunde lebt er vom Pathos seiner ständigen Befreiung. Und plötzlich plört Coltranes ewig langes Solo aus einem billigen PC-Lautsprecher wie eine weit entfernte Erinnerung, und darüber diese vergnügte Stimme, die vergessen lässt, was Saxophon war oder ist oder wäre. Bertault scattet so unbeschwert und sorglos durch das angestrengte Solo, als flattere sie durch eine Blumenwiese von Monet. Wenn ich Coltrane selber gehört habe, war da kein Monet und war es im Grunde egal, welche Blume dieses Sax als nächstes umflattert, bei Camille Bertault fliegt man mit.

Und fliegt hinüber zu „New World“, dem Song von Björk, den die sich für ihre Rolle in dem Lars von Trier-Film „Dancer in the Dark” geschrieben hat. Dann vom Elektro-Pop weit zurück ins 19. Jahrhundert zu einer Etüde von Alexander Skrjabin und dann vorwärts in den klassischen Jazz hinein zu „Ask Me Now“ von Theolonius Monk und weiter zu einem der eigenkomponierten Werke, die Bertault für Helbocks Tasten geschrieben hat und die Helbock auf Bertaults Stimmbänder legt.

Musikkritiker, eigentlich auf streng geeicht, beschreiben ihre Art zu singen, wie Theologen göttliches Tun beschreiben: Schweres wird leicht, Ernstes leichthin, das Akkurate verspielt und das Verspielte so akkurat, als gehe es um eine Prüfung am Konservatorium. Es geht um Jazz. Um die Lust am Spiel, manche ihrer kleinen Videos, in denen sie Jazz-Instrumentals mit französischem Phantasietexten scattet, sind so charmant verspielt, als sänge sie ihren Badezimmerspiegel an.

Das täuscht natürlich, den malerischen Grund für ihren Playground à la Monet legt David Helbock, und man muss ihm, der sich unter die großen Pianisten Europas gespielt hat, die größten Komplimente machen, wie er sich und sein Spiel in den Dienst von Bertaults Stimme stellt. Eine nahezu orchestrale Begleitung, die weiten Raum schafft für die atemberaubende Gesangstechnik von Camille Bertault.

Darf man das machen, so sorglos und unbeschwert jazzen? Während Tausende sterben an Europas Grenze, die zwischen einer freien Ukraine und Putins Russland verläuft? Ja, weil man die Freiheit hören muss, um klar zu kriegen, was Putin wegbomben will.

Am 5. Februar live bei uns, alle Infos und Tickets hier klicken