Am Are
Bugge Wesseltoft by (c) Egil Hansen
„Mein erstes Solo-Album seit Ewigkeiten“, sagt der norwegische Pianist, der zu den größten zählt in dieser Zeit. Mit seiner New Conception of Jazz hat er der Welt der Musik eine neue Welt erschlossen, hat den Club in einen Jazzkeller und den Jazz in Clubkultur verwandelt, programmierte Sounds in Improvisation, die Ewigkeit des Grooves in die Erfahrung des Moments, der jetzt erfüllten Zeit.
Das war um die Jahrtausendwende herum, eine ästhetische Revolution, heute hängen ihr Generationen von Pianisten an. Klingt übertrieben, ist es nicht, dass Wesseltoft – ähnlich wie J. S. Bach der Klassik, der Romantik, der Moderne – heute Künstlern wie Martin Kohlstedt und Nils Frahm, wie Hauschka, Nik Bärtsch und natürlich Nils Petter Molvaer die Tür aufgestoßen hat in die neue Welt. Und allen, die diese Welt erhören.
Mit seinen Arbeiten der jüngsten Jahre aber kehrt Bugge zurück ans Klavier, zurück zu dem unfassbar trostreichen Klang eines Grand Pianos. Ein Zurück, das keines ist, weil auch diese Welt aus schwarz-weißen Tasten gebaut ist und damit so binär wie der Code der Computer. Mit dem einen Unterschied, der Klang des Klaviers ist endlich. Unendlich, was alles sich aus ihm heraushören lässt.
Wie er den Abend in der Christuskirche spielen wird, wissen die Himmel. „Am Are“, auf Jazzland erschienen, Bugges eigenem Label, besteht aus Solo-, Duo- und wechselnden Trio-Arbeiten, die sehr verschiedene Klangwelten schaffen. „Soft-Prog“ hat das Magazin Jazzthing sie versuchsweise auf einen Begriff gebracht, darauf Bugge: Ja, vielleicht sei habe ihn tatsächlich der Stilansatz der 70er Jahre geprägt, „kleine melodische Themen mit einem nicht ganz so ausgeprägt progressiven Sound oder Arrangement zu verbinden“ und eine melancholische Downtempo-Stimmung zu schaffen. Etwas, das kein KI-Tool programmieren kann bisher. „Meine Chance“, sagt Wesseltoft und lacht.
Was aber alle Klangwelten trägt, die Bugge schafft: die norwegische Landschaft, seine Heimat. Ihre Weite, ihre Offenheit, ihre Stille. Der Einzelne darin durchaus einsam, aber nicht verlassen, nicht verloren, eher geborgen.
Welche dieser Klangwelten Bugge nun auf welche Weise umdeuten wird, welche Ideen ihm im Laufe des Abends selber kommen, wie er die Stimmung aufnehmen wird, die in der Christuskirche wohnt? Bugges Wunsch bisher: 1 Grand Piano.
Mehr nicht. Aber das war auch so, als er – der bereits mehrfach bei uns gespielt hat, in 2010 etwa sein epochales „It’s Swnowing on my Piano“, das hatte er zuvor erst 1 x live geboten – als er das letzte Mal bei uns war kurz vor Corona, auch da war zunächst nur der Flügel gewünscht. Ein paar Stunden vor dem Konzert klopfte dann die Elektronik an die Tür, als habe sie ihre eigenen Impulse entwickelt und improvisiere nun aus sich heraus …
Der Abend war groß, dieser wird es werden.