Ermittlung in eigener Sache
BDS, das iranische Regime und wir
Im Oktober bin ich symbolisch erschossen worden vor der Christuskirche. Im November wurden Brandanschläge verübt auf die Synagogen in Bochum, Essen sowie, dort geplant, in Dortmund. Im Dezember gab es erste Berichte, hinter den Brandanschlägen stecke der iranische Geheimdienst. Dass der in Deutschland agiert, ist seit Jahren bekannt. Ebenso, dass er ein besonderes Interesse an „(pro-)jüdischen und (pro-)israelischen Einrichtungen“ hegt. Sagt die Bundesregierung. Die Bochumer Staatsanwaltschaft weigert sich, in diese Richtung zu ermitteln, ihre Begründung ist trostlos. Dies ist eine Geschichte über BDS, Boston und Bochum. Und darüber, was das mit den iranischen „Revolutionswächtern“ zu tun haben dürfte. Und warum dies Iraner, die gegen das Terror-Regime protestieren, so gar nicht wundert.
Geschehen ist dies: Am 19. Oktober vergangenen Jahres verlies ich gegen 22 Uhr mein Büro, es liegt unmittelbar neben der Christuskirche Bochum, und ging, ein milder Herbstabend, über den angrenzenden Platz Richtung Rathaus, als mir eine Person entgegen kam, die, kurz bevor auf gleicher Höhe, einen Ausfallschritt macht zu mir hin, den Arm vorgestreckt, die Hand zur Pistole geformt, den Zeigefinger zentimeternah auf meinen Bauch richtet und, lautmalerisch gekonnt, den Sound von drei Schüssen imitiert. Die Person: ein Mann vielleicht Mitte 30, arabischer Phänotyp, gepflegte Erscheinung, kurzgeschnittenes Haar, getrimmter Bart, durchaus bürgerlich gekleidet und etwas kleiner als ich, sie geht weiter, dreht sich um, sagt etwas in einer fremden Sprache und lacht.
Surreale Begegnung. Bedrohlich deshalb, weil sie sich mit nichts verknüpfen lässt, was man aus dem urbanen Alltag kennt. Weniger vergrübelt die Einschätzung meiner Frau: „Das galt Dir.“ Am nächsten Tag zwei konzentrierte Kripo-Beamte, auch sie hielten es für denkbar, dass die Drohgeste mir gegolten haben könnte bzw. der Christuskirche, der wohl größten Kulturkirche in Deutschland, deren Programm ich verantworte. Und natürlich hatte ich die Beamten darauf hingewiesen, dass diese Kirche ein Ort politischer Kultur sei, deren Positionen öffentlichen Zu- und Widerspruch finden. Es gibt bundesweit nicht viele Veranstalter, die sich weithin erkennbar gegen BDS stellen und dessen Ziel, Israel zu eliminieren, aber eine Morddrohung?
Das Mapping Project des BDS
Die Möglichkeit einmal durchgespielt: Vier Monate vor dieser Begegnung in Bochum ist in Boston/Massachusetts das „BDS Mapping Project“ publik gegangen, eine interaktive und grafisch hochpolierte Karte, auf der 497 Personen und Körperschaften lokalisiert sind, die BDS-Boston dem „local support for the colonization of Palestine“ zurechnet. Eine „visualisierte Zielliste“, so Stefan Frank auf mena-watch, mit der BDS dazu aufruft, die pointierten Firmen, Kultur- und Bildungsinstitute, Sozialeinrichtungen, Synagogen und Stiftungen, auch polizeiliche und militärische Einrichtungen nicht lediglich zu boykottieren, sondern „zu zerschlagen“ („to dismantle them“). Solches Targeting covert Nazi-Methoden, in der US-Nazi-Szene wird die Zielliste herumgereicht. Wobei diese Ziele keineswegs nur jüdisch sind, wie das American Jewish Committee (AJC) betont: Das Mapping Project mache anschaulich, dass Antisemitismus „isn’t just a Jewish problem“. Für Juden allerdings bedeutet dieses Targeting unmittelbare Lebensgefahr, allein in Massachusetts hat es zwischen 2019 und 2021 zwei Brandanschläge auf die Chabad-Zentren in Arlington und Needham gegeben, einen versuchten Bombenanschlag auf ein jüdisches Pflegeheim in Longmeadow und einen Mordversuch in Brighton: „Es war Glück, dass niemand bei diesen Anschlägen getötet wurde“, so Frank, „die Brandsätze wurden rechtzeitig entdeckt, die Bombe zündete nicht, und Rabbi Noginski überlebte die acht Messerstiche.“
BDS und der Iran
Eine “roadmap to anti-Jewish violence” sei dieses Mapping Project, schreibt die JERUSALEM POST, rund um das BDS-Projekt wird zur „Intifada“ aufgerufen, zum bewaffneten Aufstand. Was dem Lenkungsausschuss der internationalen BDS-Kampagne denn doch zu offenbar wurde: Das BDS-Nationalkomitee – BDS ist eben keine lose Bewegung, sondern eine gelenkte Kampagne – distanzierte sich nach einigen Wochen vom Mapping Project seiner Ortgruppe Boston und forderte diese schriftlich auf, entweder auf das BDS-Logo oder ihr Terror-Projekt zu verzichten.
Nun sitzen diesem BDS-Lenkungskomitee selber 15 palästinensische Terror-Gruppen vor, das Ganze wirkt so, als wollten diese das lukrative Terror-Geschäft – allein das Vermögen des Killers, der die Hamas anführt, Khaled Mashal, wird auf 2,5 Milliarden Dollar geschätzt – für sich behalten und für BDS das Label „gewaltfrei“, das ähnlich einem Spendensiegel funktioniert, es legitimiert immense internationale Hilfsgelder. Gerade weil die Übergänge fließend sind zwischen BDS und Terror, ist das BDS-Lenkungsorgan ums Image bemüht, und eben hier scheint der Iran eine andere Strategie zu verfolgen:
Es gibt – Stefan Frank hat sie hier und hier analysiert – eine Reihe Hinweise darauf, dass der Iran selber hinter dem Mapping Project steckt. Wenn, hieße dies, dass sich hier, an diesem Übergang von Terrorphilie zum Terrorakt, ein Bündnis von BDS-Aktivisten und dem iranischen Regime zusammenfindet. Und dass der Iran – seit langem als Terror-Finanzier bekannt – eine Zielkarte für Aktivisten erstellt hat, die sich aus der BDS-Kampagne rekrutieren. Aktivisten, die nicht nur passiv boykottieren, sondern „zerschlagen“ wollen und also, gleichsam freie Mitarbeiter des iranischen Regimes, nicht erst angeworben, nur ausgerichtet werden müssen.
Auffällig jedenfalls, wie schnell und entschieden das Mapping Project in Boston nicht nur von zahlreichen BDS-Gruppen im angelsächsischen Raum aufgegriffen worden ist und nicht nur von Terror-Propagandisten wie Samidoun, die zur PFLP rechnen, sondern ebenso von staatsoffiziellen Medien des Iran: Press TV, staatlicher Auslandssender des Regimes, englischsprachig, hat das Mapping Project mehrfach präsentiert (zB hier) und die Terror-Strategie von BDS-Boston öffentlich gestützt gegen die scheinbar gewaltfreie Strategie der BDS-Zentrale. Die Begründung, die Press TV dafür liefert: Das Mapping Project führe – dies sei der „key point“ – nicht nur jüdische Ziele auf, sondern alle Einrichtungen und Personen, die für Israels Existenz eintreten, „every one that is mentioned is directly involved in pro-Israel advocacy“. Daher, so das staatsiranische Press TV, sei es völlig legitim, auch christliche Einrichtungen ins Fadenkreuz zu nehmen: „It is perfectly legitimate to target Jewish groups that support Zionist crimes, just as it is to target Christian groups that do the same”.
Quds Force im Ruhrgebiet
Das Mapping Project müsse international aufgezogen werden, fordert die Stimme des Terrorstaates. Zwischen Boston und Bochum liegen 3500 Kilometer, sie entsprechen der gefühlten Distanz, die sich zwischen BDS und meiner symbolischen Exekution auftut. Vier Wochen später:
– In der Nacht vom 17. auf den 18. November wird auf das Rabbinerhaus, das an die Alte Synagoge Essen anschließt, vier Mal scharf geschossen.
– In derselben Nacht wird ein Brandanschlag auf das Schulgebäude verübt, das neben der Synagoge Bochum steht.
– Kurz darauf wird bekannt, dass für diese Nacht ein Brandanschlag auch auf die Synagoge Dortmund geplant gewesen, dann aber nicht durchgeführt worden ist.
– Anfang Dezember berichtet das ARD-Magazin “Kontraste”, die Ermittlungsbehörden vermuteten, dass hinter den Anschlägen in Essen, Bochum und Dortmund die iranischen Revolutionsgarden stünden, die Islamic Revolutionary Guard Corps (IRGC) und hier deren militärische Spezialeinheit für Auslandseinsätze, die Quds Force.
Die Revolutionären Garden der IRGC, die sich als „Revolutionswächter“ vermarkten, sind die wirtschaftlich mächtigste Institution des Iran, ein Staat im Staate, sie dominieren nicht zuletzt den Mediensektor und regieren, was es an Öffentlichkeit gibt im Iran. Dass deren Elite-Einheit, die Quds Force, in den USA und Europa aktiv ist, wissen ermittelnde Behörden seit Jahren. 2019 bereits hatten die USA die Quds Force, immerhin eine Abteilung des iranischen Regierungsapparates, zur „terroristischen Organisation“ erklärt; in den Niederlanden werden ihr zwei Morde zugerechnet, dazu eine Reihe versuchter Anschläge in Frankreich und Dänemark und zuletzt in Griechenland und auf Zypern. In Berlin ist 2017 der pakistanische Student Syed Mustafa H. zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden, er hatte – im Auftrag der Quds Force – den damaligen Präsidenten der Deutsch-israelischen Gesellschaft, Reinhold Robbe, ausspioniert. Januar 2018 hatte FOCUS berichtet, die Quds Force sei „in Berlin, Düsseldorf, Bochum, Darmstadt und Weilheim aktiv“, zehn ihrer Mitglieder seien enttarnt, die Bundesanwaltschaft ermittele usw. Seit langem also deutlich, dass, so die Bundesregierung im Januar 2019, iranische Killer-Kommandos in Deutschland operieren und dass
„(pro-)jüdische beziehungsweise (pro-)israelische Einrichtungen in Deutschland sowie einzelne exponierte, für diese Einrichtungen tätige Personen im besonderen Fokus der Quds Force stehen“.
Diese Ziele, so die Erkenntnis der Bundesregierung im Februar 2023, stellten „das zentrale Betätigungsfeld der IRGC Quds Force in Deutschland“ dar. Auch in Nordrhein-Westfalen, im jüngst vorgestellten Verfassungsschutzbericht des Landes NRW für 2022 heißt es, die Aktivitäten von “Angehörigen und Unterstützern“ der iranischen Terror-Elite „haben im Berichtsjahr zugenommen.“ Doch ein Zusammenhang?
„Bochumer Menschenrechtspreis“
Es sind die gleichen, nämlich pro-israelischen Ziele, die BDS und Quds Force verfolgen und ist die gleiche Methode, mit der sie ihre Ziele finden, durch das Zusammentragen von Informationen. Die Schnittmenge, die sich in Sachen Christuskirche Bochum ergibt, ist nicht ohne:
Dass wir gegen BDS stehen, wurde spätestens 2018 weithin publik, als wir Stefanie Carp, damalige Intendantin der Ruhrtriennale, und deren beharrlichen Support des BDS entknäult haben. Seitdem zieht sich das Thema BDS/Christuskirche/Ruhrbarone mit öffentlicher Aufmerksamkeit durch.
Zuvor aber ist die Christuskirche auch schon unmittelbar gegen den Iran auffällig geworden: Zwischen 2011 und 2014 haben wir den „Bochumer Menschenrechtspreis“ ausgerichtet, den Iran Freedom verliehen hat, eine exil-iranische Initiative in NRW, die für einen demokratischen Iran kämpft, seinerzeit unterstützt von Amnesty International – die altgediente NGO war da noch nicht auf jenem BDS-Trip unterwegs, auf dem sie sich heute verloren hat. Mit dem Bochumer Menschenrechtspreis haben wir in der Christuskirche geehrt:
– Khadijah Moghaddam, Gründerin der Initiative „Mütter vom Laleh-Park“, die Initiative ist selber wie eine Mutter für die Rebellionen all der Töchter und Enkel, die heute ihr Leben riskieren für einen demokratischen Iran,
– die Laudatio hielt Shirin Ebadi, 2003 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Ebadi hielt ein Grußwort und Laudationes auch in den Folgejahren, als
– Shahrokh Zamani ausgezeichnet wurde, 2015 erlag der Gewerkschafter seiner Folterhaft (wegen angeblichen „Schlaganfalls“),
– Javi Hutan Kian, der Rechtsanwalt wurde aus der Folterhaft erst entlassen, nachdem er totkrank geprügelt worden war,
– Maedeh Ghaderi, die nur unter enormen Risiken – und dank der Öffentlichkeit, die der Bochumer Preis herstellen konnte – aus dem kurdischen Teil des Irans zu ihrer Ehrung und damit in die Freiheit entkommen war, sie arbeitet heute als Menschenrechtsanwältin in Frankfurt.
„Ein Einschüchterungsversuch“
Den Bochumer Menschenrechtspreis gibt es nicht mehr, unter dem Druck iranischer Geheimdienste sind alle exil- iranischen Netzwerke zum Zerreißen gespannt. Es ist – diesen Vergleich ziehen viele Exil-Iraner – wie in den letzten Jahren der DDR, als deren Stasi allüberall war und nirgends. Allerdings hatte der Menschenrechtspreis in der Christuskirche – nicht zuletzt dank des Supports durch die Schauspielerin Jasmin Tabatabai, die Journalistin Golineh Atai, den Tombak-Spieler Mohammad Reza Mortazavi, die Künstlerin Parastou Forouhar, den Dichter und Satiriker Hadi Khorsandi uvam – Aufmerksamkeit gewonnen auch in englischsprachigen Medien, auch in persisch-sprachigen und eben auch in solchen, die unmittelbar zum Trust der IRGC gehören und hier vor allem in Enghelab-News.ir
Die Erwähnung des Bochumer Preises in Organen der IRGC sei „alles andere als freundlich“ gewesen, sagt Neda Farrokh, sie hatte für Iran Freedom die monatelangen Vorbereitungen der Preisvergabe geleitet und mit uns abgestimmt. Entscheidend aber ein anderes, das Markiertwerden, das Targeting: Mit dem Hinweis, dass es diesen Menschenrechtspreis in Bochum überhaupt gebe, so Farrokh, „steht man auf der Liste“.
Bedeutet was? Dass man „ab und zu observiert“ werde, so Farrokh, ein solches Ausspähen erfolge oft „betont demonstrativ“, dies sei eine Alltagserfahrung in der exil-iranischen Szene, die sich in Deutschland nicht sonderlich geschützt fühlt. Farrokh schildert einige solcher Stasi-gleichen Situationen, in denen die, die ausspähen, erkannt werden wollen – demonstrativ in der Einfahrt geparkte Autos, darin zwei Männer, unbeteiligt rauchend, nach einer Stunde fahren sie zu ihrem nächsten Termin; Leute, die – für Iraner als Iraner erkennbar – auf Demos gegen das Terror-Regime beiseite stehen, unbeteiligt filmend; das im Gedränge solcher Demos kurz vorgezeigte Messer, quasi das Pendant zu der symbolischen Pistole, die mir gezeigt worden ist usw.: Alles sei „immer beides“, so Farrokh, sei sowohl lesbar wie ungriffig. Die taz berichtet dieses Beispiel: Am 24. Oktober – fünf Tage nach meiner Begegnung in Bochum – geht Ozi Ozar in Berlin spazieren, zwei Tage zuvor hatte die 29jährige eine Demo für einen freien Iran mitorganisiert, jetzt kommt sie in ihre Wohnung zurück, die seltsamerweise „hell erleuchtet ist. Der Passwort-Schutz auf dem Computer wurde aufgehoben, ein Chat- und ein Videoschnitt-Programm sind geöffnet. (…) Alle Wertsachen seien noch da und an der Eingangstür keine Einbruchsspuren zu erkennen gewesen. Es ist eine Aktion, die Ozar dem iranischen Geheimdienst zuordnet: ‚Ein Einschüchterungsversuch‘.“
Dies auch die Reaktion von Neda Farrokh, als ich ihr von meiner symbolischen Exekution erzähle: „Völlig klar, ein Einschüchterungsversuch, politisch motiviert“. Steht die Christuskirche auf der Liste?
„Nehmen Sie es mir nicht übel“
Völlig klar, dass die iranischen Revolutionsgarden keine Mühen haben zu begreifen, wo die Schnittmenge liegt, wenn wir uns für das demokratische Israel engagieren ebenso wie für einen demokratischen Iran und eben darum auch – der Iran ist Finanzier ua der Hamas – für eine demokratische Republik Palästina. Der analytische Schlüsselbegriff heißt liberale Demokratie und nicht etwa postkolonial oder anti-imperial oder anti-zionistisch oder was immer.
Ebenso klar, dass sich dieses Gefühl der iranischen Machthaber, man werde von außen wie innen durch Demokratie bedroht, massiv verstärkt hat, als im Herbst 2022 – Jina Mahsa Amini wurde am 16. September 2022 zu Tode geprügelt, vier Wochen vor meiner symbolischen Exekution, acht Wochen vor den Brandanschlägen im Ruhrgebiet – die anhaltende Revolte gegen das Regime begann. Eine, von der die IRGC behauptet, ausländische Mächte hätten sie angezettelt. Jetzt schlägt das Regime nach allen Seiten aus, indem es demonstriert, dass es jederzeit Anschläge verüben könnte.
Im Februar berichtete die französisch-jüdische Journalistin Catherine Perez-Shakdam, die 2017, ausgestattet mit einer wasserdichten Legende, den „Obersten Führer“ des Iran, Ayatollah Ali Khamenei interviewt und Zugang in innerste Kreise des Terror-Regimes gefunden hatte, dass der Iran tatsächlich ein eigenes Mapping Project betreibe mit dem Ziel, jüdische Persönlichkeiten weltweit zu identifizieren und „all the prominent NGOs run by Jews“. Es wäre ein Kurswechsel, so sieht es Peter Neumann, Sicherheitsexperte, im Gespräch mit der JÜDISCHEN ALLGEMEINEN: „Bislang richteten sich die terroristischen Aktivitäten des Iran im Ausland in erster Linie gegen Oppositionelle. Sie waren also in gewisser Weise eine Fortführung der Innenpolitik mit brutalen Mitteln. Jetzt aber werden – falls die Berichte zutreffen – auch jüdische Ziele in Europa angegriffen. Das hat mit iranischer Innenpolitik nichts mehr zu tun, eher mit antisemitischer Ideologie.“
Und darum mit einem politischen Kalkül, das man als BDS-affin bezeichnen kann: Das Mapping Project des BDS, womöglich angeleitet vom Iran, weitet die möglichen Ziele terroristischer Attacken aus. Wenn nun aber überall da, wo wer an Israels Seite steht, Anschläge drohen, könnte die Solidarität mit dem jüdischen Staat tatsächlich zügig zerbröseln. Gerade auch in Deutschland, wo „Israel-Solidarität“ selten politisch begründet wird, also mit eigenen Interessen, stattdessen moralisch. Moral hat immer ein MHD, die Mindesthaltbarkeit endet, wenn der Ärger mit den Juden beginnt zu nerven. Das jedenfalls die jüdische Erfahrung des vergangenen Jahrhunderts, wie man sie etwa bei Hans Keilson nachlesen kann: „Nehmen Sie es mir nicht übel, aber immer dieser Ärger mit den Juden“, sagt da einer, ein Kirchenmann, der den untergetauchten Keilson eigentlich unterstützen will, Keilson erinnert dies als Kipp-Moment: „Ich habe noch nie einen Nicht-Antisemiten so sprechen hören.“
Iran + BDS, Boston + Bochum
Im Frühjahr dann schält sich eine Geschichte heraus, die, wäre sie ein Storyboard, es an keinem Pförtner vorbeigebracht hätte, es geht um die Anschläge auf die Synagogen in Bochum, Essen und Dortmund:
Szene 1: Ramin Y., diversen Medien zufolge Ramin Yektaparast, 1988 in Mönchengladbach geboren, Deutsch-Iraner, einst eine Nummer bei den „Bandidos“, dann bei den „Hells Angels“, seit 2014 unter Mordverdacht, er hat sich nach Teheran abgesetzt und soll dort zum Kopf einer terroristischen Zelle geworden sein, die in Deutschland operiert: „Innerhalb der Gruppierung (‚Operativteam‘) nahm Y. in Zusammenarbeit mit einer staatlichen Stelle im Iran, den Quds-Kräften der Revolutionsgarde, eine koordinierende Funktion ein“, teilte der Bundesgerichtshof (BGH) am 16. Mai mit.
Szene 2: Babak J., 35, Deutsch-Iraner aus Dortmund, seit November in U-Haft, seit Anfang Mai vom Generalbundesanwalt (GBA) angeklagt wegen versuchter Brandstiftung. Auf Aufforderung von mutmaßlich Ramin Yektaparast, so der GBA, „warf J. am späten Abend des 17. November 2022 einen Molotow-Cocktail gegen einen Gebäudeteil einer Schule in B., deren Gelände an den rückwärtigen Bereich der dortigen Synagoge grenzt“. Mit „B“ ist hier Bochum gemeint, mit „späten Abend“ etwa 23 Uhr. Babak J. sei, so haben es Ibrahim Nabert und Lennart Pfahler für die WELT recherchiert, “als netter, gut integrierter Mann“ bekannt, er war wohl lange Jahre in der Marketingbranche beschäftigt und dann auf seinen Portalen als zunehmend radikaler Israel-Hasser und Fan der Quds Forces erkennbar. Mit Ramin Yektaparast wiederum sei Babak J. durch Anteile und wenig durchsichtige Überschreibungen an Firmen verbunden, die in Essen gemeldet seien.
Szene 3 : Angeklagt ist Babak J. nicht nur wegen versuchter Brandstiftung, sondern auch wegen versuchter Anstiftung zum Brandanschlag: „Am 16. November 2022“, so die Bundesanwaltschaft, „forderte er einen Bekannten auf, gemeinsam mit ihm die Dortmunder Synagoge mit Hilfe eines sogenannten ‚Molotow‘-Cocktails in Brand zu setzen. Dieses Ansinnen lehnte der Bekannte ab“, er wandte sich an die Polizei, seitdem gehen die Ermittlungen in Richtung Iran.
Szene 4: N.N., wohnhaft in Essen und vom Generalbundesanwalt verdächtigt, die Schüsse auf die Synagoge in Essen abgegeben zu haben: „Spätestens ab Juni 2022 schloss sich der Beschuldigte mit dem sich seit dem Vorjahr in der Islamischen Republik Iran aufhaltenden Mitbeschuldigten Y. (i.e. Ramin Yektaparast; thw), einem weiteren Mitbeschuldigten sowie dem gesondert Verfolgten J. (i.e. Babak J.; thw) zusammen, um in Deutschland Anschläge auf Synagogen und gegebenenfalls andere jüdische Einrichtungen zu verüben. In der Nacht vom 17. auf den 18. November 2022 feuerte er mit einer scharfen Schusswaffe in Y.s Auftrag mehrfach auf das Rabbinerhaus der Alten Synagoge E. …“ Es war dann eben dieser N.N., der Beschwerde eingelegt hatte dagegen, dass im Zuge der Ermittlungen gegen ihn zwei Wohnungen durchsucht worden sind; die Ablehnung der Beschwerde hat der BGH am 16. Mai begründet, daher nun dieser öffentlich geweitete Einblick in den Ermittlungsstand.
Szene 5: X.Y., über ihn, den vierten Verdächtigen, ist öffentlich derzeit nichts bekannt.
Die Behörden sprechen von einem „vergleichsweise geringen Organisationsgrad“ dieser terroristischen Zelle, der mutmaßlich wohl deutlich mehr als vier Personen zugehören. Es ließe sich auch von einer vergleichsweise geringen Professionalität einer solchen Zelle sprechen, die Bundesanwaltschaft erwähnt jedenfalls, Babak J. habe „aus Furcht vor Entdeckung“ davon abgesehen, die „gut überwachte Synagoge in Bochum“ anzugreifen und sich stattdessen für die Hildegardis-Schule nebenan entschieden. Nur dass eben dies – Furcht, unprofessionelles Agieren, ersatzweises Handeln – die Sache für weniger gut überwachte Ziele umso gefährlicher macht: Die „umfangreichen Ausspähungsaktivitäten“ der Quds Force, wie im NRW-Verfassungsschutzbericht erst jüngst wieder festgestellt, richteten sich insbesondere gegen „exponierte Unterstützer“ des Staates Israels. Weil die „higher-level assassination plots“ – so formuliert es Matthew Levitt, vielfach zitierter US-Experte – sich nicht mehr so leicht erzählen ließen wie noch vor ein paar Jahren, wende sich die Quds Force “weicheren Zielen” zu. Dies sei der Zeitpunkt, so Levitt, „an dem die Anschläge auf Juden ins Spiel kommen”.
Es ist der Zeitpunkt, an dem das Mapping Project des BDS ins Spiel kommt, jenes offene Bündnis zwischen BDS und dem Iran, über das die iranische Staatspresse öffentlich geurteilt hat, es sei an der Zeit „to target Christian groups“.
„Geeignete Ermittlungen“
Die scheinbare Gefahrlosigkeit, die so ein weiches Ziel verspricht, wie wir es sind, scheint sich nun allerdings abzupauschen auf die ermittelnden Behörden, jedenfalls auf die in Bochum. Die hiesige Staatsanwaltschaft hatte das Verfahren wegen Bedrohung Anfang Dezember eingestellt, „da ein Täter nicht ermittelt werden konnte“, aber zugleich erklärt, dass, sollten sich neue Anhaltspunkte ergeben, „die Ermittlungen wieder aufgenommen“ würden. Im April hatte ich ihr mitgeteilt, dass die Medienberichte, der iranische Geheimdienst stecke hinter den Anschlägen auf die Synagogen im Ruhrgebiet, in der Tat neue Anhaltspunkte böten und hatte die Bezüge, die den Protest gegen das iranische Regime mit der Christuskirche verbinden, detailliert aufgeführt. Antwort der Staatsanwaltschaft Bochum:
„Sie haben in ihrer damaligen Vernehmung angegeben den Täter nicht wiedererkennen zu können. Eine eindeutige Zuordnung zwischen Tat und Täter ist nicht gegeben.“
Ermittlung eingestellt. Als sei mit dem Licht, das der Generalbundesanwalt auf die Quds Force wirft, nicht auch ein Licht auf die Täterbeschreibung gefallen, die ich im Oktober beigesteuert hatte. Oder missfällt gerade dieses Licht? Im Januar – einen Monat, nachdem die örtliche Staatsanwaltschaft mitgeteilt hatte, dass „kein Täter ermittelt werden konnte“ – hat das EU-Parlament endlich gefordert, die IRGC auf die EU-Terrorliste zu setzen, seitdem zaudert die Bundesregierung nur noch mehr: Voraussetzung für diesen Schritt, so hat es das von Annalena Baerbock (Grüne) geführte Auswärtige Amt jetzt erklärt, seien „Urteile gegen die IRGC aus einem EU-Staat“ – die es längst gibt – oder aber „geeignete Ermittlungen“. Die es nicht gibt?
Oder doch geben soll? Man wolle den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 16. Mai “prüfen”, so Baerbocks Amt, ob sich mit den jüngsten Einsichten über die iranischen Aktivitäten im Ruhrgebiet – also den Versuch, drei Synagogen in einer Nacht abzufackeln – “Anknüpfungspunkte für eine Neubewertung ergeben”. Sonderlich motiviert klingt das nicht, die deutsche Iran-Politik, sagt Bijan Djir-Sarai, Generalsekretär der FDP, sei seit langem “gefährlich naiv”. Gefährlich für iranische Oppositionelle, gefährlich für Israelis, längst aber auch gefährlich für Juden weltweit und jüdische Gemeinden in Deutschland und jetzt auch gefährlich für “Christian groups” und andere “weiche Ziele”, die Demokratie den Vorzug geben vor Terror.