Roter Teppich für BDS ist wie der ECHO für Kollegah
Ruhrtriennale retten, Podium abblasen
Stand der Dinge: Stefanie Carp, Intendantin der Ruhrtriennale, hatte dem Landtag im Juli angekündigt, sie bereite anstelle des Auftritts einer BDS-Band eine Veranstaltung mit Norbert Lammert vor. Dieser Tage hat sie das Ergebnis ihrer Planung vorgestellt: Lässt sich eine politische Vernunft darin erkennen, eine politische Ethik?
Das Setting einmal durch dekliniert: Thema des Podiums sei, so der offizielle Text, „das Spannungsverhältnis von Meinungsfreiheit und Freiheit der Kunst mit persönlicher und gesellschaftlicher Verantwortung im Kontext der deutschen Geschichte“.
Ein weit gespanntes Panorama, man würde – schon weil Norbert Lammert moderiert, neben ihm Kulturministerin und Ex-Kulturminister – einen renommierten Verfassungsrechtler an ihrer Seite erwarten oder Großhistoriker wie Heinrich August Winkler und schaut sich die Besetzungsliste an:
Alain Platel und Elliott Sharp, die beiden experimentellen Künstler, konnten ihr Berufsleben lang tun und sagen, was immer sie tun und sagen wollten. Anders Stefanie Carp: Die „Spannung“ zwischen „Meinung“ und „Verantwortung“ ist ihr akutes und sehr persönliches Problem. Carp ist das eigentliche Thema des Podiums, das sie arrangiert, nur dass sie den „Diskurs“ vertikal verschoben hat: Wo es um sie geht, gehe es nun um „Freiheit Verantwortung Geschichte“. Theologisch müsste man von einer Verklärung sprechen.
Auch horizontal hat Carp die Kulisse geschoben, das Thema der letzten acht Wochen – Antisemitismus – ist verschwunden, jetzt geht es um – Pro und Contra? nichtmals das, sondern – um „Sinn und Legitimation von Boykott-Strategien im Bereich der Kultur“.
Wieder ein global verallgemeinertes Thema, wieder ließe sich erwarten, dass eine Bühne bereitet würde für Leute, die etwas vom Thema verstehen:
Shirin Ebadi beispielsweise oder Ai Weiwei oder Fazil Say, die mit Lammert darüber diskutierten, ob der Kulturboykott eines autoritär regierten Landes – Iran, China, Türkei – der zivilen Gesellschaft dort eher schadet oder nützt.
Wieder ein Blick auf die Besetzungsliste: Sharp boykottiert Israel, Platel boykottiert Israel. Diskutiert werden soll der Boykott demokratischer Kultur.
Nicht sehr elegant, dieses Verwirrspiel, der Hintergrund ist klar: Es ist der Versuch, die Ruhrtriennale davor zu bewahren, zum ECHO der Staatskultur zu werden.
Die Absicht ist richtig, die Frage ist, ob sich das Ziel auf diese Weise erreichen lässt. Auf der Kostenseite stehen 10 Positionen:
1. BDS wird Hochkultur.
Platel zählt zu den Erstunterzeichnern der belgischen BDS-Deklaration, er sieht sich selber im „Widerstand gegen die Besatzungs-, Kolonialisierungs- und Apartheidpolitik der israelischen Regierung“, weigert sich, in Israel aufzutreten oder „an irgendeiner Form von Kooperation oder kultureller Zusammenarbeit oder an gemeinsamen Projekten mit israelischen Kulturinstitutionen teilzunehmen“, er erklärt, dass er israelische Kulturinstitutionen „auf internationaler Ebene“ boykottiere und ganz wie die „Young Fathers“ „jegliche Form von finanzieller Unterstützung oder Subvention“ durch israelische Institutionen ablehne, während er palästinensische Kultureinrichtungen vorbehaltlos unterstütze auch dann, wenn sie eine „Partnerschaft“ mit Israelis verweigern.
Ähnlich Sharp, auch er unterstützt die Boykott-Kampagne aktiv, spricht von „Kolonialismus“ und „Apartheid-System“, davon, dass Israel „ein Fehler“ sei und „Juden denken, dass sie ein Leidensmonopol haben, aber die Welt ist mit zu vielen Holocausts gefüllt“.
BDS ist eine üble Kampagne, ihr wird nun erstmals in Deutschland eine staatliche Bühne bereitet. Der Empfang ist hochrangig, eingeführt wird BDS als Kapazität für die Frage nach Freiheit, Verantwortung, Geschichte.
2. BDS verschafft Karrierevorteil.
Die beiden Künstler auf dem Podium sind nicht als Künstler geladen, die irgendein „Spannungsverhältnis“ durchleiden würden wie Salman Rushdie (“Mr Freedom of Speech”) oder die es in die Richtung auflösen würden wie Nick Cave („BDS stinkt“). Engagiert worden sind sie, weil sie Israel boykottieren. Als sei das eine Zusatzqualifikation. Wenn das Schule macht.
3. Ruhrtriennale-Künstler werden blamiert.
Für das Podium, erklärte Carp, habe sie Künstler/innen gefragt, die “eng mit der Ruhrtriennale verbunden sind“. Gab es keine/n, der/die sich gegen den kulturfeindlichen BDS ausspricht? Oder hat Carp alle, die gegen BDS sind, zum Zuhören verdammt? Welches Problem hat die Ruhrtriennale, dass eine Ministerin anreisen muss, um klar zu stellen, dass der Boykott von Kunst das Gegenteil von Kunst ist?
4. BDS ist Gift, es wirkt.
Bereits im Juli hatte Carp erklärt, sie sei unter massiven Druck gesetzt worden, deshalb habe sie die ausgeladene BDS-Band wieder eingeladen. Von wem sie erpresst worden ist, hat Carp nicht gesagt. Bedeutet: BDS und dessen Sympathisanten genügen Telefonanrufe, um ein staatliches Kulturprogramm zu formen. Ein eigener Skandal im Desaster, Gift für jedes kommende Programm.
5. BDS rein, Juden raus.
Das Podium der BDS-Aktiven findet an einem Sabbat statt, und zwar nicht zum Sabbatausgang hin, sondern mittenmang. Was für ein mieser Schachzug. Wäre es nur ein handwerklicher Fehler, ließe sich das Ganze immer noch auf den Sonntag verlegen. Und wäre die Turbinenhalle am Sonntag belegt, stünde die Christuskirche offen, sie bietet mehr Sitzplätze. Auch für die, die nicht am Sabbat kommen könnten.
6. Antisemitismus wird diskursfähig.
Die „Boykottstrategie“ des BDS wird von Bundestag, den in NRW regierenden Parteien, dem Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung usw. als antisemitisch gewertet. Die Ruhrtriennale lässt mithin über „Sinn und Legitimation von Antisemitismus-Strategien im Bereich der Kultur“ diskutieren. Entscheidend ist dabei nicht einmal, was diskutiert wird, sondern dass diskutiert wird, es allein verschiebt die Grenze. In Carps Kreisen nennt man es „performativ“.
7. Landtag und Landesregierung werden blamiert.
Die Landesregierung hat sich von Beginn an deutlich positioniert, der Landtag reagierte auf Carps Auftritt entsetzt. Jetzt hat die Kulturministerin erklärt, dass sie das Festival der vielen Künstler nicht eröffnen, aber mit BDS-Aktiven diskutieren wolle. Ist es falsch, wenn der Eindruck entsteht, der Landtag ließe sich vorführen? Die Landesregierung tue nicht, was sie sagt? Oder könne nicht, was sie will? Hoher Preis.
8. Private Veranstalter stehen im Regen.
Das Signal, das die Ruhrtriennale sendet: BDS-Agitation wird honoriert, roter Teppich statt roter Karte. Für private und für uns als kirchlicher Veranstalter fordert politische Vernunft das Gegenteil: BDS muss zu einem nicht kalkulierbaren Risiko werden. Nicht kalkulierbar, weil sich Medienpartner abwenden könnten wie es der WDR von Roger Waters tat. Weil teure Regresse entstehen könnten wie nach der Absage des Tempest-Konzerts in Berlin. Weil Sponsoren abspringen, die nicht bereit sind, für schlechte Presse so viel zu zahlen wie NRW für Carp. Weil Konzertbesucher keine Lust haben, agitiert zu werden. Politisch vernünftig wäre, deutlich zu machen, dass BDS kein Label ist, das den Verkauf ankurbelt, sondern ein Makel, nicht schick, sondern mit übler Aura, nicht Kultur-Ruhr, sondern Kollegah.
9. BDSler werden entschädigt, Überlebende nicht.
Acht Wochen über haben die Juden in NRW auf ein Wort oder eine Geste der NRW-Triennale gewartet, es gab sie so wenig wie die Einladung auf ein Podium. Ein unglaublicher Affront, er ist politisch brisant: Seit Jahren kämpfen die jüdischen Verbände gerade in NRW darum, dass Kinder, die in Nazi-Ghettos Zwangsarbeit leisten mussten, entschädigt werden. Die sog. Ghetto-Rente wurde bis heute kaum einmal ausgezahlt, viele der Antragsteller leben, so sie noch leben, in Israel. Und jetzt erhalten BDS-Aktivisten eine Aufwandsentschädigung dafür, gegen Israel zu agitieren? Unerträglich.
10. „Wir werden nicht das Existenzrecht Israels diskutieren.“
Der Satz stammt von der israelischen Botschaft, Carp hatte den Botschafter eingeladen – nur zu was? Um mit BDSlern über „Sinn und Legitimation“ des Staates Israel zu diskutieren? Unvorstellbar, dass hier, wie Carp behauptet, irgendetwas mit Norbert Lammert „abgesprochen“ sei. Das führt auf die Frage zurück:
Lässt sich eine politische Vernunft in diesem Podium erkennen? Nein, keine demokratische. Rettet die Ruhrtriennale und blast dieses Podium ab, der rote Teppich für BDS ist wie der ECHO für Kollegah.
Thomas Wessel
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