„Could be his last Hurrah“

Roger Waters und Claudia Roth. Und CTS Eventim

Roger Waters 2012 live bei “The Wall” by GabboT CC 2.0

Er ist der Brüllwürfel des BDS, die Türen größter Hallen stehen Roger Waters offen, und alle tun so, als hätte ihm niemals jemand jemals eine Tür geöffnet. Eine Situation wie vor der Documenta: viel Judenhass, niemand verantwortlich. Und wie in Kassel vergangenen Jahres ist es abermals Claudia Roth, die sich wegduckt unter ihrem Tisch, der im Kanzleramt steht. Dabei sind es kulturpolitische Entscheidungen gewesen, die zuerst die staatsfinanzierte und jetzt die privat riskierte Kultur in die BDS-Brühe führen. Und, wollte Roth dies denn, auch wieder hinausführen könnten. Ihr Partner in Crime: Klaus-Peter Schulenberg, der Mann, der Waters die Bühnen bereitet. | Von Thomas Wessel

„Antisemitismus ist nicht verschwunden, er ist frecher und lauter, als wir uns das je hätten vorstellen können in diesen Jahren, diesen Jahrzehnten nach der Shoah“, so der Vizepräsident des Zentralrats der Juden, Abraham Lehrer, im Dezember in der Synagoge Bochum: „In Köln, meiner Heimatstadt, soll im Mai Roger Waters auftreten, der Bassist von Pink Floyd, mit deren Musik ich groß geworden bin, die ich geliebt habe. Wir versuchen das zu verhindern.“

Ein realistischer Versuch? Ja. Erstens wegen Roger Waters, der sich seit Jahren selber radikalisiert, wer ihn bestellt, kriegt ihn serviert. Zweitens wegen Claudia Roth, die sich bescheinigen ließ, dass sie verpflichtet sei, Roger Waters auszubremsen. Drittens wegen CTS Eventim, dem Ticketportal, das mehr ist als das, ein Global Player auf dem Markt für Kultur, auf dem mit Judenhass gehandelt wird. Der Reihe nach:

Roger Waters

Der Brite hat sich früh der „Palestinian Campaign for the Academic & Cultural Boycott of Israel” (PACBI) angeschlossen, die sich, 2004 gestartet, als Gründungsmitglied des „BDS- Nationalkomitees“ versteht, das wiederum die Hetzkampage gegen Israel „anführt“ und in dem die milliardenschweren Terror-Clans von Hamas und PFLP ihre Leitungsfunktion ausüben. Für Juni 2006 hatte Waters noch ein Konzert in Tel Aviv angesetzt, dann aber wenige Wochen vorher angekündigt, es zu „verlegen“,  was er aber nur innerhalb Israels tat, am Ende spielte er auf einem Acker nahe Newe Schalom, einem jüdisch-muslimischen Dorf, das in den 70er Jahren als Versöhnungsprojekt gegründet worden war. Dieses Konzert an diesem Ort, so Waters damals, sei eine „Geste der Solidarität mit den Stimmen der Vernunft“, zu denen er selber je länger je weniger gezählt werden kann, einige Beispiele:

Ab 2010 ließ Waters in seinen Bühnenshows ein übergroßes Schwein  –  einen Keiler, auf dem der Davidstern neben dem Dollarzeichen, dem Kreuz und weiteren Symbolen stand, in denen Waters alles Böse dieser Welt zu erkennen meint  –  über die Köpfe seiner Audience fliegen, die eingeladen war, die böse Ballonluft eigenhändig abzulassen und Ballonfetzen wie eine Reliquie nach Hause zu tragen: „Das Schwein mit den Symbolen gibt es als Tour-Requisite seit den 1980er Jahren, der Davidstern allerdings war neu“, schreibt das Rolling Stone-Magazin über dieses, nun ja, Deutungsmodul.

Spätestens seit dieser „The Wall Live“-Tour, bis 2013 gespielt, ist allerorts bekannt, dass Waters seine Shows für BDS-Propaganda nutzt. Und für persönliche Beschimpfungen, 2018 zog er in Berlin von der Bühne herab gegen Felix Klein vom Leder, den Antisemitismus-Beauftragten der Bundesregierung, und in München gegen Dieter Reiter, den OB der Stadt: Reiter hatte Rogers „antisemitische Stimmungsmache“ attestiert und öffentlich erklärt, Waters Agitprop sei dieses Mal nicht zu verhindern gewesen.

„Dieses Mal“ ist knappe fünf Jahre her, Waters hat die Zeit genutzt: 2020 erklärte der Brite die Republik Israel verantwortlich dafür, dass 10 000 Kilometer entfernt George Floyd von einem US-Polizisten erdrosselt worden war. Wenig später nahm er die Behauptung zurück, indem er die antisemitische Trope bestätigte: Israel, teilte er mit, militarisiere sehr wohl die gesamte Welt („Israel’s militarizing influence on the U.S. and around the world“), allerdings sei just jene „Taktik“, mit der Floyd ermordet wurde, den US-Beamten schon zuvor bekannt geworden („since the first slave patrols“). In dem Punkt habe er, Roger Waters, sich „geirrt“.

Im vergangenen Jahr machte der Irrwitzige dann nicht etwa Putin verantwortlich für den Krieg, den der gegen die Ukraine führt, sondern Wolodymyr Selenskyi  –  der Präsident der Ukraine ist bekanntlich jüdisch  –  und Joe Biden, den Präsidenten einer bekanntlich ‚verjudeten‘ USA dafür, dass der Krieg gegen Putin andauere. Und es geht noch antisemitischer, im letzten Oktober erklärte Waters, eigentlich sei es die jüdische Demokratie, die einen Ausrottungskrieg führe: Israel, sagte der 79-Jährige, wolle nichts anderes als „eine weitere Intifada auslösen, damit sie daraus einen bewaffneten Konflikt machen können … damit sie sie einfach alle umbringen können … so they can just kill them all”.

Holocaust im Waters-Kopf. „Und so einem wollen wir ein Forum bieten?“ Die Frage hat Abraham Lehrer gestellt, sie geht, weil sie nach einem politischen Willen fragt, direkt an:

Claudia Roth

Die Foren nämlich, die Waters in Deutschland geöffnet werden, sind immens, zum Vergleich: Der Berliner Sportpalast, den Goebbels für seine antisemitische Hetze genutzt hat, verfügte über 10 000 Plätze, heute bieten die Barclays-Arena in Hamburg und die Olympiahalle München ebenso wie die Festhalle Frankfurt jeweils bis zu 15 000 Plätze, die Lanxess-Arena in Köln bis zu 20 000 und die Berliner Mercedes-Benz-Arena, in der Waters zweimal aufspielen will, bis zu 34 000. Die Rogers-Hörsäle in Berlin, Hamburg und Köln sind privat betrieben  –  die Kölner Lanxess-Arena von CTS Eventim  – , der in München ist in städtischer Trägerschaft und die Festhalle Frankfurt zu 60 % in städtischer und zu 40 % in der des Landes Hessen. Mit dieser diversen Trägerschaft wird eine weitere Dimension deutlich:

Erstmals in Deutschland greift der antisemitische BDS nicht im staatlich finanzierten Kulturbetrieb an, sondern greift über in den privat riskierten.

Das ist anders als bei allen großen BDS-Attacken der letzten Jahre, anders als 2017 bei der Pop-Kultur Berlin, anders als 2018 bei der Ruhrtriennale, 2019 beim Nelly-Sachs-Preis und 2020 erneut bei der Ruhrtriennale, anders auch als 2021 bei der Intendanten-Initiative „Weltoffenheit“ und 2022 bei der Documenta und dem Europäischen Dramatikerpreis. Bei der Waters-Tour jetzt geht es um eine privat riskierte Kultur  –  mit allerdings fließenden Übergängen in den staatsfinanzierten Bereich.

Eben dies ist das kulturpolitisch entscheidende Thema, will man dem antisemitischen BDS etwas entgegensetzen.

Roger Waters 2012 live by “The Wall” by Brennan Schnell cc 2.0

Die Staatsministerin für Kultur und Medien allerdings, die Grünen-Politikerin Claudia Roth, hat sich weggeduckt in der öffentlichen Debatte, die seit Jahren über Waters öffentlichen Hass geführt werden und seit Monaten darüber, wie der sich verhindern lasse. Roth, die beruflich selber dem Musikbusiness entstammt, ist derzeit noch entschwundener, als sie es in der Documenta-Debatte war, ein Phänomen, das sie im Nachhinein so erklärte:

 „Mir ist bewusst, dass es nicht reicht, wenn ich sage: Ich konnte nicht mehr tun. Auch wenn es objektiv stimmt. Vielleicht hätte ich bei den Diskussionen im Vorfeld der documenta-Eröffnung lauter und deutlicher sein sollen, sein müssen.“

Ob es tatsächlich „objektiv stimmt“, dass sie „nicht mehr tun konnte“ oder ob dies nicht „vielleicht“ doch ihre persönliche Entscheidung gewesen sein könnte, zu dieser Frage hat Roth ein Gutachten beauftragt, erstellt hat es der Staatsrechtler Christoph Möllers, der zuvor bereits die Pro-BDS-„Initiative Weltoffenheit“ beraten hat. Dieser Tage hat Roth ihr Möllers-Gutachten veröffentlicht, deutlich werde, so deutet Roth es selber, „wo staatliche Kulturpolitik eingreifen kann und darf und wo sie sich zurückhalten muss“.

Wo? Nicht auch wer? Im Gutachten geht es um „Verantwortungszurechnung“, Roth selber listet fünf Punkte auf, die hier von „besonderer Bedeutung“ seien, in immerhin einem dieser fünf Punkte geht es auch ihr um „Verantwortung“. Nicht ihre eigene, sondern die „der Kulturschaffenden gegenüber einer kritischen Öffentlichkeit“. Deren Verantwortung allerdings, schreibt Möllers, werde „in aller Regel im Nachhinein wirksam“. Anders bei der Rothschen, „politische Handlungsmöglichkeit und politische Verantwortung“ entstünden vor allem im Vorhinein, nämlich in der „politischen Planung von Kulturpolitik, die sich in Deutschland natürlich in besonderer Art und Weise der Verhinderung von Antisemitismus und Rassismus zu stellen hat.“

In diesem Vorfeld  –  und nebenbei bemerkt, wer einmal erlebt hat, wie in Kulturministerien Hof gehalten, wie geschmeidig da geliebedienert wird und gekatzbuckelt, gewinnt eine Ahnung davon, wie groß der politische Handlungsspielraum in diesem Vorfeld ist  –  hier also habe Claudia Roth „die Pflicht, Kulturinstitutionen (…) vor Antisemitismus zu warnen“. Diese politische Warnpflicht begründe sich durch eine wiederum „politische Entscheidung“, nämlich der, dass die Bundesrepublik eine „besondere Beziehung“ mit dem Staat Israel unterhalte.

Und das ist denn doch ein Schlag ins Kulturstaatskontor: Erstens weil Möllers den sog. israelbezogenen Antisemitismus ganz selbstverständlich einbezieht, zweitens weil vor BDS-Antisemitismus seit Jahren öffentlich gewarnt worden ist. Aber anstatt die Warnungen ernst- und aufzunehmen, wie es der Landtag NRW 2018 getan hat und der Bundestag 2019, hat Roth „nicht zugestimmt“ und BDS kleingeredet: Man dürfe, schrieb sie im Mai 2019 in einer „persönlichen Erklärung“, die BDS-Hetze „nicht pauschal“ verurteilen, man verunglimpfe sonst „weite Teile der palästinensischen Zivilbevölkerung“, blockiere „entwicklungspolitische Projekte“ und spiele „Netanjahu“ in die Hände. Es sind durch die Bank falsche, dennoch politische Argumente, Roth hat ihre „persönliche Entscheidung“ in just jenem Vorfeld getroffen, wo dem Gutachten zufolge, das sie beauftragt hat, ihre politische Verantwortung liegt.

Zu diesem Moment kommt ein zweites hinzu, für das Claudia Roth die politische Verantwortung trägt:

CTS EVENTIM

Veranstalter der Roger Waters-Tour ist die Agentur FKP Scorpio, die wiederum mehrheitlich zu CTS Eventim gehört, einer Aktien- und Kommanditgesellschaft AG & Co. KGaA, die durch die weitgehend risikofreie Vermittlung von Konzerttickets in drei Jahrzehnten mehr als groß geworden ist: CTS Eventim unter ihrem CEO Klaus-Peter Schulenberg zählt heute zu den drei Global Playern im internationalen Musikbusiness, ein Gigant mit monopolistischen Ansprüchen nicht nur in Deutschland.

Auch aus den Corona-Jahren  –  die Musikbranche lag brach und liegt es noch  –  ging CTS Eventim gestählt hervor und hat –  Bertold Seliger hat dies in einem Beitrag für Telepolis dankenswerterweise recherchiert   –  Rekordzahlen gemeldet, „die deutlich über den Vergleichswerten vor der Pandemie liegen. Der Konzernumsatz stieg im dritten Quartal 2022 auf 694 Millionen Euro (in III/2019 waren es noch 378 Mio. Euro), der Quartalsgewinn (normalisiertes EBITDA) lag bei 130 Millionen Euro. Für das gesamte Jahr 2022 erwartet CTS Eventim einen Rekordumsatz von 1,7 Milliarden und ein Rekordergebnis von mindestens 330 Millionen Euro – obwohl das erste Quartal 2022 coronabedingt noch schwach war.“

Noch erstaunlicher die Zahlen für das Jahr zuvor: „Laut ihrem Geschäftsbericht erzielte die Aktiengesellschaft im Corona-Jahr 2021 einen Gewinn (EBITDA) von 208 Millionen Euro  –  bei einem Umsatz von nur 408 Mio. Euro“. Woher das Geld stammt? CTS Eventim selber spreche von „erheblichen staatlichen Unterstützungsleistungen“, zitiert Seliger, nämlich von „rund 157 Millionen Euro an Corona-Hilfen der Bundesregierung“.

157 Millionen Euro Staatshilfen, 208 Millionen Euro Gewinn: CTS, so Seligers Einschätzung, sei „vermutlich der mit Abstand größte Corona-Profiteur in Deutschland“.

Dass die Corona-Hilfen für die Kultur solche Wege genommen haben  –  an den Künstlern vorbei  – , hat nicht Claudia Roth geplant, das haben eher Olaf Scholz (SPD), seinerzeit Bundesminister der Finanzen, und Monika Grütters (CDU) zu verantworten, Roths Amtsvorgängerin. An der politischen Verantwortung, die Möllers in seinem Gutachten herausgearbeitet hat, ändert dies nichts, sie liegt bei ihr.

Lanxess Arena Köln by GEDANKENtanken CC 4.0 (beschn)

Und beengt sie keineswegs, sondern eröffnet einen weiten politischen Spielraum. Die Situation:

  • Mitte Januar hat Benjamin Graumann, Vorstandsmitglied der Jüdischen Gemeinde Frankfurt/M, gefordert, den Vertrag zwischen Veranstalter und Festhalle zu kündigen: „Es ist möglich, dass nach einer solchen Kündigung Schadensersatzforderungen des Konzertveranstalters geltend gemacht werden“, schrieb Graumann in der JÜDISCHEN ALLGEMEINEN: „Das darf aber niemals ein Grund dafür sein, die falsche politische Entscheidung zu treffen.“
  • Zu der Option, das Konzert abzusagen und den Veranstalter ggf auszuzahlen, hat sich die Frankfurter Kommunalpolitik bekannt, hier auch die Kandidatin der Grünen für die im März anstehenden Oberbürgermeisterwahl, Martina Rottmann: „Es gibt keinen grundgesetzlich verbürgten Anspruch für einen Konzertveranstalter darauf, Veranstaltungen mit jedem Künstler seiner Wahl in der Festhalle durchzuführen“, erklärte sie: Die Inhaberin der Festhalle Frankfurt, „die Messe muss für die Zukunft sicherstellen, dass sie sich nicht mehr vertraglich bindet, wenn das nachweisbare Risiko besteht, dass die Festhalle für antisemitische Positionen oder die Infragestellung des Existenzrechts des Staates Israel als Bühne genutzt wird. Für den aktuellen Fall des geplanten Auftritts von Roger Waters muss sie sich vom Vertrag lösen. Ein Festhalten an diesem Vertrag ist nicht zumutbar.“
  • Würde an dem Vertrag festgehalten, profitierte CTS Eventim dreifach: als veranstaltende Konzertagentur, als Betreiber der Kölner Arena und als Tickethändler, in welchem Metier sich die größten Profite ernötigen lassen. Von einer Vertragsauflösung wiederum würde CTS Eventim angemessen profitieren. So oder so, Voraussetzung ist, dass der Bund die CTS-Gesellschaft mit Steuermitteln in dreistelliger Millionenhöhe durch die Corona-Jahre getragen hat.

Und das ist ein politisches Thema, es geht sowohl ums Kartellrecht  –  Berthold Seliger fordert seit Jahren die Entflechtung von Ticketing-Anbietern und Konzertveranstaltern  –  als auch um die Bedingungen, unter denen politische Öffentlichkeit hergestellt wird. CTS Eventim hat eine marktbeherrschende Position inne, so wie sich dieser Global Player verhält, entscheidet maßgeblich über die Zukunft des Kulturmarkts und also maßgeblich darüber, ob Antisemitismus als kultureller Code eine Zukunft hat. Es wird noch viele Roger Waters-Momente geben, seit Jahren ist vorstellbar, dass Tickets  –  warum nicht auch die von CTS-Künstlern, die an CTS-Akademien ausgebildet und von CTS-Agenturen vertreten werden und ihre Konzerttickets via CTS Eventim vertreiben, um dann in CTS-Hallen aufzutreten  –  mit dem BDS-Logo ausgegeben werden. Mühelos machbar, dass es Rabatte geben könnte oder Gewinnspiele für alle, die sich per Klick solidarisch erklären mit Antisemitismus oder dass BDS Teil eines VIP-Packages wird, wie CTS sie heute für Roger Waters schnürt und zu absurd verteuerten Preisen verkauft,  es ist alles unglaublich naheliegend.

Mit zuletzt 250 Mio Tickets pro Jahr  –  das sind 250 Mio Kundendaten pro Jahr  –  verfügt die CTS AG & Co. KGaA über eine ungeheure Gestaltungsmacht quer durch die gesamte Kulturbranche. Einschließlich Kino, einschließlich Sport, einschließlich Russland und einschließlich eines erheblichen Teils der öffentlich subventionierten Häuser hierzulande, die ihre Tickets über Eventim Inhouse veräußern und auf diese Weise nicht nur die teils absurden Provisionen für CTS eintreiben, sondern auch die Kundendaten ihres eigenen Publikums an CTS vermitteln. Ein Unternehmen muss all das gestalten können, CTS Eventim kann es, sie sind gut in dem, was sie tun, entscheidend für die Gestaltungsmacht von CTS ist etwas anderes: Sie ist mit reiner Emotionalität gefüttert, mit Vorlieben und Manien, mit Faibles und Passionen, die man für Künstler hegt und für Stile, für Farben und Formen, für Sportarten und Sportclubs und Gesangsvereine …

Dringend also  –  und dies ist Roths Amt – , CTS Eventim an den Tisch zu holen und deren Stakeholdern ihre eigene Melodie vorzusingen. Die geht so:

  • „Unternehmertum umfasst seit jeher mehr als nur Umsatz, Gewinn und Profitabilität.“ Der Satz eröffnete den ersten „nichtfinanziellen Konzernbericht“, 2017 vorgelegt, dem Jahr, in dem CTS erstmals mehr als 1 Milliarde Euro umgesetzt hat: „Wirtschaftlicher Erfolg ist nicht zuletzt das Ergebnis nachhaltigen, verantwortungsbewussten Handelns.“
  • Im nichtfinanziellen Konzernbericht 2019 stellte CTS sein „starkes gesellschaftliches Engagement“ heraus: Die kulturellen Events, die man ermögliche, „stiften Gemeinschaft und sind geeignet, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu verbessern. Viele Künstler wollen mit ihrer Arbeit auch einen persönlichen gesellschaftlichen Beitrag leisten. Indem CTS EVENTIM sie bei der Wahrnehmung ihrer sozialen Anliegen unterstützt, können alle Beteiligten öffentlichkeitswirksam für eine ‚gute Sache‘ eintreten.“
  • CTS EVENTIM, hieß es 2019 weiter, wolle seine „enorme mediale Präsenz“ dafür nutzen, ein Millionen-Publikum „für gesellschaftlich relevante Themen zu sensibilisieren“. Deutlich also: CTS Eventim ist sich seiner politischen Gestaltungsmacht bewusst, der Konzern wirbt mit ihr für sich.
  • 2021 schließlich –  zu diesem Zeitpunkt waren vier Dinge geklärt: erstens der Vertrag mit Roger Waters, zweitens die Gewähr, dass Waters von der Bühne herab antisemitisch agitiert, drittens, dass dies für CTS eine „enorme mediale Präsenz“ bedeutet und viertens, dass CTS „erhebliche staatliche Unterstützungsleistungen“ empfangen hat –  reklamierte Bernd Kundrun,  CTS-Aufsichtsratsvorsitzender, eine „ethische Unternehmenssteuerung“ für sich und verwies auf den „Code of Conduct“ seines Unternehmens, wo es heißt: „CTS EVENTIM garantiert Chancengleichheit und Gleichbehandlung unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit, Hautfarbe, Geschlecht, Behinderung, Weltanschauung, Religion, Nationalität, sexueller Orientierung, sozialer Herkunft oder politischer Überzeugung, sofern dies auf demokratischen Prinzipien und Toleranz gegenüber Andersdenkenden beruht.“

Lustig gebrüllt, wie passt das mit Waters zusammen, der Brüllbox des BDS, einer Kampagne, die von Terror-Cliquen angeführt wird, deren Unternehmenssteuerung darin besteht, Juden aus dieser Welt hinaus zu bomben? FKP Scorpio, die CTS-eigene Agentur, die Waters veranstaltet, hat sich bereits Anfang November von dessen Ansichten distanziert („problematisch“) und gleichzeitig erklärt, die Verträge seien unterzeichnet worden, bevor Waters „problematische“ Aussagen getätigt habe. Was ersichtlich Nonsens ist, keine Konzertagentur lebt auf dem Mond, wo man, Hannah Arendt zufolge, vor Antisemitismus sicher sei. Ist aber liebenswürdiger Nonsens, weil er deutlich macht, was sich verändert: Mehr und mehr wird BDS  –  nicht mehr nur im subventionierten Kulturbetrieb, auch im privat finanzierten –  als kaum kalkulierbares Risiko eingestuft.

Und das ist Roths Chance. Ein Zeitfenster: Noch lässt sich darauf spekulieren, dass ein Unternehmen, wenn es seinen Profit mit Antisemiten machen will, am Markt vorbei arbeitet. 2018, als Roger Waters tourte, wanden sich „viele Fans unbehaglich in ihren Sitzen“, kaum dass Waters in Israelhass abgetaucht war. Auch heute dürfte es den meisten Konzertbesuchern peinlich sein, bei einer von Waters Suaden gesehen zu werden. Noch ist das so, Roth könnte handeln, sie hätte eine breite Öffentlichkeit hinter sich, sie könnte CEO Schulenberg plausibel machen, dass es keine gute Promo sei für ein Kultur-Unternehmen, mit Meet an anti-Semit Geld zu verdienen.

Dass es aber mega-gute Promo wäre, zahlte CTS den Mann, den es sich, eingedeckt mit Steuergeldern, selber eingebrockt hat, nun auch selber aus.

„This Is Not A Drill“, heißt die Waters-Tour, dies ist keine Übung, sondern der Ernstfall. Nicht der von Waters, der von Roth. „Could be his last hurrah“  –  mit dem Satz hat der 79jährige Waters seine Propagandashows selber angepriesen. Hurrah-Antisemitismus aber lässt auf keine biologische Lösung hoffen, nur eine politische.

Thomas Wessel

Beitrag zuerst erschienen auf ruhrbarone.de